Würde der Fiskus dagegen die Nachfrage ankurbeln, und damit den Zentralbanken dabei helfen, ihr Inflationsziel von 2 Prozent zu erreichen, würden sich die Kräfteverhältnisse in der politischen Ökonomie verschieben. Die Aussicht auf steigende Preise motiviert die Konsumenten, lieber heute zu konsumieren, als auf morgen zu warten. Die Aussicht auf Profite motiviert die Unternehmen, wieder zu investieren. Und eine angemessene Inflationsrate erleichtert es Unternehmen und Haushalten, ihre Kredite zurückzuzahlen. Springt die Konjunktur endlich an, können die Zentralbanken moderat die Zinsen erhöhen und so langsam die Schwemme billigen Geldes austrocknen. Unternehmer, Sparer, Mieter und Konsumenten würden profitieren. Die Verlierer wären die Finanzmarktakteure. Mit anderen Worten: Die »Schwarze Null« ist ein Konjunkturprogramm für die 1 Prozent auf Kosten der 99 Prozent.
Großbanken und Staaten sind Wettbewerber bei der Versorgung der Realwirtschaft mit Geld und Kredit. Halten harte Haushaltsregeln die Staaten davon ab, zu investieren, werden die Banken zur einzigen Quelle von Geld und Kredit. Wie groß die Machtposition ist, die aus dieser Monopolstellung erwächst, haben wir in der letzten Finanzkrise erlebt. Die Banken waren vermeintlich too big to fail , konnten also die Staaten erpressen, sie zu »retten«. In der Verteilungsfrage, wer die Kosten der gigantischen Rettungspakete zu tragen hatte, setzte sich wieder das Großkapital durch: Die Gewinne blieben bei den Kapitaleignern, die Kosten wurden an die Bevölkerung durchgereicht.
Sind die Großbanken und Großkonzerne so mächtig, dass sie das allein durchsetzen konnten? Nein, vom Status quo profitieren auch Millionen Rentiers. Denn dem Heer an Schuldnern stehen Gläubiger gegenüber, die ein Interesse an stabilen Zinszahlungen haben. Das Letzte, was diese Gläubiger gebrauchen können, ist eine hohe Inflationsrate, die es ihren Schuldnern erlauben würde, sich ihrer Schulden elegant zu entledigen. Und der beste Weg, die deflationären Tendenzen zu verstärken, sind Austeritätsprogramme, auch wenn diese wie in Südeuropa die Realwirtschaften über ein Jahrzehnt im Würgegriff halten 20.
Diese Analyse der politischen Ökonomie verdeutlicht, warum die Reichen und Mächtigen wieder auf Sparpakete setzen, koste es, was es wolle. Ein weiteres Jahrzehnt Austerität darf es aber nicht geben. Denn auf dem Spiel steht nicht nur, ob die Wirtschaft aus der Coronarezession zurück auf einen nachhaltigen Wachstumspfad geführt werden kann. Im eisernen Käfig der Austerität werden auch dringend notwendige Investitionen zur Bekämpfung des Klimawandels versäumt. Der Markt kann diese Investitionen in Forschung und Entwicklung, die Europa braucht, um technologisch nicht zurückzufallen, allein nicht bereitstellen. Die populistischen Revolten überall auf dem Kontinent zeigen, dass die Bürger nicht noch einmal willens sind, die Zeche für die Rettung der Superreichen zu zahlen.
Eine zweite Möglichkeit, die Staatsfinanzen zu konsolidieren, besteht darin, die Vermögendsten zur Kasse zu bitten. Während Millionen Menschen ihren Lebensunterhalt verloren haben, haben die Reichsten der Reichen kräftig von den Rettungspaketen profitiert. Es wäre also mehr als fair, sie entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit zur Bewältigung der Krisenfolgen zu verpflichten. Höchste Zeit also, Vermögens-, Erbschafts- und Finanztransaktionssteuern einzuführen und Steueroasen trockenzulegen. Denkbar ist auch eine einmalige Vermögensabgabe, wie der Lastenausgleich zur Abtragung der Staatsschulden nach dem Zweiten Weltkrieg. Solange jedoch nicht alle Staaten an einem Strang ziehen, reicht schon ein Mausklick, um die Vermögen dem Zugriff des Fiskus zu entziehen. Das Volumen zusätzlicher Steuereinnahmen dürfte daher hinter den Erwartungen bleiben. Wie die obige Analyse der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse zeigt, dürfte die Heranziehung der Vermögenden politisch nur schwer durchsetzbar sein. Das darf aber kein Argument sein, es nicht trotzdem zu versuchen.
