1 ...7 8 9 11 12 13 ...28 »Mühlberg, Mühlberg. Kommt mir irgendwie bekannt vor. War da nicht einmal eine Schlacht?«
»Sehr wohl, Gnädigste. Die Schlacht von Mühlberg, im April 1547.«
»Ha!«, rief die Tante aus und zerstach mit ihrem Zeigefinger die Luft. »Die Schlacht von Mühlberg. Ging nicht gut aus für die Protestanten, aber da hätten Sie ein Vermögen machen können! Denken Sie doch nur an die viele Medizin, die Sie den Verwundeten hätten verkaufen können.«
»Ja, so betrachtet …«, erwiderte Heinrich gedehnt. »Aber die Mühlberger sind auch so genügend krank. Ich werde meine Familie sicher ernähren können.«
»Das freut mich zu hören – ich meine … nicht, dass ich den Mühlbergern Krankheiten wünsche, Sie verstehen … «
Heinrich verstand und schwieg. Er war erleichtert, dass diese Tante nicht ganz so fabelhaft war wie Tante Malchen, die weder ihm noch Julius zutraute, die Schwestern zu ernähren, und immer wieder nachfragte, ob man denn von »sowas« überhaupt leben könne.
»Und natürlich will ich auch von Ihnen wissen, weshalb sie sich in Francisca verliebt haben.«
»Wie ihre Schwester hat sie ein fröhliches Wesen. Und sie ist klug. Ich bin sicher, dass sie mir eine große Hilfe sein wird in der Apotheke. Und ihre braunen Locken, die bei jedem Schritt ein wenig mitwippen, haben es mir gleich angetan. Wir beide tanzen sehr gerne und bei einem Tanz haben wir uns kennengelernt. Und wir verstehen uns oft ganz ohne Worte. Als wir uns zum ersten Mal begegneten, da fühlten wir uns, als würden wir uns schon lange kennen …« Er wurde ein wenig rot und schwieg verlegen. Die Tante sah es mit Freude. Zu oft hatte sie schon Bräutigame erlebt, die nur eine Mitgift suchten, um ihr durch Verschwendung ruiniertes Geschäft wiederzubeleben. Diese beiden waren offensichtlich in ihre Bräute verliebt.
»Ja, Antonie und Francisca sind beide fröhliche Wesen, die in die Welt passen«, dachte die Tante. Aber Louise? Die Sorgen der Mutter auf ihrem Totenbett waren nur allzu verständlich gewesen. Wie sollte es mit Louise weitergehen, die immer so still und in sich gekehrt war? Sie konnte nur hoffen, dass die Kleine hier in Dresden ein wenig auftaute. Sicher würde sie Geschmack finden an Bällen und feinen Kleidern. Welches junge Mädchen hatte keine Freude daran?
In diesem Moment betraten Antonie und Francisca den Raum in schicken Kleidern und passenden Hüten. Hinter den beiden lugte Louise etwas skeptisch ins Zimmer.
»Wohin wollt ihr denn?«, fragte Tante Therese mit einiger Überraschung. »Seid ihr denn nicht müde von der Reise? Außerdem ist es schon so spät.«
»Wir wollen essen gehen und dann tanzen«, sagte Antonie und drehte sich, um ihren weiten Rock zum Schwingen zu bringen. »Du musst dir keine Sorgen machen, Tantchen. Wir haben unsere starken Beschützer dabei, die auf uns aufpassen.« Sie zwinkerte ihrem Julius zu. Die beiden Bräutigame hatten sich erhoben, um sich von der Tante zu verabschieden.
»Aber bringen Sie mir die Mädchen wohlbehalten wieder nach Hause! Ach, und eh ich es vergesse: Die beiden Herren können leider nicht in meiner Wohnung übernachten. Für Sie habe ich Zimmer reserviert in einem hübschen kleinen Gasthof, direkt um die Ecke. – Und nun habt viel Freude!«
Louise seufzte. Sie war müde und wollte, sie wäre schon wieder zu Hause.
Stunden später lag sie endlich in ihrem Bett. Sie war so übermüdet, dass sie nicht einschlafen konnte. An den gleichmäßigen Atemzügen der Schwestern hörte sie, dass die beiden längst träumten – wahrscheinlich von dem Ball, der Musik und ihren Bräutigamen. Für sie selbst war das alles eine einzige Tortur gewesen: der überfüllte Saal, die laute Musik, die Menschen, die alle durcheinanderredeten, sodass sie keiner Unterhaltung folgen konnte. Die Mühe, sich ständig krampfhaft gerade zu halten, damit man nicht auf den ersten Blick ihren Buckel bemerkte …
Natürlich verstand sie sich mit ihren Schwestern und war glücklich, dass sie viele ihrer Interessen teilten. Antonie und Francisca interessierten sich auch für Literatur, hörten genau wie Louise immer gerne zu, wenn während der Hausarbeit vorgelesen wurde. Und natürlich lasen sie selbst gerne. Sie nahmen Anteil am Tagesgeschehen, hatten sich gefreut, dass die Vormundschaft endlich aufgehoben war, nur um sich im nächsten Jahr in die Vormundschaft der Ehe zu begeben. In der Zeitung lasen sie zwischen den Zeilen – wohin die Zensur nicht schaute – von Missständen in Sachsen. Sie sahen ebenso die armseligen Schatten, die in den Straßen unterwegs waren, aber das alles schien sie nicht so tief zu treffen, wie es Louise traf. Woran lag das, dass sie so viel unbeschwerter durchs Leben gingen, fragte sich Louise oft. Würde sie ebenso werden, wenn sie im Alter der Schwestern war? Aber nein. Sie konnte sich noch gut daran erinnern, dass sie dieses Anderssein schon lange spürte, auch als die Schwestern noch wesentlich jünger gewesen waren – in einem Alter, das sie selbst schon überschritten hatte.
