Am Montag herrschte heilloses Chaos. Die Vorstände beider Angelvereine hatten sich wegen der skurrilen Funde zu Sondersitzungen eingefunden. Am Halterner Teich versammelten sich außerdem freiwillige Helfer und Sachverständige vom Wasserwerk und versuchten, das Ausmaß der Wasserpest einzuschätzen. Mit Booten kontrollierten sie die Oberfläche mitten im See, an den Ufern stiefelten Männer und Frauen entlang, um das gefürchtete Kraut zu eliminieren.
Kommissarin Amber hatte am Sonntag im Archiv alte Fälle aus dem südlichen Münsterland und dem nördlichen Ruhrgebiet bis hin zu den 70er- und 60er-Jahren durchstöbert. Letztlich fand sie keine Parallele zu den vorhandenen Indizien. Allerdings festigte sich ihre Vermutung, dass die zugespielten Beweisstücke auf den gewaltsamen Tod einer Frau hindeuteten. Die Aufklärung eines solchen Verbrechens, so Charlys Idee, sollte hier geschehen, im Grenzgebiet zwischen Haltern und Dülmen. Sie musste umdenken. Eine Leiche würde sie durch eine Recherche kaum finden, und dass diese unten in einem der Angelteiche lag, war unwahrscheinlich. Der Schmuck konnte als Signal an die Polizei verstanden werden. Es war zu erwarten, dass weitere Indizien zutage treten würden.
Fey hatte die KTU-Mannschaft am Montagmorgen an den Dülmener Teich geschickt , um dort nach Spuren zu suchen, die Aufschluss über den heimlichen Besatz von präparierten Karpfen geben sollten. Bisher basierte ihr Verdacht nur auf höchst individuellen Vermutungen. Sie hatte nichts in der Hand, um ihren Chef Carstensen von einem realen Mordfall zu überzeugen. Umso dringlicher war es, möglichst schnell Beweise vorlegen zu können. Pörschkes Verdacht, die Halterner wären die Urheber, hielt sie für ein politisches Kalkül. Aber gerade wegen der dürftigen Beweislage musste sie Kleinarbeit leisten und entschied sich, beim Halterner Angelverein nach sachdienlichen Hinweisen zu suchen. Sie telefonierte mit Haverkamp, dem Vorsitzenden, stellte sich vor und berichtete in Kurzform, was sich am Wochenende bei den Dülmener Sportfischern abgespielt hatte.
„Herr Haverkamp, wie erklären Sie sich die Fänge im Dülmener Vereinsteich?“
„Erklären kann ich das nicht, aber man stellt sich natürlich die Frage, wo die Fische herkamen. Karpfen sind sehr genügsam. Da reicht ein Tümpel zum Überleben.“
„Und woher beziehen Sie Ihre Fische für den Besatz?“
„Frau Amber, als Sie sich eben vorstellten, schreckte ich ehrlich gesagt kurz zusammen. Ich muss Ihnen nämlich was gestehen.“
„Sagen Sie bloß, dass Sie auch einen Karpfen mit Juwelen gefangen haben.“
„Nein, das nicht, schlimmer. Wir haben einen Büschel Haare gefunden. Der war an einem Karpfen befestigt. Ich habe den Fund sichergestellt. Es wäre mir lieb, wenn wir die Sache so schnell wie möglich aus der Welt räumten. Hier ist der Teufel los. Wir haben die Wasserpest im Teich.“
„Das hört sich nicht gut an.“
„Das ist saugefährlich, wenn ich Sie da informieren darf. Damit wenigstens dieses Problem aus der Welt ist, wäre ich den Fund gerne so schnell wie möglich los. Treffen wir uns doch in der Kajüte.“
Eine Stunde später saßen Fey und Haverkamp am See und Beckmann brachte ihr einen Tee und einen Underberg für Haverkamp, dem die Aufregung auf den Magen geschlagen war. Beckmann mischte sich nicht ein, wie es sonst seine Art war. Als er gegangen war, kramte Haverkamp ein durchsichtiges Tütchen aus seiner Hosentasche und legt es vor Fey auf den Tisch.
„Unglaublich, aber wahr. Der Karpfen ist von einem aus der Jugend gefangen worden. Leider ist der Fisch wieder zurückgesetzt worden. Vielleicht hätten wir Merkmale gefunden, die Aufschluss geben, ob der Fisch kürzlich eingesetzt worden war.“
„Falls das so wäre, glauben Sie, dass ein und dieselbe Person in Haltern und in Dülmen die Fische eingesetzt hat?“
„Sieht so aus. Aber wir haben jetzt andere Sorgen.“ Haverkamp erhob sich. „Die Wasserpest. Ach, fast hätte ich es vergessen. Hier, eine Art Stretchverband, mit dem war das Tütchen am Fisch befestigt.“
Er zahlte die Getränke und ging hinaus. Fey steckte das Beweisstück in eine Tüte, ließ ihren Tee stehen und folgte Haverkamp. Er demonstrierte Zeitmangel und nahm seinen Autoschlüssel in die Hand. Fey ließ sich nicht abwimmeln.
