Autor |
Publikation |
Beginn |
Ende |
Belz, Carl |
1969 |
1953 |
1961 |
Gillett, Charlie |
1970 |
1954 |
1971 |
Shaw, Arnold |
1974 |
1954 |
1960 |
Tosches, Nick |
1984 |
1945 |
1956 |
Dawson, Jim & Propes, Steve |
1992 |
1944 |
-- |
Garofalo, Reebee |
1997 |
1950 |
1959 |
Johnstone, Nick |
2007 |
1954 |
1958 |
Abb. 1: Beginn und Ende der Rock and Roll-Ära in verschiedener Fachliteratur
Es bleibt in dieser Frage also einiger interpretatorischer Spielraum, was vermutlich damit zusammenhängt, dass Rock and Roll neben der Bezeichnung für ein musikalisches Genre der 1950er Jahre in einer zweiten, sehr viel unverbindlicher gebrauchten Bedeutung als eine jugendlich-rebellische Geisteshaltung verstanden wird, die sich aus den Biographien einiger Figuren der Populärkultur herauslesen lässt und längst nicht auf den Bereich der Musik begrenzt ist. In der Literatur sind es Autoren wie Jack Kerouac, im Bereich Film Schauspieler wie Marlon Brando, James Dean und Marilyn Monroe, in der Kunst Maler wie Jackson Pollock, die sowohl in der öffentlichen Wahrnehmung als auch in ihrer privaten Lebensführung zum Teil bis heute für eine wilde, intuitive und unangepasste Lebensweise ohne Rücksicht auf Verluste, den sogenannten Rock and Roll-Lifestyle stehen. Zusätzlich erschwert wird die Sachlage durch den Umstand, dass diese Geisteshaltung natürlich nicht auf das Zeitalter des Rock and Roll beschränkt ist, sondern sowohl vorher und in der medialen Wahrnehmung der Pop/Rockkultur vor allem danach in allen möglichen Schattierungen als eines der Grundelemente einer künstlerischen Biographie gilt (Bertrand 2005, Barker 2007).
Um die Ära des frühen Rock and Roll einerseits von den folgenden Musikstilen mit musikalischen Anteilen des Rock and Roll, auf der anderen Seite aber auch von mythologisch aufgeladenen Rock and Roll-Livestyle abzugrenzen, hat sich in Fachkreisen teilweise die Bezeichnung „Early Rock and Roll“ herausgebildet. Durch den Zusatz Early sind Musikstile der 1960er Jahre und folgende definitiv aus der Auswahl ausgeschlossen. Eine für die vorliegende Arbeit nötige Eingrenzung des Begriffs erfolgt im nächsten Abschnitt.
1.1.2 Zeitliche und territoriale Eingrenzung
„[…] It was in the brief span between 1954 and 1956 that the rock aesthetic displaced the jazz-based aesthetic in American popular music.“ (Peterson 1990, S. 97)
Um eine Untersuchung von einflussreichen und bedeutenden Instrumentalparts einer Ära vorzunehmen ist es erforderlich, das zu untersuchende Genre zeitlich und territorial einzugrenzen. Auch wenn Angaben zu Entstehungszeit und ersten Manifestationen unter Spezialisten divergieren, so lässt sich ohne Gefahr behaupten, dass der Musikstil Rock and Roll eine erwähnenswert große Bedeutung in der Öffentlichkeit ab dem Jahr 1954 entwickelt hat. Als Marker für den Beginn gelten Aufnahme und Veröffentlichung von Bill Haleys „Rock around the clock“ und Elvis Presleys Sun-Debut-Single „That’s all right“ (beide 1954). Obwohl „Rock around the clock“ erst Anfang 1955 als Soundtrack zu dem Film „Blackboard Jungle“ seine volle kommerzielle Durchschlagskraft entfaltet (Dawson 2005) und die ersten fünf Sun-Singles von Elvis Presley der Jahre 1954/55 nur regionale Erfolge in seiner Heimatstadt Memphis, Tennessee werden (Escott 1991), so werden gerade diese beiden Titel allgemein als Wendepunkt in der Geschichte der Populärmusik interpretiert und bleiben in keiner ernstzunehmenden Geschichtsschreibung des Genres unerwähnt (Belz 1972, Gillet 1980, Dawson 1992, Friedlander 1996, Tosches 1999, Stuessy 1999, Reebee 2002, Johnstone 2008). Der Höhepunkt des Genres kann mit Presleys großen, nationalen und bald auch internationalen Erfolgen nach seinem Labelwechsel von Sun Records zu RCA-Victor datiert werden. Ab der ersten RCA-Veröffentlichung „Heartbreak Hotel“ im Frühjahr 1956 landet diese und jede weitere Single-Veröffentlichung bis zum Antritt seines Militärdienstes sofort in den Top-10 der Billboard-Charts. Neben Presley, der nach Verkaufszahlen und Medienpräsenz in den 1950er Jahren das Genre klar dominierte, konnten aber auch andere Musiker und Bands des Rock and Roll in der Zeit um 1956 große kommerzielle Erfolge feiern. Die alteingesessene amerikanische Schallplattenindustrie, die das Genre und ihre Künstler anfangs noch als „fad“ (engl.: Moderscheinung) belächelt hatte (Gillett 1980, Reebee 1991), geriet mit dem anhaltenden kommerziellen Erfolg Presleys und anderer Künstler (z.B. Chuck Berry, Little Richard, Jerry Lee Lewis oder Carl Perkins), die bei kleinen, unabhängigen Labels unter Vertrag standen zunehmend unter Zugzwang. Sie suchten neue Künstler und es eröffneten sich dadurch Chancen für nachfolgende, junge Musiker einer zweiten Generation (Friedlander 1996) wie Buddy Holly, Eddie Cochran oder Gene Vincent (Tschmuck 2003).