Würde sie jemals einen Mann treffen, den sie lieben könnte?
Louise sehnte sich nach einem Theaterabend und hoffte auf Caroline von Bonniot, die Freundin ihrer Mutter. Ihr hatte sie von ihrem Kommen geschrieben und angefragt, ob ein Theaterbesuch möglich sei. In der Hoffnung auf einen Abend, an dem sie wirklich Spaß hatte, schlief Louise endlich ein.
Beim Frühstück wurde besprochen, auf welchen Ball die beiden Paare abends gehen wollten. Sehr zum Missfallen der beiden Bräutigame war es für die Tante eine Selbstverständlichkeit, die jungen Leute zu begleiten. Die Tante bot Louise zwinkernd an, auf dem nächsten Ball ihre Beziehungen zu guten Familien spielen zu lassen, doch Louise lehnte dankend ab.
Erleichtert hörte sie Caroline von Bonniots Läuten und warf sich ihren Mantel um.
»Bis später, liebe Tante!«, rief sie noch und war schon aus der Tür. Die Tante hörte ihre fröhlichen Sprünge die Treppen hinunter.
»Lass sie nur, Tante Therese. Sie soll ihre Freude haben. Und das ist nun mal das Theater und nicht der Ballsaal.«
Unterdessen begrüßten sich Louise und Caroline herzlich.
»Na? Hat Tante Therese dir noch immer keinen Ehemann besorgt?«
»Dieser Kelch möge an mir vorübergehen«, grummelte Louise. Dann atmete sie einmal tief durch. In der Gegenwart Carolines fühlte sie sich deutlich wohler. Auch Caroline von Bonniot war verwitwet, aber dies schien die einzige Gemeinsamkeit zwischen ihr und Tante Therese zu sein. Caroline kleidete sich in eine schlichte, klare Eleganz, die Louise sehr bewunderte. Louise trug wie immer ein himmelblaues Kleid, darüber einen Mantel aus brauner Wolle. Handschuhe und ein kleiner Hut vervollständigten die Garderobe.
»Komm, jetzt gehen wir erst einmal durch die Stadt. Du willst sicher die Frauenkirche sehen.«
»Und ob! Denn unsere Frauenkirche in Meißen ist da wohl kein Vergleich«, rief Louise glücklich und hakte sich bei Caroline unter.
Im Café Français in der Waisenhausstraße stärkten sie sich für den Abend.
»Heiße Schokolade ist besonders hier eine Köstlichkeit. Du musst sie unbedingt probieren. Und dazu die Haustorte. Einfach himmlisch.«
Der Kellner brachte das Bestellte und die beiden, hungrig von ihrer Stadttour, aßen mit Appetit.
»Und? Ist es sehr schlimm mit Tante Therese?«, fragte Caroline, nachdem sie sich den Mund mit der Serviette abgewischt hatte.
Louise machte dicke Backen und ließ langsam die Luft entweichen.
»Nächstes Jahr werde ich einundzwanzig Jahre alt. Dann bin ich mündig. Dann darf ich über mich selbst bestimmen. Dann kann ich selbst entscheiden, was ich mit meinen Mieteinnahmen mache, mit wem ich mich wann und wo treffe, was ich lese. Gut, ich glaube nicht, dass Julius und Heinrich meinen Schwestern allzu viele Vorschriften aufbürden werden, aber es ist doch ein anderes Gefühl, wenn man wirklich auch vor dem Gesetz frei ist und nicht wie ein Kind einen Vormund braucht. Nachdem unsere Eltern gestorben waren, mussten wir einen Vormund haben. Nicht einmal Tante Malchen zählte. Eine gestandene Frau von über fünfzig Jahren! Ich muss zugeben, ganz so gestanden ist die Tante nicht. Sie hat sich gut eingerichtet in ihrer Unmündigkeit und fand es gar nicht wichtig, dass sie im letzten Jahr auch mündig wurde. ›Was soll mir das bringen?‹ hat sie gefragt. ›An meinem Leben ändert sich doch nichts.‹ Sie denkt tatsächlich so.«
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