Es ist eine polnische Erbse, sie heißt Piwo. Sie weint. Ich habe keinen! Pia fragt Peter, ob er was dagegen hätte, wenn sie auch noch Piwo lieben würde und er sie. Peter sieht sie ungläubig an. Kannst du dich einfach so in eine x-beliebige Erbse verlieben? Pia nickt. Piwo ist genauso grün und rund und perfekt wie wir beiden. Wieso sollte ich mich nicht auch noch in ihn verlieben? Weil er eine andere Erbse ist, ruft Peter. Das bin ich auch, sagt Pia.
Peter ist total enttäuscht und beschließt, für den Rest des Lebens alleine zu bleiben. Als die Tüte aus dem Tiefkühlfach genommen und aufgerissen wird, purzeln all die Erbsenpaare und eine Single-Erbse in das kochende Wasser. Der Mensch hat von solchen Konstellationen natürlich keine Ahnung, er möchte, dass die Erbsen lecker sind, und schmecken tun sie alle gleich, auch Peter.
Luft holen
Wasser lassen
Feuer machen
Erde werden
Heute ist ja so ein schöner Tag!, ruft die Alltagsexpertin Viviane Schröter aus dem Fenster.
Finde ich auch!, ruft die Postbotin Nicole. Schade, dass du arbeiten musst, sagt Viviane.
Gar nicht schade, ruft Nicole. Ich arbeite gerne und an der frischen Luft zu sein ist toll.
Aber du verdienst schlecht, ruft Viviane. Und du weißt nicht, wie lange deine Knochen diese Strampelei noch mitmachen.
Das stimmt!, ruft Nicole. Aber was ist im Leben schon sicher?
Hast du denn keine Angst wegen Nordkorea?, ruft Viviane. Dass der Trump die Sache eskalieren lässt und nachher Atomraketen fliegen?
Ach was!, ruft Nicole. Das sind doch alles nur Ablenkungsmanöver. Das Geschrei soll von den Schweinereien ablenken, die still von statten gehen.
Meinst du all die Finanz- und Rüstungsdeals?
Ja, ruft Nicole. Trump ist nur der Entertainer. Früher haben die Hofnarren die Könige unterhalten, heute kümmern sie sich um das Volk, damit die Herrscher ungestört regieren können. Wer ist das hinter dir?
Mein neuer Freund, ruft Viviane. Er fickt mich nur von hinten, wenn ich im Fenster liege. Sonst kann er nicht.
Ganz schön limitiert, ruft Nicole. Aber besser als nichts, oder?
Ich weiß nicht, ruft Viviane, er ist ganz nett, aber er hat keine Ahnung von Politik. Du weißt ja, wie wichtig mir das ist.
Ja weiß ich, ruft Nicole. Man kann nicht alles haben. Ich muss weiter! Sie radelt los. Bis morgen!
Bis Morgen, ruft Viviane und murmelt: Man kann nicht alles haben… Ich hasse ihre Oberflächlichkeiten und Floskeln. Sie redet immer mindestens einen Satz zu viel, nur um irgendwas zu sagen.
Was murmelst du?, fragt ihr Freund.
Ich sage ein Gedicht auf, sagt Viviane. Ein Gedicht von Eduard Mörike, es heißt: Denk es, oh Seele. Hast du schon abgespritzt?
Nein, sagt der Freund. Kann denn die Seele denken?
Mach weiter, sagt Viviane. Davon verstehst du nichts.
Anna, flüstert Edgar in der Kirche, ich möchte meine Freude mit dir teilen. Anna betet. Sie möchte sich nicht ablenken lassen. Edgar fängt in der Kirche oft an, über irgendetwas zu reden. Sie hat ihm schon genau so oft gesagt, wie sehr sie das stört, aber er kann es nicht lassen.
Anna, flüstert Edgar. Hast du mich gehört? Ich möchte meine Freude mit dir teilen! Anna sieht genervt zur anderen Seite. Anna, bitte!, flüstert Edgar. Lass mich nicht allein mit meiner Freude! Was denn für eine Freude, Edgar?, fragt Anna. Meine Daseinsfreude, sagt Edgar. Sie gibt mir so viel Kraft. Und ich möchte sie mit dir teilen. Schon passiert, sagt Anna. Danke. Und jetzt lass mich bitte in Ruhe beten.
Anna, flüstert Edgar. Es ist ein tolles Gefühl, seine Freude zu teilen, findest du nicht? Edgar, flüstert Anna, wenn du jetzt nicht deinen Mund hältst, werde ich nie mehr mit dir zusammen in eine leere Kirche gehen, um zu beten. Aber Anna, flüstert Edgar entsetzt, die Kirche ist nicht leer! Sie ist voller Stille und Heiligkeit. Sie ist so voller Frieden, dass jeder und jede so viel davon nehmen darf, wie es die Seele braucht. Und warum lässt du mich nicht in diesem Frieden, Edgar?, fragt Anna ihn und sieht ihm in die Augen. Ach, Anna, schluchzt Edgar. Ich habe so eine tiefe Sehnsucht nach Kommunikation. Die Tränen laufen über sein Gesicht. Und Anna bemerkt, dass er unrasiert ist. Warum hast du dich nicht rasiert? Ich werde mir einen Bart wachsen lassen, sagt Edgar. Damit andere mein Alter besser einschätzen können. Ich möchte meine Umwelt nicht verunsichern.