Kehrseite dieser großindustriellen Suche nach jungen Talenten der Schallplattenindustrie war die Entstehung des sogenannten Schlock Rock (Gillet 1980, Reebee 2002). Im Fahrwasser des Sängers Pat Boone, der schon ab Mitte der 1950 Erfolge mit entschärften Coverversionen erfolgreicher Rock and Roll-Titel feiern konnte, entstanden ab 1958 immer mehr für das Selbstverständnis der weißen Mittelschicht ungefährliche, in ihrer musikalischen und textlichen Aussage entschärfte und von der Industrie kontrollierte Musik jugendlicher Sänger wie z.B. Paul Anka, Connie Francis, Neil Sedaka, Bobby Vee und Bobbie Vinton.
Das Ende des Genres kann mit dem Ausklang des Jahres 1960 datiert werden. Die meisten wichtigen Vertreter hatten im Anschluss keine Hits mehr (Bill Haley, Little Richard, Chuck Berry, Carl Perkins, Gene Vincent), wechselten das Genre (Elvis Presley, Jerry Lee Lewis, Johnny Cash) oder waren verstorben (Buddy Holly, Ritchie Valens, Eddie Cochran). Besonders der Einzug von Elvis Presley zum amerikanischen Militär im Jahr 1958 und der damit verbundene stark reduzierte musikalische Output bis zu seiner Entlassung im Jahr 1960 deuteten eine einschneidende Veränderung bereits deutlich an. Sein von ihm und seinem Management gleichzeitig aktiv betriebener Imagewechsel vom Rock and Roll-Rebell zum singenden und tanzenden Schauspieler in kommerziell erfolgreichen, aber musikalisch und inhaltlich anspruchslosen Kinoproduktionen wurde von späteren Beobachtern mit großer Enttäuschung aufgenommen. Im Jahr 1980 sagt John Lennon: „Elvis really died the day he joined the army [1958]. That‘s when they killed him, and the rest was a living death.“ ( www.elvispresleynews.com/Beatles.html) Der Tod von Buddy Holly bei einem Flugzeugabsturz am 3. Februar 1959 wurde von der folgenden Generation gar als „the day the music died“ (McLean 1972) begriffen. Die Ära des klassischen Rock and Roll wurde ab Ende der 1950er Jahre schleichend abgelöst vom bereits erwähnten Schlock-Rock, dem amerikanischen Folk-Revival und ab dem Jahr 1964 schließlich und endlich von den Bands der British Invasion. Wie bei jedem Ausklang einer Ära waren die Übergänge aber auch hier fließend und so wurden noch bis in die frühen 1960er Jahre Titel veröffentlicht, die - zumal aus gitarristischer Sicht - noch dem Rock and Roll zugerechnet werden können z.B. von Ricky Nelson, Roy Orbison oder einige später dem Surf Rock zugerechnete Titel (Gillet 1980, Reebee 2002).
Territorial wird die Untersuchung auf die Bundesstaaten der USA begrenzt, da Rock and Roll seiner Entstehung nach ein amerikanisches Phänomen darstellt. Nicht-amerikanischer Musik im Stile des frühen Rock and Roll kann zumeist schnell ein direkter amerikanischer Einfluss nachgewiesen werden. So wird der in England ab 1958 kommerziell erfolgreiche Sänger Cliff Richard in dieser Untersuchung nicht berücksichtigt, weil er insbesondere in den späten 1950er und frühen 1960er Jahren in den USA nicht einen einzigen Top-Ten oder Top-40-Hit landen konnte und auch aus instrumentenspezifischer Sicht keinerlei Einfluss auf die Entwicklung des Genres in den USA nahm. Auch deutsche Rock and Roll-Interpreten wie Ted Herold, Peter Kraus oder Tommy Kent sind nationale Phänomene, wie sie in Folge der weltweiten Vermarktung des Rock and Roll auch in anderen Ländern entstehen. Sie spielen in der internationalen Wahrnehmung des Genres keine Rolle.
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