In der Praxis relativiert sich diese Diskussion zwischen beiden Therapieansätzen meistens schon durch das Alter der Patienten, indem Jüngere und Gesunde sich eher für den regenerativen und Ältere und Kranke eher für den defektprothetischen Ansatz qualifizieren. Das hängt mit der körperlichen Belastbarkeit, der Nutzungsdauer, der Ausgangslage der Defekte, der Hygienefähigkeit und der gewünschten Kaufunktion zusammen.
1.7Weichgewebeaugmentation und Weichgewebemanagement
Aus didaktischen Gründen werden die Knochenaugmentation und die Weichgewebeaugmentation häufig in getrennten Vorträgen und Lehrbüchern behandelt. In der klinischen Praxis ist diese Trennung schwer möglich. Dieses Buch möchte einen gemeinsamen Weg gehen, denn für eine gute Implantatprognose wird eine Dicke der befestigten Gingiva von 3 mm 11 und Breite der Keratinisierung von 2 mm 12 benötigt, die den Dimensionen der biologischen Breite entspricht. Auch heilen Knochentransplantate unter dicken Weichgeweben besser als unter dünnen und werden weniger resorbiert. Einen Teil der Ziele der Knochenaugmentation, wie z. B. das Verhindern des grauen Durchschimmerns des Titans (Abb. 1-14), kann man zwar auch durch Weichgewebetransplantate erreichen, aber deren Langzeitstabilität 13 ist mit 1- bis 3-Jahres-Daten nicht so gut wissenschaftlich dokumentiert wie beim Knochen, für den in der gleichen Indikation 10-Jahres-Daten vorliegen 14 . Die Weichgewebe dürfen aber auch nicht zu hoch sein oder überaugmentiert werden, um eine Bildung von Pseudotaschen als Raum für eine pathogene Taschenflora zu vermeiden. Schließlich wird eine Knochenaugmentation nur dann verlustfrei heilen, wenn die Weichgewebewunde darüber zuverlässig abheilt. Ein gutes Weichgewebemanagement ist daher ein untrennbarer Teil und Grundvoraussetzung der Augmentationschirurgie (siehe Kapitel 7).
Abb. 1-14Durchschimmern des Titans.
1.8Risikomanagement SAC-Klassifikation
Augmentationsoperationen haben im Regelfall einen erhöhten Schwierigkeitsgrad gegenüber der einfachen Implantation und gehören in die Gruppen A und C der SAC-Klassifikation 15 (Abb. 1-15). Augmentationsoperationen stellen erhöhte Anforderungen an die Ausbildung und Ausstattung des Operateurs als Implantatoperationen des S-Levels.
Abb. 1-15Die SAC-Klassifikation des International Team for Implantology 15 (ITI) für den chirurgischen und prothetischen Teil einer Implantatbehandlung.
Straightforward: Keine Augmentation. Dies entspricht einer Standardbehandlung ohne erhöhte anatomische Risiken operationstechnische und/oder prothetische Probleme.
Advanced: Einzeitige Augmentation. Noch genug Restknochen für eine simultane Implantatinsertion.Hier ist eine anspruchsvolle Behandlung mit erhöhtem chirurgischen und/oder prothetischen Risikopotential und entsprechender Ausstattungs- und Ausbildungsanforderung an das Team gemeint.
Complex: Zweizeitige Augmentation. Nicht genug Knochen für eine gleichzeitige Implantation. Eine komplexe implantologische Behandlung auf Spezialistenniveau mit damit verbundenen Risiken ist erforderlich.
1.9Teamwork
Wegen der Belastung und der Risiken eines operativen Eingriffs entscheiden sich viele Patienten und Kollegen bei Knochenmangel gegen eine implantologische Behandlung, obwohl vielleicht beide Seiten von einem osseointegrierten Zahnersatz profitieren würden. Durch Zusammenarbeit mit chirurgisch spezialisierten Kollegen mit entsprechender Expertise kann diese Schwelle gesenkt werden. Die mit der Wundheilung verbundenen Unannehmlichkeiten können von einem überweisenden Zahnarzt zeitweise zum Chirurgen ausgegliedert werden. Die anschließende prothetische Behandlung wird wieder in der Heimatpraxis durchgeführt. In so einem Team funktioniert der Hauszahnarzt als Architekt der Gesamtbehandlung, der die einzelnen Gewerke koordiniert und den Patienten danach in seiner Betreuung weiterführt.
1.10Literatur
1Härle F. Atlas der präprothetischen Operationen. Hanser: München, 1989.
