»Welches Messer? Ich verstehe das nicht«, sagte er sanft.
»Das Messer, das du diesem Maultiertreiber hier gestohlen hast.«
»Ach das!«, antwortete der Soldat mit einem abwehrenden Lachen. »Darüber müssen Euer Ehren sich keine Gedanken machen. Der fragliche Schurke ist ein bekannter Übeltäter. Wir sind alte Bekannte.«
»Beim Barte des Propheten, beim erhabenen Koran, bis zu diesem Moment habe ich das Gesicht dieses Teufels noch nie gesehen!«, schrie der Maultiertreiber, der mich eingeholt hatte.
»Gib das Messer zurück!«, befahl ich zum zweiten Mal.
»Bei Allah, niemals!«, lautete die kühle Antwort.
»Her damit, sage ich!«
»Nein, unmöglich … nicht einmal Euer Ehren zuliebe, obwohl ich, wie Allah weiß, fast alles tun würde, um Euch einen Gefallen zu tun«, murmelte der Soldat mit einem charmanten Lächeln. »Verlangt es nicht. Seid gewiss, dass ich es sofort zurückgeben würde, wenn es Euer Ehren Messer wäre. Aber dieser Mann ist, wie ich schon sagte, ein Schurke. Es bereitet mir Kummer, dass eine so bedeutende Person wegen einem … einem bloßen Hund so aufgebracht ist.«
»Falls er ein Hund ist, so ist er zumindest vorübergehend meiner. Gib also das Messer zurück!«
»Ach, Vielgeliebter, das ist völlig unmöglich.«
Der Soldat erklärte mit einem Wink die Sache für erledigt und wandte sich ab. Er zog eine Zigarette aus seinem Gürtel und wollte sie anzünden. Sein Begleiter auf dem Esel hatte nicht einmal nach hinten geblickt, so wenig Interesse zeigte er an dem Gespräch. Die Sache hatte nun lange genug gedauert. Ich wusste, dass ich im nächsten Moment anfangen würde zu lachen. Falls ich noch irgendetwas unternehmen wollte, musste ich es sofort tun. Ich zog meinen Revolver aus dem Halfter, hielt ihn dem Gauner an den Kopf und schrie: »Gib mir jetzt das Messer oder ich bring dich um!«
Der Mann sackte in sich zusammen. Blitzschnell gab er das Messer zurück. Ich gab es dem Maultiertreiber, der unter Tränen Allah pries und sich damit aus dem Staub machte. Ich wollte ihm gerade ebenso erleichtert folgen, da veranlasste mich der völlig verzweifelte Ausdruck des Soldaten, den Revolver aufzuklappen und zu zeigen, dass er nicht geladen war. Nun verwandelte sich mein Gegenspieler. Er saß wieder aufrecht und mit geschlossenem Mund im Sattel, und seine Augen funkelten scharfsinnig. Er starrte mich kurz fast ungläubig an und begann zu lachen. Ach, wie der Soldat lachte! Der Besitzer des Esels drehte sich um und stimmte mit ein. Sie fielen einander buchstäblich in die Arme und brüllten vor Lachen, während der Esel unter ihnen pflichtbewusst weiterzuckelte.
In einem kleinen Tal voller grüner Ostbäume saß ich vor einer Karawanserei, neben einem schmalen Fluss, dessen Ufer von Oleander gesäumt waren, und wartete auf eine Mahlzeit, als der Esel und seine Reiter erneut in Sicht kamen. Sobald der Soldat mich erspähte, stieg er hastig ab und rannte wie ein Besessener ins Gasthaus. Kurz darauf brachte er das bestellte Essen und deckte für mich den Tisch im Schatten der Bäume.
»Ich dulde es nicht, dass irgendein anderer Euch aufwartet«, verkündete er, »weil der üble Streich, den Ihr mir gespielt habt, so herrlich war. Nicht geladen. Nachdem ich solche Angst hatte! … Es ist ein schöner Revolver. Ich möchte ihn mir ansehen.«
»Ansehen darfst du ihn, solange du willst, aber nicht anfassen«, erwiderte ich, worauf er wieder lachen musste und behauptete, ich sei der lustigste aller Söhne Adams.
»Aber was hättet Ihr getan, wenn ich mich geweigert hätte? Er war nicht geladen. Was hättet Ihr getan?«
Seine Hand lag gerade auf der Stuhllehne. Ich klopfte ihm sachte mit dem Revolvergriff auf die Knöchel, damit er das Gewicht spürte.
