1.5 In der Weimarer Republik: Auf der Suche nach einer Rolle im neuen System
So manche Freiwillige Feuerwehr steht mit dem Ende des 1. Weltkriegs vor existenziellen Problemen. Viele Kameraden sind gefallen, andere verstümmelt und traumatisiert zurückgekehrt, ganze Jahrgänge junger Männer sind ausgedünnt. Viele Arbeiter, Handwerker oder der kaufmännische Mittelstand haben unter der wirtschaftlichen Not in einem Umfang zu leiden, der neben dem alltäglichen Überlebenskampf ein ehrenamtliches Engagement häufig ausschließt.
Die Mehrzahl der Feuerwehren stehen, ebenso wie die übrigen Reichsbürger, der neuen, ungewohnten und damit fremden Regierungsform mit einer inneren Unsicherheit gegenüber, jedoch nicht nur das. Tobias Engelsing hat es in seiner Abhandlung über die Sozialgeschichte der Freiwilligen Feuerwehr von 1830 bis 1950 für den Raum Baden treffend auf den Punkt gebracht: »Der Personalmangel der Freiwilligen Feuerwehren besserte sich mit dem Versailler Friedensvertrags vom Juni 1919 […]. Als Folge dieser Vertragsbestimmungen gewannen […] solche Organi[22]sationen neuen Zulauf, die militärische Strukturen aufwiesen und als Ersatz für das verlorene Militär gelten konnten […]. Die Schrecken des Krieges verblaßten, was blieb waren die ›Heldentaten‹, derer sich auch Feuerwehrleute wieder rühmen durften. Da konnten die Taten der Kriegsteilnehmer der Jahre 1914/18 endlich zum erzieherischen Vorbild der Jugend des Jahres 1923 werden« (Engelsing, 1999, S. 114 f.)
Bei den Berufsfeuerwehren müssen sich die verunsicherten Offiziere erst an ihr neues Berufsbild als Oberbeamte einer Technischen Kommunalbehörde gewöhnen. Manche haben sogar in den Wirren der Novemberrevolution mit den Beauftragten der verhassten Arbeiter- und Soldatenräte verhandeln müssen. Auf dem 15. Verbandstag des V. D. B. (Verein Deutscher Berufsfeuerwehroffiziere) beschließt man u. a. die Umbenennung in RDF (Reichsverein Deutscher Feuerwehringenieure), was nicht nur dem neuen Berufsbild Rechnung trägt, sondern auch der Abgrenzung von den verhassten Gewerkschaften dient, die ihre Standesvertretung ebenfalls V. D. B. getauft haben und zwar als Abkürzung von »Verein Deutscher Berufsfeuerwehrmänner«. Auf internationaler Ebene gibt es Tendenzen, sich aus verletzter Eitelkeit aus der Arbeit des Internationalen Feuerwehrrats komplett zurückzuziehen.
Die Motoren- und Fahrzeugtechnik hat, nicht zuletzt in Folge des 1. Weltkriegs, eine enorme Fortentwicklung erfahren, die sich in der Konstruktion von motorisierten Feuerwehrgeräten und Fahrzeugen niederschlägt. Mit Ausnahme sehr wohlhabender Gemeinden müssen sich jedoch die meisten Freiwilligen Feuerwehren auf dem Land noch lange mit Handdruckspritzen begnügen. Mitunter gibt es im Kreis nur eine einzige Automobilspritze, die dann in Überlandhilfe überörtlich eingesetzt wird.
Die wirtschaftliche Not und die politischen Wirren werden vielfach als Schwäche der neuen Regierungsform empfunden und nicht als Folge des verlorenen Krieges, der Reparationszahlungen und des daraus entstandenen gesellschaftlichen Vakuums. In weiten Kreisen – so auch in den Feuerwehren – sehnt man sich nach Sicherheit und Stabilität, nach der Mär »von der guten alten Zeit«, die es so nie gegeben hat. Ein »Charakterzug« der Feuerwehr, der gelegentlich bis in die Gegenwart widerhallt.
1.6 Im Nationalsozialismus: Vom bürgerschaftlichen Selbsthilfeverein zur gleichgeschalteten technischen Hilfstruppe der Ordnungspolizei
Vor der Machtergreifung des verbrecherischen NS-Regimes repräsentiert der DFV reichsweit zwei Mio. Angehörige von Feuerwehren, darunter schätzungsweise 15.000 – 25.000 jüdische Mitbürger. Dann brennt der Reichstag, brennen Bücher [23]und später Synagogen. Den Feuerwehren bringt das sogenannte »Dritte Reich« unter der NS-Diktatur vordergründig manchen technologischen Fortschritt, im weiteren Verlauf jedoch einen tiefen moralischen Fall. Als in den Tagen vom 7. bis10. November von den Schergen des NS-Regimes die Synagogen angezündet werden, verweigern die deutschen Feuerwehren erstmals in ihrer damals zwischen 50 und 90 Jahren währenden Tradition einer gesamten Bevölkerungsgruppe gegenüber das selbst gegebene Gebot der Nächstenhilfe in der Not. Manche beteiligen sich sogar aktiv an der verbrecherischen Brandstiftung (vgl. Engelsing, 1998).
