Er war leer, vollständig leer. In keiner Schublade konnte er auch nur ein einziges Stück Papier entdecken. Welchem Beruf Willetts auch nachgehen mochte – und Gold hatte hierüber seine ganz besonderen Ansichten –, jedenfalls übte er ihn nicht in diesem Büro aus.
»Wie oft kommt Mr. Willetts eigentlich hierher?« fragte er den Hausmeister, als er mit ihm zusammen die Treppe wieder hinunterging.
»Wenigstens einmal im Monat – aber ich weiß nie vorher an welchem Tag.«
»Können Sie ihn mir ungefähr beschreiben?«
»Er hat eine dunkle Gesichtsfarbe und dunkles Haar, meistens hält er sich etwas gebückt …«
»Ist er groß und schlank?«
»Nein. Ich würde ihn als mittelgroß bezeichnen. Diesen Eindruck hatte ich wenigstens, als ich ihm auf der Treppe begegnete.«
»Wie ist seine Stimme?«
»Gut, daß Sie danach fragen – er spricht mit einem ausländischen Akzent, ungefähr so wie ein Franzose.«
»Schön, sagen Sie Mr. Willetts bitte, wenn er wieder herkommt, daß ich ihn gern gesprochen hätte.«
»Und wie ist Ihr Name?«
»Comstock Bell«, entgegnete Gold seelenruhig.
Der Hausmeister sah ihn erstaunt an.
»Sie sind doch nicht Mr. Comstock Bell!«
Gold lächelte.
»Na ja, ich wollte sagen, daß mich Mr. Bell hierhergeschickt hat«, erklärte er freundlich. »Aber woher wollen Sie eigentlich wissen, daß ich nicht Mr. Bell bin?«
»Weil Mr. Bell erst vor zwei Tagen hier war, um mit Mr. Willetts zu sprechen«, erwiderte der Hausmeister.
Inhaltsverzeichnis
Comstock Bell bewohnte ein Haus am Cadogan Square. Die Einrichtung seiner Wohnung zeugte von feinem künstlerischem Geschmack. Eine Reihe von Gemälden moderner Meister bewies sein eigenes Interesse, das er allem entgegenbrachte, was mit Kunst zusammenhing.
Um sechs Uhr abends kam Bell nach Hause und ging sofort in sein großes Arbeitszimmer, das auf der Rückseite des Gebäudes lag. Auf dem Rauchtischchen lagen ein Dutzend Briefe für ihn, die er gleich durchsah; meistens handelte es sich um Einladungen zu gesellschaftlichen Veranstaltungen.
Nachdenklich setzte er sich dann an den Schreibtisch und strich mit der Hand über die Tasten einer Reiseschreibmaschine, die vor ihm stand. Schließlich drückte er auf einen Klingelknopf und wartete, bis der Diener hereinkam.
»Ich habe doch gestern einen Gummistempel in Auftrag gegeben. Ist er schon gekommen?« fragte Bell.
»Jawohl, Sir. Vor einer Stunde wurde er abgeliefert«, entgegnete der Diener, lief hinaus und. kam gleich darauf mit einem Päckchen wieder zurück.
»Öffnen Sie es.«
In dem Päckchen lagen ein kleiner Gummistempel und ein Stempelkissen. Bell nahm den Stempel heraus und besah ihn eingehend von allen Seiten. Es war ein Faksimile seiner eigenen Unterschrift, und er hatte es bei seiner Bank durchgesetzt, daß ein Scheck ausgezahlt wurde, wenn er so gestempelt war. Es hatte lange Zeit gedauert, bevor sich die Bank damit einverstanden erklärte, und der Bankdirektor hatte ihm auseinandergesetzt, daß das ein großes Risiko sei.
Bell legte den Gummistempel in eine kleine Kassette, schloß ab und steckte den Schlüssel in seine Westentasche.
»Parker«, wandte er sich dann wieder an den Diener, »ich werde England in einigen Wochen verlassen, und ich möchte, daß Sie auf das Haus achtgeben. Selbstverständlich habe ich dafür gesorgt, daß Ihr Gehalt regelmäßig ausgezahlt wird. Einige andere Instruktionen erhalten Sie dann noch.«
»Werden Sie lange fortbleiben, Sir?«
Bell zögerte mit der Antwort.
»Es ist möglich, daß ich – einige Jahre im Ausland bin.«
»So lange, Sir?«
Wenn Bell erklärt hätte, daß er für den Rest seines Lebens fortbleiben wollte, hätte Parker auch nicht mehr gesagt.