Die expansive Geldpolitik …
Bleibt als einziger Ausweg die Überschreibung der Staatsschulden in die Bücher der Zentralbanken 21. Der unbegrenzte Aufkauf von Staatsanleihen durch die EZB seit 2015 verfolgt genau dieses Ziel. Die europäischen Staaten können so zu günstigen Zinsen auf den Finanzmärkten ihre Liquidität sicherstellen. Bleiben die Kosten des Schuldendienstes gering, können sich Staaten auch hohe Schulden leisten. Durch die Aufblähung der Geldmenge könnten diese langsam weginflationiert werden.
Die Aussicht auf Inflation löst in Deutschland sofort Ängste aus. Gebrannt von der traumatischen Erfahrung der Hyperinflation in den Anfangsjahren der Weimarer Republik fürchten die Deutschen nichts so sehr wie die Geldentwertung. Darüber vergessen sie gerne, dass es die Deflationspolitik Brünings war, die Massenarbeitslosigkeit und Verelendung den Boden bereitete und damit die »Machtergreifung« der Nazis begünstigte. Angesichts weltweit explodierender Arbeitslosenzahlen, schwachen Lohnsteigerungen und historisch niedriger Rohstoffpreisen ist das Risiko, dass die Erhöhung der Geldmenge heute eine Hyperinflation auslöst, überschaubar 22. Daher bleibt auch nach über einem Jahrzehnt des Gelddruckens die Inflation bisher aus. Wie ein Damoklesschwert hängt jedoch die drohende Deflation über den europäischen Volkswirtschaften. Die Zentralbanken haben also keine Wahl, als weiter Liquidität in die Märkte zu pumpen. Um die strauchelnden Volkswirtschaften Europeas im Jahr der Coronakrise zu unterstützen, plant die EZB, Anleihen im Wert von 1,85 Billionen Euro zu kaufen. Dennoch bleibt die Zentralbank weit hinter ihrem selbstgesetzten Inflationsziel von 2 Prozent zurück. Gelingt die Trendwende nicht, könnte der Eurozone die gleiche verhängnisvolle Kombination aus Deflation und Wachstumsschwäche drohen, mit der Japan seit Jahrzehnten kämpft. Um in einem deflationären Szenario die Schulden abzubauen, bliebe nur noch die finanzielle Repression. Die Vereinigten Staaten haben beispielsweise nach dem Zweiten Weltkrieg die Banken gezwungen, Staatsanleihen mit niedriger Verzinsung zu halten. Als letztes Mittel würde nur noch ein Schuldenschnitt infrage kommen.
Aber auch, wenn es gelingt, die Staatsschulden durch gemäßigte Inflation real zu entwerten, zahlt am Ende jemand die Zeche. Die Geringverdiener ohne nennenswerte Vermögen sind kaum betroffen, weil ihre Löhne an die Inflation angepasst werden. Die Superreichen finden meist Wege, ihre Vermögen in Sicherheit zu bringen. Auf den Kosten der Krisenrettung dürften also die oberen Mittelschichten sitzen bleiben 23.
Noch gibt es die Möglichkeit, die Staatsschulden einfach zu ignorieren, und darauf zu hoffen, dass ein kräftiger wirtschaftlicher Aufschwung die Schuldenlast erträglicher macht. Denn für die Tragfähigkeit kommt es nicht so sehr auf die absolute Höhe als vielmehr auf das Verhältnis der Schulden zur Größe der Volkswirtschaft an. Wächst die Wirtschaft, sinkt die Schuldenquote. Bleibt die Wirtschaft in der Rezession, explodieren die Schulden, auch wenn die Regierung keinen einzigen Euro zusätzlich ausgibt.
In der Wirtschaftskrise halten die Menschen ihr Geld zusammen. Doch viele Sparer wissen derzeit nicht, wie sie ihr Geld sinnvoll anlegen können. In Ermangelung nachhaltiger Investitionsmöglichkeiten halten viele weiter Staatsanleihen, obwohl diese kaum Zinsen abwerfen. In Kombination mit den Anleihekäufen der Zentralbanken spricht das dafür, dass Deutschland mittelfristig nur geringe oder gar keine Zinsen für seine Kredite zahlen muss 24. Der Staat könnte also einfach abwarten, bis sich die Kosten der Rettungspakete quasi in Luft auflösen. Am Ende müsste also niemand die Zeche zahlen. Der Staat hätte »einfach nur überschüssiges Geld aufgesaugt und umverteilt« 25. Ist ein Land in der komfortablen Situation, niedrige bis keine Zinsen für seinen Schuldendienst zahlen zu müssen, ist Abwarten also die politisch klügste und wirtschaftlich vernünftigste Strategie, den Schuldenstand abzubauen. Will Deutschland die Tilgung der in der Notlage aufgenommenen Schulden aussetzen, müsste jedoch das Grundgesetz geändert werden 26, um diesen Schritt mit der sogenannten Kanzlermehrheit durchsetzen zu können. Die Schuldenbremse steht also einmal mehr gegen die ökonomische und politische Vernunft.
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