2Schwarz F, Sahm N, Becker J. Impact of the outcome of guided bone regeneration in dehiscence-type defects on the long-term stability of peri-implant health: clinical observations at 4 years. Clin Oral Implants Res 2012;23:191–196.
3Iglhaut G, Schwarz F, Winter RR, Mihatovic I, Stimmelmayr M, Schliephake H. Epithelial attachment and downgrowth on dental implant abutments – a comprehensive review. J Esthet Restor Dent 2014;26:324–331.
4Schwarz F, Giannobile WV, Jung RE. Groups of the 2nd Osteology Foundation Consensus Meeting. Evidence-based knowledge on the aesthetics and maintenance of peri-implant soft tissues: Osteology Foundation Consensus Report Part 2-Effects of hard tissue augmentation procedures on the maintenance of peri-implant tissues. Clin Oral Implants Res 2018;29 Suppl 15:11–13.
5Cardoso MG, Diniz-Freitas M, Vázquez P, Cerqueiro S, Diz P, Limeres J. Relationship between functional masticatory units and cognitive impairment in elderly persons. J Oral Rehabil 2019;46:417–423.
6Cawood JI, Howell RA. Reconstructive preprosthetic surgery. I. Anatomical considerations. Int J Oral Maxillofac Surg 1991;20:75–82.
7Terheyden H. Knochenaugmentationen in der Implantologie. Dtsch Zahnärztl Z 2010;65:320.
8Cordaro L, Terheyden H. ITI Treatment Guide 7. Ridge augmentation procedures in implant patients. Berlin: Quintessenz, 2014.
9Wennström JL, Lindhe J, Sinclair F, Thilander B. Some periodontal tissue reactions to orthodontic tooth movement in monkeys. J Clin Periodontol 1987;14:121–129.
10Eckert SE. Time to bid adieu to removable dental prostheses. Int J Oral Maxillofac Implants 2014;29:535.
11Linkevicius T, Puisys A, Steigmann M, Vindasiute E, Linkeviciene L. Influence of Vertical Soft Tissue Thickness on Crestal Bone Changes Around Implants with Platform Switching: A Comparative Clinical Study. Clin Implant Dent Relat Res 2015;17:1228–1236.
12Giannobile WV, Jung RE, Schwarz F. Groups of the 2nd Osteology Foundation Consensus Meeting. Evidence-based knowledge on the aesthetics and maintenance of peri-implant soft tissues: Osteology Foundation Consensus Report Part 1-Effects of soft tissue augmentation procedures on the maintenance of peri-implant soft tissue health. Clin Oral Implants Res 2018;29 Suppl 15:7–10.
13Rotundo R, Pagliaro U, Bendinelli E, Esposito M, Buti J. Long-term outcomes of soft tissue augmentation around dental implants on soft and hard tissue stability: a systematic review. Clin Oral Implants Res 2015;26 Suppl 11:123–138.
14Chappuis V, Rahman L, Buser R, Janner SFM, Belser UC, Buser D. Effectiveness of Contour Augmentation with Guided Bone Regeneration: 10-Year Results. J Dent Res 2018;97:266–274.
15Dawson A, Chen S, Buser D, Cordaro L, Martin W, Belser U. Die SAC-Klassifikation in der zahnärztlichen Implantologie. Berlin: Quintessenz, 2011: 19 ff.
2
Biologische Grundlagender Knochenregeneration und Wundheilung
Der Selbstreparaturmechanismus des Körpers bedarf im Gegensatz zu Maschinen keines raumfordernden Ersatzteillagers, sondern entfaltet sich auf Abruf aus wenigen pluripotenten Stammzellen. Diese liegen platzsparend als Perizyten in den Wänden der Blutgefäße, was praktisch ist, denn eine Neoangiogenese ist aus Gründen der Ernährung ohnehin Voraussetzung für die Geweberegeneration.
2.1Aufbau des Knochengewebes
Gefäßversorgung und Knochenmark
Knochen besteht aus Weichgewebe und Hartgewebe. Das Weichgewebe umfasst die Knochenzellen, das Mark und die zu ihrer Versorgung notwendigen Gefäße. Kompakter Knochen wird von den Zentralgefäßen der Havers-Systeme ernährt (nach Clopton Havers, Anatom England, 1691) (Abb. 2-1). Nur die äußersten Schichten werden per Diffusion aus den Gefäßen des Periostes ernährt. Nach operativer Ablösung des Periostes wird dieser Teil des Knochens minderversorgt. Dieses Phänomen wird unter anderem als Erklärung herangezogen, wenn man nach Periostablösung eine geringe Oberflächenresorption des Knochens von etwa 0,5 mm feststellt.
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