Bell trat ans Fenster und schaute geistesabwesend hinaus. Der Diener machte eine Bewegung, als ob er gehen wollte. »Warten Sie noch einen Augenblick, Parker«, sagte Bell ohne sich umzudrehen. Er stand unentschlossen da, als ob er nicht wüßte, was er tun sollte. Irgendein Entschluß schien ihm schwerzufallen. »Ich werde mich verheiraten.«
Jetzt hatte er es gesagt und schien sich erleichtert zu fühlen. Vielleicht würde er jetzt den Mut finden, es auch allen seinen Bekannten mitzuteilen.
»Ich bin im Begriff, mich zu verheiraten«, wiederholte er halblaut.
»Darf ich mir erlauben, Ihnen mit allem Respekt zu gratulieren«, entgegnete Parker ein wenig kleinlaut.
»Wegen Ihrer Stellung brauchen Sie sich keine Gedanken zu machen. Für Sie wird sich nicht viel ändern, da ich mit meiner Frau im Ausland leben werde.«
Es trat eine Pause ein.
»Darf ich mir die Frage gestatten, ob ich die Dame kenne?«
»Das ist anzunehmen«, antwortete Bell und biß sich nervös auf die Lippen. »Wahrscheinlich kennen Sie sie.«
Wieder trat eine Pause ein, bis er plötzlich sagte: »In etwa einer Stunde erwarte ich Mrs. Granger Collak. Führen Sie die Dame herein.«
Parker machte eine Verbeugung und ging hinaus.
Bell setzte sich in einen Sessel.
Er dachte an Mrs. Granger Collak und an das, was über sie geredet wurde. Ihr Ruf war wirklich nicht der allerbeste. Diese ungewöhnlich schöne Frau führte einen Lebenswandel, den auch großzügige Leute als ziemlich unmoralisch bezeichneten.
Er schaute sich in dem Zimmer um und mußte trotz seiner Sorgen, die ihn bedrückten, lächeln. Sollte er sie heiraten, dann würde sie das Haus vollständig auf den Kopf stellen. Mit seinem großen Vermögen würde sie höchstwahrscheinlich auch bald fertig sein – oder zumindest in aller Harmlosigkeit versuchen, ihn finanziell zu ruinieren. Die Leute würden hinter seinem Rücken lachen und ihn bemitleiden – aber was brauchte das ihn schließlich zu kümmern. Wenn nur seine Mutter nichts davon hörte; doch die wohnte in den Vereinigten Staaten und lebte so zurückgezogen, daß der Londoner Klatsch kaum zu ihr dringen konnte. Sicher, ein wenig bestürzt wäre sie bestimmt über die leichtlebige Schwiegertochter; schließlich gab es aber noch schlimmere Dinge auf der Welt.
In gewisser Weise war Mrs. Granger Collak eine sehr kluge Frau, vor allem hatte sie es auch verstanden, bei allen ihren Eskapaden stets einen gewissen Stil beizubehalten. Er wußte zum Beispiel, daß sie schweigen konnte wie das Grab, wenn es not tat. Das hatten selbst die schlauesten Rechtsanwälte erst kürzlich während ihres skandalösen Ehescheidungsprozesses erfahren.
Jetzt wollte sie reisen und brauchte Geld. Das konnte er ihr geben. Er wollte dafür nur von ihr verlangen, daß sie sich so anständig wie möglich betrug.
Um sieben Uhr geleitete Parker die Dame in das Arbeitszimmer.
Sie trug ein Schneiderkostüm, das in seiner Einfachheit ihre extravagante Erscheinung unterstrich.
»Bitte nehmen Sie hier Platz.«
Er schob einen großen, bequemen Klubsessel an die Seite seines Schreibtisches, so daß sie ihm schräg gegenübersaß.
»Nun, Mrs. Collak, was kann ich für Sie tun?«
»Sie meinen, wieviel Geld nötig ist, um meine Sorgen zu verjagen?« fragte sie lächelnd. »Ich denke, dreitausend Pfund würden genügen. Natürlich könnte ich auch mit weniger verreisen«, fügte sie hinzu, »und am liebsten würde ich Sie überhaupt nicht darum bitten.«
Er öffnete eine Schublade seines Schreibtisches und holte ein Scheckbuch heraus. Mit der nicht verbundenen Hand riß er einen Scheck heraus.
»Füllen Sie ihn bitte aus«, sagte er und reichte ihn ihr. »Und machen Sie ihn zahlbar für den Überbringer.«
Erst jetzt sah sie, daß seine rechte Hand verbunden war.
»Haben Sie sich verletzt?« fragte sie erschrocken.
»Nicht so schlimm.« Bell gab ihr seinen Füllfederhalter, holte dann aus einer anderen Schublade die Kassette und öffnete sie. Sorgfältig drückte er den Stempel auf das Farbkissen, nahm den Scheck und stempelte seine Unterschrift darunter.
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