» Wallahi! «, schrie er voll Bewunderung. »Ihr hättet mir damit wohl den Schädel eingeschlagen. Das alles nur wegen eines armen bedeutungslosen Mannes, den Ihr für eine Woche eingestellt habt und danach nie wiedersehen werdet. Efendi , lasst mich für immer Euer Diener sein!« Er klang plötzlich sehr ernst. »Kauft mich vom Militärdienst frei. Es kostet recht viel … fünf türkische Pfund. Und Allah weiß, ich zahle es Euch durch meine Dienste zurück. Um der Liebe zur Rechtschaffenheit willen, stellt mich ein, denn meine Seele gehört Euch.«
Ich machte mich lustig über die Idee. Er beharrte darauf. Als der Maultiertreiber und ich wieder aufbrachen, ritt er neben uns, diesmal auf einem anderen Esel – angeblich »geliehen« –, was bewies, dass er sich zu helfen wusste. »Bei Allah, ich kann ein Pferd beschlagen und ein Huhn braten. Ich kann mit Nadel und Faden umgehen, Kleider ausbessern und einen Vogel im Flug schießen«, erzählte er mir. »Ich könnte mich um den Stall und um das Haus kümmern. Ich würde alles tun, was Euer Ehren wünscht. Mein Spitzname ist Rashîd der Schöne. Meine Garnison ist Karameyn, nur zwei Tagesreisen von der Stadt entfernt. Kommt in ein, zwei Tagen und kauft mich frei. Der Lohn ist mir gleich. Nehmt mich probehalber!«
Im Khan , einem ziemlich wüsten, in dem wir übernachteten, bediente er mich sehr geschickt, was mir Respekt einflößte und dazu führte, dass ich mir wirklich wünschte, einen solchen Diener zu haben. Am nächsten Morgen, nach einem einstündigen Ritt, trennten sich unsere Wege.
» In sh’Allah , ich sehe Euch bald wieder«, murmelte er. »Mein Spitzname ist Rashîd der Schöne, nicht vergessen. Ich sage meinem Hauptmann, dass Ihr das Geld bringt.«
Ich sagte, ich würde es mir vielleicht überlegen.
»Bitte«, flehte er. »Ihr wollt doch niemanden beschämen, der Euch vertraut. Ich sage, dass ich Euch beim Hauptmann ankündige. Beschämt mich nicht vor dem Kommandanten und all meinen Kameraden! Ihr haltet mich für einen Dieb, einen Gesetzesbrecher, weil ich dem Kerl das Messer weggenommen habe?«, fragte er mit einem sanften Lächeln. »Ich sage Euch, o mein Lord, dass es mein Recht und meine Pflicht als Soldat des Sultans dieser Provinz gewesen ist. Eigentlich bricht dieser Maultiertreiber das Gesetz, indem er ohne Erlaubnis ein Messer trägt. Und Ihr, habt Ihr eine Genehmigung für diesen schönen Revolver? Dort, wo wir gestern zu Mittag aßen, waren andere Soldaten. Hätte ich sie um Hilfe gebeten, hätte ich das Messer und Euren Revolver leicht an mich nehmen können, und das ganz ehrenhaft, in völliger Übereinstimmung mit dem Gesetz. Warum habe ich es nicht getan? Weil ich Euch liebe! Versprecht mir, nach Karameyn zu kommen und mich auszulösen.«
Ich sah ihm nach, wie er auf seinem Esel zu einer Wasserrinne in den Bergen zuckelte, an deren Ufer der Reitweg nach Karameyn lag. Allem Anschein nach musste Rashîd ein Schurke sein, doch im Innersten war ich von seiner Ehrlichkeit überzeugt. Jeder Europäer im Land würde erschrocken die Hände heben und »Hüte dich!« rufen, wenn er so eine Geschichte hört. Doch als ich über die ausgetrocknete braune Ebene zur Stadt der grünen Bäume und brausenden Flüsse ritt, wusste ich, ich würde nach Karameyn reisen.
Eine Garnison in den Bergen
Der lange Tagesritt verlief ereignislos, aber nicht die Nacht. Ich nächtigte in einem Bergdorf in einer sehr seltsamen Herberge, die von einem dicken einheimischen Christen namens Elias geführt wurde, der, wie es ein Schild behauptete, Mahlzeiten und Unterkunft alafranga bot – das heißt, nach moderner, europäischer Manier. Es gab einen großen Gastraum und nebenan ein ebenso geräumiges Schlafzimmer für rund dreißig Reisende. Einen Stall für mein Pferd musste ich anderswo suchen. Wir saßen auf Stühlen um einen Esstisch, doch die Zutaten der Mahlzeit waren keineswegs europäisch und die Zubereitung minderwertig griechisch. Vor allen Gästen lagen Messer, Gabel und Löffel, aber einige warfen das Besteck auf den Boden und aßen mit den Fingern. Im langen Schlafzimmer standen ein Dutzend Betten mit Matratzen. Indem ich einen kleinen Aufpreis bezahlte, sicherte ich mir eines für mich allein. In anderen lagen zwei, drei, sogar vier zusammen. Ein älterer armenischer Herr, der von seiner Frau begleitet wurde, bewachte sie die ganze Nacht mit Pistolen. Er war so töricht, jeden, der es wagte, in ihre Nähe zu kommen, lautstark zu bedrohen. Nachdem er dies mehrmals getan hatte, erhob sich ein Mann von meinem Nachbarbett, schlenderte zu ihm hinüber und packte ihn am Hals.
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