»Nur weil er in North Queensferry wohnt, bedeutet das kaum, dass er ständig mit dem Feldstecher am Ufer sitzt. Stellt er noch der alten Armour nach?«
»Ist das eine Redeweise! Ich weiß es nicht. Sie gibt mir keine Antwort und er sendet mir schottische Weisheiten.«
»Molto interessante! Hauptsache, er will uns nicht wieder bei den Ermittlungen helfen. Jetzt müssen wir rechts abbiegen und den Hang hoch.«
»Ojemine!«
»Ist es das erste Mal, dass Panicker in geschäftlichen Schwierigkeiten steckt?«, fragte Alberto, und ging auf das theatralische Gestöhne nicht ein.
»Soweit ich weiß, ja. Thomasina meint, wir sollen den Gentleman bauchpinseln. Inder mögen es, wenn man zum Beispiel ihr Land und Essen lobt.«
»Mit dem Essen ist das so eine Sache …«
»Keine Sorge, ich werde die Introduktion übernehmen. Vergiss nicht, du bist mein Assistent.«
»Wir sind da, Angus! Sieh dir diese Villa an. Hat bestimmt ein Vermögen gekostet. Sein Geschäft scheint gut zu gehen. Komm, wir gehen einmal um das Grundstück herum.«
»Puh«, erwiderte MacDonald und schleppte sich hinterher. Panickers Anwesen durfte man mondän nennen: mehrere aneinandergereihte Häuser, mit Flachdach und schrägen Vordächern, die auf Säulen ruhten. In Indien wären sie hundert Jahre zuvor nicht aufgefallen. Dem schottischen Regen waren die saftigen und perfekt ziselierten Grünanlagen zu danken. Vor der Tür parkten ein goldener Rolls Royce und ein weißer Ambassador mit den personalisierten Kennzeichen P – AP 1 und P – AP 2. »Nicht zu fassen!«, sagte Angus und beäugte den gut fünfzig Jahre alten, geräumigen Oldtimer. Seiner rundlichen Form halber nannte man ihn auch schwangerer Büffel.
»Zwei Wagen, ja«, antwortete Alberto, für den ein Auto nur der schnellen und bequemen Fortbedienung diente, trocken.
»Einen Amby sieht man in Edinburgh nicht alle Tage!«
»Altes Auto, neu lackiert.«
»Weit gefehlt. Ein Ambassador darf Unikat genannt werden. Sein Besitzer fühlt sich in die Fünfziger Jahre gezaubert.«
Hinter den Gebäuden lag ein ausgedehnter Garten. Exotische Früchte fehlten, doch mit zwei geräumigen Treibhäusern wehrte sich der Besitzer gegen den meteorologischen Nachteil. »Im Vergleich sind die Peperoncini in unserem Gewächshaus Zwerge. Gut, dass Maria das nicht sieht. Sie würde Depressionen bekommen. Ich frage mich, ob er den Schuppen heizt.«
Angus zückte sein gutes Baumwolltaschentuch im Familientartan, tupfte sich die Schweißperlen von der Stirn und drückte mit Zeige- und Mittelfinger auf den großen Klingelknopf.
Ein Diener in maßgeschneiderten, schwarzen Hosen, weißer Livré und Handschuhen öffnete die Tür. Er war offensichtlich überrascht, die Herren zu sehen. »Sie wünschen?«, fragte er mit schottischer Intonation.
Von seiner immens großen Nase und dem stark geölten Haar waren beide Besucher irritiert. »Wir, äh, haben eine Verabredung mit Mister Panicker.«
»Treten Sie bitte ein, Gentlemen, und nehmen Sie Platz.«
»Wo sollen wir uns denn hinsetzen?«, flüsterte Alberto.
»Wäre es hier kommod, mein Herr?«, fragte der Diener und zog einen großen Vorhang zur Seite: zwei vollschlanke Sessel und ein Sofa tauchten auf. Auf einem der Sessel stand ein gelbwurzfarbener Karton mit Pathia-Soße, den er eilig an sich nahm. »Wer den wohl hier vergessen hat?«, sagte er mehr zu sich selbst. »Ich bin gleich zurück, Gentlemen.«
Alberto sah zu Angus, der nickte, weil ihm dieses Benehmen auch ungewöhnlich vorkam.
»Mister Panicker wartet in seinem Arbeitszimmer. Wenn Sie mir bitte folgen wollen?« MacDonald erhob sich ächzend. Die Hand, mit der Alberto ihn hochziehen wollte, wies er ab. Sie gingen im Gänsemarsch durch eine majestätische Halle, geflutet von mehreren Kronleuchtergebinden. Die monatliche Stromrechnung musste horrend sein und Vitiello wollte auch gar nicht daran denken, was ein Palast dieser Größe kostete, teure Tapeten mit indischen Ornamenten, tadellos gebohnertes Parkett und erst die Antiquitäten, mannshohe Standuhren, ausgestopfte Tierköpfe, Ritterrüstungen; insgesamt ein Sammelsurium zweier Länder des ehemaligen Empire: Indien und Großbritannien. Das Haus hätte einem Raj gehören können, jenen Briten, die sich in ihrer Kolonie einst jedweden Luxus gönnten.
