»Farewell My Lovely« war nicht der erste Film, in dem ich Mitchum sah, aber der erste, in dem mir klar wurde, daß ich seinen Namen nie wieder vergessen würde, denn er war die perfekte Verkörperung von Philip Marlowe, besser als ihn sich sogar Raymond Chandler hätte vorstellen können, der sich Cary Grant in der Hauptrolle gewünscht hatte. Aber Grant hätte vielleicht den schnoddrigen Witz Marlowes gut rübergebracht, nicht aber die desillusionierte Müdigkeit, die der für die Rolle eigentlich schon 25 Jahre zu alte Mitchum nicht einmal los wurde, wenn er lachte. Und selbst als er den vertrackten Fall gelöst hatte, ist das kein Anlaß zu triumphalen Gefühlen. Müde winkt er ab und überläßt es Nulty, die Lorbeeren einzuheimsen. Sein Motiv, die Sache zu Ende zu bringen, ist auch nicht der Erfolg, sondern die Rache für einen Toten, weil er weiß, daß er dem Kind des Ermordeten nie wieder würde in die Augen sehen können, wenn er den Mörder laufen ließe. (Ein klassisches Motiv, aber da Marlowe sowohl gegen eine korrupte Polizei als auch gegen verschiedene Gangsterbanden und Politiker, die die Stadt verwalten, zu kämpfen hat, hat er als lonesome hero jedes moralische Recht auf seiner Seite.)
An Mitchum reichte nicht einmal Humphrey Bogart heran, der bis dahin als der beste Marlowe-Darsteller galt. Dessen Rolle war zu eindimensional angelegt. Bogart war noch zu sehr der tough guy aus den Pulp-Heften, und man sah ihm deutlich das schwarz-weiße Weltbild Hollywoods in den vierziger Jahren an, in dem diese Filme entstanden. Bogart war ein Getriebener, der die Ordnung der Welt wieder herstellen wollte, ihm fehlte völlig die Dimension der Verzweiflung und die im Whiskeynebel einer verrauchten Bar aufsteigende Melancholie. Bei Mitchums schläfrigen Augen wußte man, daß sie alles schon einmal gesehen hatten, eher sogar zweimal. Aber er war deshalb noch lange nicht abgestumpft. Wenn er sich jedoch gegen das Verbrechen stemmte, dann schon lange nicht mehr, um die Welt zu verbessern, sondern um vor sich selber zu bestehen.
Mitchum spielte nicht anders als in anderen Filmen, aber hier hatte er vielleicht zum ersten Mal seine Rolle gefunden, hier war er zum ersten Mal identisch mit ihr. Er mußte Marlowe nicht spielen. Er war Marlowe. Es war die Rolle, die ihm wie ein Maßanzug paßte. Wo Bogart schauspielerisch alle Hebel in Bewegung setzte, reichte die Bühnenpräsenz Mitchums, um die Rolle auszufüllen. »Mitchum war ein Außenseiter, der die Pose des Rebellen einnahm« (Michael Althen), d.h. er brauchte diese Haltung nicht spielen, es war sowieso seine Haltung, die er Zeit seines Lebens eingenommen hat.
Als wild boy unterwegs
Für diese rebellische Haltung gab es jede Menge gute Gründe. Seinen Vater hat der am 6. August 1917 geborene Robert Mitchum nie kennengelernt. Als er 18 Monate alt war, wurde der von schottisch-irischen Einwanderern und Indianern abstammende James Mitchum, der als Bremser bei der Eisenbahngesellschaft arbeitete, in Charleston/South Carolina von zwei riesigen Puffern zerquetscht. Sein Stiefvater, den seine Mutter zehn Jahre nach dem Unfall heiratete, war ein ehemaliger Abenteurer, und Onkel Willi, sein Vaterersatz, war früher mal Profi-Catcher gewesen. Und dann kamen die Jahre der Depression. Bob war schon viel herumgekommen als er in New York City auf die Schule kam. »Immer wieder neue Umgebung, neue Jungs, gegenüber denen man sich als Neuankömmling behaupten mußte. Seine Methode war: Nicht mehr als nötig reden, allenfalls fluchen, ansonsten überraschend zuschlagen und keiner Keilerei aus dem Weg gehen.« (Michael Althen) Mitchum war damals schon der »Loner mit dem Tough-Guy-Gehabe«.