„Gibt es außer dem Streitobjekt Baggersee irgendwelche persönlichen Rivalitäten zwischen den Vereinen?“
„Nein! Frau Amber, ich muss los.“
„Wäre Ihnen damit geholfen, wenn der Teich ausgepumpt würde?“
„Um Gottes willen! Das lassen Sie mal getrost Sache des Umweltamtes, der hiesigen Behörden und Interessensverbände sein.“
„Wir werden sehen, was sich anhand der Haaranalyse ergibt. Sie hatten übrigens vorhin am Telefon meine Frage nach der Herkunft der Karpfen nicht beantwortet. Woher bekommen Sie denn nun die Fische für den Besatz?“
„Beim Herzog von Croÿ. Fragen Sie dort nach. Ich muss jetzt wirklich los.“
„Und ich muss Sie leider bitten, das Angeln vorläufig einzustellen. Wichtige Beweismittel könnten verloren gehen.“
„Noch so ein Tiefschlag und wir können einpacken. Die Kollegen sind auf 180, müssen Urlaub nehmen, um den Teich zu säubern.“ Haverkamp schlug die Autotür zu und raste davon.
Fey fühlte sich mies. In den Teichen schwammen noch etliche Fische mit möglichem Beweismaterial. Da sie aber nicht einen einzigen fundierten Beleg für eine Straftat hatte, würde sie sich viel Ärger einhandeln, wenn sie eigenmächtig anordnete, die Teiche auszupumpen. Sie rief die Kollegen von der Streife an, um die Haare zu Charly ins Labor transportieren zu lassen. Auf ihrem Rückweg nach Münster machte sie Station bei der Fischzuchtanstalt des Herzogs von Croÿ in der Nähe von Hausdülmen. Sie sprach mit dem Fischwirt Holtkötter. Er zeigte ihr die Teichanlagen und erklärte ihr das jährliche Abfischen.
„Verkaufen Sie auch an private Kunden?“, wollte Fey wissen.
„Alltags ist bei den Privaten nichts los. Die kommen meistens am Wochenende. Auch kleine Mengen können die hier kriegen, für den Gartenteich zum Beispiel. Wir liefern nach ganz Deutschland. Das braucht Tankwagen mit Sauerstoffpumpen für die langen Wege.“
„Herr Holtkötter, können Sie sich an Kunden erinnern, die in der letzten Zeit etwa um die vierzig Karpfen gekauft haben?“
„Solche Mengen werden geliefert. Private Kunden haben keine Tankwagen. Aber kommen Sie, wir gucken mal in die Bücher. Da stehen alle Kunden, die beliefert worden sind. Von den kleinen privaten Kunden halten wir keine Adressen fest. Es wird nur die Menge eingetragen. Derzeit ist aber Hochbetrieb. Da fehlt schon mal der ein oder andere Vermerk.“
Holtkötter blätterte und führte seinen speckigen Zeigefinger entlang der Spalte für die Verkaufsmengen.
„Nee, für private Kunden finde ich keine so große Zahl. Da kann ich Ihnen nicht helfen.“
Fey bedankte sich und ging zu ihrem Wagen zurück. Was sagten die KTUler? Sie sprach mit dem zuständigen Leiter des Außendienstes.
„Was gibt es Neues vom Dülmener Vereinsteich?“
„Wir haben Schleimspuren und einige Schuppen, etwa daumennagelgroß, an einer Stelle am Teich gefunden, die mit dem Auto erreichbar ist. Die dazugehörigen Reifenabdrücke fielen leider nur sehr dürftig aus. Das frische Herbstlaub hat die Spuren verwischt, andererseits konnten wir durch den Laubfall die Zeit eingrenzen, in der das Fahrzeug dort war. Schätzungsweise wurden die Fische etwa vor drei bis vier Tagen im Dülmener Teich eingesetzt. Ich habe allerdings noch etwas ganz Besonderes für Sie. Es handelt sich um ein absichtlich dort am Teich deponiertes Kleidungsstück und zwar um einen Turnschuh der Größe 36 mit weißem Schleifenband als Schnürsenkel. Der Schuh war an einen Baum genagelt.“
Читать дальше