Die Schlagkraft der Feuerwehren wird durch eine technologische Aufrüstung und strukturelle Zentralisierung erhöht. Dies geschieht seitens des NS-Regimes jedoch nicht aus Nächstenliebe, sondern in bewusster Vorbereitung eines von Anfang an geplanten, verbrecherischen Angriffskrieges, mit dem das Deutsche Reich ab 1939 die europäischen Nachbarländer überfallen wird. Die Einrichtung des zivilen Luftschutzes ist zwar bereits 1926, d. h. in der Weimarer Republik, in Angriff genommen worden. Die grundlegende und umfassende Umstrukturierung des öffentlichen Feuerlöschwesens unter den Gesichtspunkten des Letzteren ist jedoch mit eiskaltem Kalkül als unmittelbar kriegsvorbereitende Maßnahme erst unter den Machthabern des NS-Regimes und dessen willfährigen Gehilfen forciert und umgesetzt worden (vgl. Linhardt, 2002). In diesem Zusammenhang erhält manche Feuerwehr in Form einer Tragkraftspritze ihr lang ersehntes erstes motorisiertes Gerät. Dies bringt den neuen Machthabern seitens der Wehren viel Sympathie ein, erkennen doch die wenigsten die verwerfliche Intention hinter dieser Maßnahme.
Die sukzessive Gleichschaltung der Feuerwehren als eine paramilitärisch strukturierte technische Hilfstruppe der Ordnungspolizei bis hin zum ersten reichsweit einheitlichen Feuerlöschgesetz in 1938 wird tragischerweise vielfach als Aufwertung bzw. als längst überfällige staatliche Anerkennung empfunden und nicht als eine Beschneidung der demokratischen Selbstorganisation, die sukzessive alle Ebenen von der kleinen Dorffeuerwehr bis hin zum 1936 aufgelösten Deutschen Feuerwehrverband umfassen wird (vgl. Engelsing, 1999; Leupold & Schamberger, 2015; VFDB, 2012; Keine, 2018; Internationale Arbeitsgemeinschaft für Feuerwehr- und Brandschutzgeschichte im CTIF, 2004). Nahezu alle erhaltenen Quellen belegen eine meist freudige Begrüßung der »nationalen Erhebung«. Auf Landesebene sei hier exemplarisch aus dem Glückwunschtelegramm des badischen Feuerwehrverbandspräsidenten an Gauleiter Robert Wagner zitiert, dass er, der Gauleiter, »in wenigen Wochen der gesamten Bevölkerung die nicht mehr zu erschütternde Überzeugung einzubringen vermochte, daß hier der geborene Staatslenker am richtigen Platz steht.« (vgl. Engelsing, 1999).
[24]Natürlich wissen wir nicht, was hierüber die einzelnen Feuerwehrmänner gedacht haben. Diesbezüglich hat sicherlich die Bandbreite persönlicher Einstellungen deutlich variiert. Festzustellen bleibt jedoch, dass sich eine Vielzahl an Feuerwehren ohne erkennbaren Widerstand in politisch motivierte Kundgebungen einbinden ließ, ebenso wie in die propagandistischen Verbrennungsaktionen von missliebigen Büchern oder in das Niederbrennen der deutschen Synagogen, sei es mittel- oder unmittelbar als mehr oder weniger aktiv Beteiligte. Den jüdischen Feuerwehrangehörigen steht ein schmerzensreicher Leidensweg bevor, der von der Ausgrenzung (nicht nur aus ihren jeweiligen Wehren), über organisierte Demütigungen, die systematische Entrechtung, Enteignung bis hin zur persönlichen industriell organisierten Ermordung führen wird. Exemplarisch sei hier nur auf die minutiös aufgearbeiteten tragischen Schicksale der jüdischen Feuerwehrkameraden Ernst Frenkel aus Lemgo und Jakob Sichel aus Würzburg hingewiesen (Wegener et al., 2013). Auch nichtjüdische Mitglieder wurden nun mancherorts aus den Reihen der Wehr entfernt. »Führer der Feuerwehr und einfache Mitglieder, die Mitglieder ›regierungsfeindlicher‹ Parteien seien, müßten die Wehr verlassen, denn sie genössen in der Ausübung der öffentlichen Aufgabe nicht mehr das Vertrauen der Polizeibehörden. Bleiben könne […], wer beispielweise der SPD angehört, sich aber parteipolitisch nicht betätigt habe und weiterhin das Vertrauen seiner Mannschaftskollegen genieße.« (Engelsing, 1999, S.125).
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