Mit 14 bereits heuerte er auf einem Bergungsschiff der Fall-River-Linie an und die folgenden Jahre durchquerte er mit dem Zug mehrmals den Kontinent, eine Landschaft der Verzweiflung und der Gewalt. Er war als Hobo unterwegs, der gerne als letzter großer Abenteurer und als Ritter der Straße gefeiert wurde. In Wirklichkeit war Mitchum Teil einer ziellosen Migration verarmter Jugendlicher, von denen schätzungsweise eine Viertel Million auf Achse war, die sogenannten »wild boys«, die immer auf der Hut vor den sogenannten »Shagmen« sein mußten, die im Auftrag der Eisenbahngesellschaft die Züge von Schwarzfahrern säuberten und dabei nicht zimperlich vorgingen. Nicht selten blieb ein armes Schwein tot auf den Schienen liegen. Der junge Mitchum lernte schnell, worauf es ankam, aber irgendwann verließ ihn das Glück und er wurde in Savannah/Georgia festgenommen. Man wollte ihm einen Raubüberfall anhängen, und als das nicht klappte, verurteilte man ihn wegen Landstreicherei zur Zwangsarbeit in einer »chain gang«, d.h. er wurde nachts und während des Transports am Fuß angekettet und zu Straßenausbesserungsarbeiten eingesetzt. Nach einer Woche gelang es ihm, in den nahe gelegenen Wald zu flüchten. »Damals hätte keiner auch nur 50 Cents ausgegeben, um dich zu fangen, wenn sie dich mit dem Gewehr verpaßt hatten. Sie zogen lediglich aus und fingen sich irgendeinen anderen ein, der deinen Platz in der chain gang einnahm.«
Als Bob zwischendrin mal wieder zu Hause auftauchte, lernte er Dorothy Spence kennen, die er später heiratete und mit der er sein ganzes Leben zusammen war. Eine Zeitlang schlug er sich als Preisboxer durch, aber als er an einen erfahrenen Gegner geriet, der ihn übel zurichtete, hörte er wieder auf.
Über seine Schwester Julie, die eine Schauspielerausbildung machte und als Sängerin arbeitete, ergaben sich die ersten Kontakte zur Bühne. Bei Victor’s, einem Laden auf dem Sunset Boulevard, hielt er Hof. »The clientele was a mixture of fallen stars, extras, party girls, stuntmen, starlets, hookers, hustlers, johns and dealers. It was said to be a place where anything could be had for a price.« (George Eells)
Mitchum schrieb auch: kleine Stücke und Stories, von denen eine sogar in einer literarischen Vierteljahreszeitschrift veröffentlicht wurde. Worauf andere möglicherweise in ihrer Biographie stolz hingewiesen hätten, kommentierte Mitchum gnadenlos abfällig: »Ein Stück Scheiße mit ein oder zwei guten Stellen. Ich dachte vermutlich, ich würde der Liebling der literarischen Frauenzirkel werden, und sie würden mir auf den Hintern klopfen und meine Texte mit tiefsinnigen Bedeutungen versehen, die sie nie hatten und von denen ich nichts wußte.« Vom Astrologen Carroll Righter wurde er als Fahrer und Hilfskraft auf einer kleinen Ostküstentournee angestellt. Er verscherbelte nach den Auftritten seines Chefs alten Damen ihre persönlichen Horoskope. Von Florida aus fuhr er nach Delaware, wo ihm Dorothy Spence vorschlug: »Ich glaube, du bist nicht in der Lage, weiterhin allein gelassen zu werden. Ich schlage vor, wir heiraten.« Und das taten sie dann auch. Er versuchte über die Runden zu kommen, indem er ein paar kleinere Engagements annahm, aber als das nicht ausreichte, arbeitete er an einer Stanzmaschine in der Lockheed-Flugzeugfabrik. Der Job bekam ihm nicht. Er litt an starken Schlaf- und Sehstörungen und mußte trotz dringender Geldsorgen hinschmeißen. Obwohl er nur Verachtung für die Schauspielerei übrig hatte, versuchte er sein Glück beim Film.
Ein Nichtschauspieler in Hollywood
Das war 1943, und in diesem Jahr spielte er bereits in 19 Western, Kriegsfilmen und Serien mit. Er mußte einfach nur durch das Bild gehen und ab und zu mal ein paar Sätze sagen. Und er sah verdammt gut aus. Vielleicht blieb er aus diesem Grund nicht unbemerkt, jedenfalls nicht für MGM, Universal und 20th Century-Fox, für die er arbeitete. Mitchum witzelte: »Ich war nun ein Charakterdarsteller, und ich spielte fast alles – chinesische Wäschereibesitzer, Zwerge, irische Waschweiber, Schwuchteln. Ich spielte sogar einmal einen Journalisten.« Das »sogar einmal« ist sehr lustig, und Mitchum fügte hinzu: »Ich weiß nicht, wie’s war, ich hab den Film nie gesehen.« Und dabei blieb er nach eigenen Aussagen bis zum Schluß.
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