Jeder weiß, wie alt du bist, sagt Anna. Fremde nicht, sagt Edgar. Anna schweigt. Lass uns weiterbeten. Bitte!, sagt Anna. Wir gehen in die Kirche, um mit Gott zu kommunizieren. Mit mir kannst du außerhalb der Kirche die ganze Zeit reden. Tu ich ja auch, sagt Edgar.
Eine alte Frau betritt die Kirche und kommt auf die beiden zu. Entschuldigen Sie bitte, ist das hier eine Kirche? Anna und Edgar nicken. Gott sei Dank, ruft die Frau. Ich war schon überall und überall hieß es: Nein, das ist ein Bahnhof. Nein, das ist ein Lidl. Nein, das ist die Nautische Buchhandlung. Jetzt kann ich endlich in aller Ruhe mit Gott sprechen. Wissen Sie, ich habe eine tiefe Sehnsucht nach Kommunikation, die kann kein Mensch erfüllen. Ach, sagt Edgar, was sie nicht sagen. Ja, fährt die alte Frau fort. Das kann mich wütend machen, wissen sie? Manchmal trinke ich mit jemandem einen Kaffee und dann finde ich ihn so nichtssagend, dass ich ihm am liebsten den Kaffee in die Fresse kippen würde, verstehen Sie das? Ja, ja, sagt Edgar. Das kann ich gut verstehen. Man will kommunizieren und vom anderen kommt nichts. Das ist so demütigend.
Richtig!, sagt die alte Frau. Ich habe auch schon mal einem einfach eine reingehauen und geschrien: Ficken willst du aber schon, oder? Wie lange ist das her?, fragt Edgar. Also bitte, sagt Anna, wir sind in einer Kirche. Wenn ihr euch weiter unterhalten wollt, geht bitte raus. Nein, sagt die alte Frau, schon gut. Beten sie ruhig weiter. Ich wollte sie nicht stören. Wenn das hier eine Kirche ist, setze ich mich ganz vorne hin und gehe auf in dieser erhabenen Stille. Ich habe einen so großen Frieden in mir, das können sie sich nicht vorstellen. Doch, sagt Edgar, das kann ich mir sehr gut vorstellen. Nicht in ihrem Alter, sagt die alte Frau. Aber ich will mich nicht streiten. Sie geht nach vorne.
Anna sagt: Komm, lass uns gehen. Ich hab den Draht zu Gott verloren. Ich kann nicht mehr. Das nächste mal gehe ich alleine in die Kirche, das sag ich dir. Schade, sagt Edgar. Zusammen beten erregt mich mehr als Sex. Anna öffnet das schwere Portal. Du bist so lächerlich mit deinen Süchten: Die Sucht zu reden, die Sucht etwas sagen zu wollen, was du nicht sagen kannst, die Sucht originell zu sein, die Sucht an meinem Kitzler zu saugen. Sei froh, dass ich so unempfindlich bin. Aber du bist doch gar nicht unempfindlich, sagt Edgar. Anna nickt. Ich kann auch einfach so was sagen, weil es mir in den Sinn kommt, genau wie andere. Du sagst nie was wie andere, flüstert Edgar auf dem Weg zum Auto. Warum flüsterst du?, fragt Anna. Weil ich dich liebe, sagt Edgar. Sie küssen sich, während die Kirche dasteht wie ein ganz normales heiliges Gebäude.
Ich bin so gerne auf Friedhöfen, sagt Lotti, während sie mit ihrem alten Freund Gernot am Flussufer in der Sonne liegt. Ich auch, stimmt Gernot zu. Wir waren auch schon mal zusammen auf einem, weißt du noch? Ja klar, sagt Gernot. Père Lachaise! Du mit deinem Morrison. Du hast die Doors auch gern gehört, sagt Lotti. Aber ich war nie ein Fan von irgendwem, sagt Gernot. Selber schuld, sagt Lotti, da ist dir was entgangen. Aber wer weiß, vielleicht haut dich nochmal jemand um, das ist wie mit der Liebe, einmal passiert’s. Oder auch nicht, sagt Gernot. Und ein Fan von Friedhöfen bin ich auch nicht. Aber ich liebe diese Ruhe und diese Atmosphäre des Friedens. Die haben’s hinter sich. Genau, ruft Lotti. Dieses zu Ende sein, das hat doch was. Ob gut, ob schlecht, geliebt, gelitten, Schluss. Aus. Vorbei. Blümchen drauf und fertig. Ja, schön, sagt Gernot. Dieses Entspannte. Und dann die Steine, sagt Lotte. Da stehen dann diese Steine und trotzen einer Zeit, die für die unter ihnen absolut keine Bedeutung mehr hat. Es hat auch etwas Albernes und rührend Sinnloses. Ach, sinnlos nicht, sagt Gernot. Solange es Angehörige gibt, haben Gräber ihren Sinn. Zum Trauern und dass es einen Platz gibt, wo man stehen und sich erinnern kann. Und diese Namen, sagt Lotti. Ich liebe es, diese Namen zu lesen. Und die Geburts- und Todesdaten. Steine, Namen, Zahlen – das hat schon etwas Magisches! Und am schönsten ist es bei Sonnenschein. Am besten im Sommer, wenn man leicht bekleidet ist. Ja, Urlaub auf dem Friedhof, sagt Gernot. Urlaub vom Leben.
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