Nach etwa zehn Metern blieb der Butler vor einem hohen, verhüllten Gegenstand stehen. »Ich muss Sie nun inspizieren, meine Herren.«
»Was hat er gesagt?«, fragte Alberto.
»Dass ich Sie inspizieren muss.«
Der Italiener schüttelte den Kopf. »Angus, red du bitte mit ihm.«
MacDonald, über das seltsame Begehren ebenso erstaunt, hob an: »Das wird nicht nötig sein. Mister Vitiello und ich sind friedliebende Menschen.«
»Es tut mir sehr leid, doch Mister Panicker hat mir strikte Anweisung gegeben.«
Alberto sah seinen Freund frustriert an.
Der Butler zog das Tuch zurück. Eine Security-Tür mit Beistelltischchen! »Wir wollen keine Flugreise antreten«, informierte MacDonald ihn und starrte die Utensilien an.
»Sie haben einen guten Sinn für Humor, Mister MacDonald. Wenn ich das sagen darf. Unsere Sicherheitsbestimmungen sind zugegebenermaßen dieselben. Schlüssel, Münzen und dergleichen Dinge legen wir bitte in das Kästchen auf dem Tisch. Dürfte ich auch um Ihre Aktenmappe bitten, Sir?« Er nahm an dem Tischchen Platz und sortierte ohne eine Gefühlsregung den Inhalt der Mappe: »Ein Notizbuch, Lederetui mit Füllfederhalter und Kugelschreiber sowie ein Päckchen Minzbonbons für frischen Atem.«
MacDonald zog sein Portemonnaie aus dem Harris-Tweed-Jackett und reichte es ihm. Der wichtigste Gegenstand würde unbemerkt in den Weiten seiner Innentaschen verbleiben …
Alberto sah ihm zu. Wenn er sich zum Gespött machen wollte, war das seine Sache! Als ob es nicht genügte, dass er die Fregatte bei sich wohnen ließ, um seine Chancen bei der jungen Frau zu steigern.
Angus ging durch die Tür. Der Diener bat ihn, die Arme zu heben, was er bereitwillig tat. Nun war Alberto an der Reihe.
»Wenn Sie so freundlich wären, Gentleman?«
Vitiello knirschte mit den Zähnen und warf mehrere Ein-Pfund-Münzen mit Wucht in das Kästchen. Dann ging er ebenfalls durch die Tür.
»Ich danke Ihnen, meine Herren. Es ist alles in Ordnung.«
»Bleibt die Tür hier stehen?«, erkundigte der Italiener sich. Angus schob ihn weiter. Sie gingen um die Ecke, dann noch einmal, und nach MacDonalds Berechnung befanden sie sich jetzt auf der Rückseite des Hauses, dem Garten zugewandt. Über der Bürotür des Hausherrn hing ein sinnträchtiger Spruch: A puir man is fain o little.
»Was heißt das?«, raunte Alberto, der kein Scots sprach, seinem Freund zu.
»Ein armer Mann schätzt auch kleine Dinge«, antwortete Angus leise.
»Porca miseria! Das sagt sich leicht, wenn man Multimillionär ist!«
»Haud yer wheesht ! Schweigen sollst du! Gute Manieren sind kein Luxus, sondern die Säulen jeder zivilisierten Gesellschaft.«
Trainierte Nonchalance ließ den Diener diesen Zwischenfall ignorieren. Er zeigte mit gestrecktem Arm zur Tür. »Wenn die Herren so weit wären …?«
MacDonald nickte großbürgerlich. »Unbedingt!«
Das Faktotum öffnete die dicke Eichentür. »Sir, Mister MacDonald und sein Begleiter sind bereit.«
Panicker blickte von einem Stapel Unterlagen auf, stand auf und kam ihnen mit gewaltigen Schritten entgegen.
Meine Güte, Demonstration des gestressten Businessman!, dachte Vitiello.
»Wie freue ich mich, Sie zu sehen, Misder MacDonald.« Er zeigte zwei Reihen unnatürlich perfekter Zähne. »Nichd jeden Dag hat man einen Verdreder der schreibenden Glasse im Hause. Einen Mann wie mich, der nur bescheiden Lebensmiddel verkaufd, ehrd das sehr.«
Angus wusste sofort, warum sein Freund den Zeigefinger hob. Er wollte fragen, was Verdreder und Glasse bedeuteten. Also hauchte er ihm die Information zu: »Vertreter und Klasse.« In Kombination mit Panickers Oxford-Akzent wirkte diese indische Eigenart drollig. Nach dem Gespräch sollte er Alberto erklären, dass ein Inder es extrem übel nahm, wenn sein Gegenüber den Finger hob.
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