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»Büb! Mir zwei! Un’ et janze Johr Sommer!« An einem vergraupelt-vermatschten Heiligabend in Köln, gerade mit gebrochenem Herzen in einer Horrorfahrt aus Horrorstadt zurück, klingt so ein Song vom Sommer an der Côte d’Azur ziemlich verlockend – aber was sollte ein Schlagzeugberserker wie ich zwischen Bambusflöten wringenden, Gitarre zupfenden Hippies? »Kei’ Problem, Büb! Jeder kann Jitta’ spille!«*, hatte ’noh trompetet.
Er hatte mich begrüßt wie den lange verlorenen Sohn, nach meinem ziemlich misslungenen Versuch, in München Fuß zu fassen, obwohl wir uns im Frühjahr davor mit einem ziemlichen Krach getrennt hatten. Wir alle von Penner’s Radio hatten’s reichlich satt gehabt – den ewigen Tourneeschlauch, die ständigen Benefizkonzerte, all die Nächte auf zu kalten Matratzen nach heißen Abenden mit zu warmem Bier. Die zähen Tage, an denen man mit matschiger Birne auf ein paar hundert Kilometer Mittelstreifen stiert. Die Abzockereien von Veranstaltern, Agenturen und der kleinen »alternativen« Plattenfirma, die von unserem Hitalbum Wat dä Driss soll?!? – Penner’s Radio live in Habbelrath wahrscheinlich an die achtzehntausend Stück verkauft, aber bis heute nur neuntausend an uns abgerechnet hatte. Die Anlagenschlepperei, den Kampf gegen unseren Schuldenberg, gegen das Finanzamt, gegen das Getriebe und den ewig lockeren Auspuff unseres alten Opel Blitz.
Und dann all die fruchtlosen Diskussionen – die Frauenbewegerinnen hielten uns für heuchlerische Chauvis (»Was singt Ihr da – Eva, wenn du so mit deinem Fischbrötchen lachst? – Schwanz ab!«), die Autonomen für Kommerzsäue (»Ihr spielt doch bloß ohne Gage für unser Jugendzentrum, weil ihr Werbung für eure Platten machen wollt!«), die Konservativen für Anarchisten (»Ihr liefert doch die Hymnen für die RAF-Sympathisanten!«), die Politfreaks für unpolitische Klamaukrocker, und für ein Heer von Polizei– und Zollbeamten waren wir anscheinend alle Rauschgift schmuggelnde Terroristen (»Fahren Sie bitte mal rechts ran! Aussteigen, den Laderaum öffnen und ausladen!«)…
Und nicht zuletzt gingen wir uns selber gegenseitig ziemlich auf die Nerven: Weiter kölsch singen oder lieber hochdeutsch oder nicht doch besser gleich englisch? Mehr Geblödel oder mehr Politik? Mehr Jazz (Emerson, unser Organist)? Mehr Punk (Veedelvüür, der linke Gitarrist, von meinem Schlagzeughocker aus gesehen)? Zielstrebig auf die Hit-Single los (Veedelnoh, der rechte)? Mehr Showeffekte für Eiermann, unseren Bassisten? Schnellerhärterlauter für mich, Büb Klütsch, den sie auch Kanaldeckel’s Büb nennen, weil ich mein Schlagzeug-Set eher auf Autofriedhöfen zusammenklaube als bei metro-music ?
Monatelange zermürbende Gruppenhydraulik hatte dann zu der Entscheidung geführt, Penner’s Radio für ein Jahr zu beurlauben. Oder so. Also den Blitz, unsere Anlage und unseren Proberaum an die Kollegen von Coppercabana Silver vermietet, im guten alten Maschinensaal der ehemaligen Stollwerck-Schokoladenfabrik noch ein denkwürdiges Abschiedskonzert hingelegt, nach dem nicht nur mein Schlagzeug in Trümmern lag, noch mal gemeinsam die Kante gegeben, zwei Tage Komaland – und dann die vorläufige Endabrechnung für fünf Jahre Penner’s Radio abgesegnet (nach Begleichung aller offenen Rechnungen für jeden sechshundert Mark, sowie vierhundert Platten und zweihundert Poster, die jeder selbst zu Geld machen durfte), bevor wir uns in alle Windrichtungen zerstreuten, um auf den Serpentinen der Selbstfindung und Selbstverwirklichung ein paar Raststätten weiterzukommen. Hardnose the highway * …
»Dat war ’n Abschiedsgig, wa’, ’noh?« Er hockte vor mir und drehte sich meinen Schädel zurecht, um mir die Blutkruste abzuwaschen. Leider benutzte er Meerwasser dazu, und ich war nahe dran, ihm eine zu kleben, aber ich hatte keine Hand frei – in der einen hielt ich eine halb volle Pulle Rotwein und in der andern eine von diesen dicken krummen Zigaretten, die Françoise spliff nannte. Eigentlich mochte ich sie nicht sonderlich (die Zigaretten), aber sie (Françoise) hatte mich überzeugt, dass sie gut gegen all meine Wehwehchen seien. Ich fand, dass sie mich nur besoffen machten, und nahm noch einen ordentlichen Schluck Roten, um gegenzusteuern.
»Dich kann man auch nich’ mal einen Abend alleine lassen, wie?«, knurrte er.
»Ich war nich’ allein.«
»Ach?«
»Na ja – am Anfang je’nfalls nich’. Un’ dann war ich noch kurz so was hier trinken«, erklärte ich und schwenkte die Flasche Richtung Kehle. »Un’ dann kam Blondie dazu.« Ich begann darüber nachzugrübeln, wie das Treffen überhaupt abgelaufen war.
»Mach’s nich’ so spannend, Büb!« Ich zuckte mit den Schultern. Autsch!
»Ich glaub’, er mag unsre Musik nich’. Er meint, wir würden ihm und seinem Rauschgoldengel das Geschäft versauen. Ich sag’ ihm, dass mich sein Geschäft nich’ interessiert, ein Wort gibt das andere …«
»Un’ dafür schlägt er dir den Schädel ein?«
»Na ja – er schreit reichlich rum un’ geht mir auf’n Sack, deswegen setz’ ich ihn draußen in den Blumenkasten vorm Boubou . Dann kommt er ziemlich sauer wieder rein und meint, wir sollen uns ’nen andern Platz suchen und schlägt so was wie Auschwitz vor. Daraufhin schlägt – eh, ich weiß nich’ mehr, wie sie hieß –, ihm vor, sich zu verpissen. Er gibt ihr ’n paar unfeine amerikanische Namen, un’ sie haut ihm ihre Crêpe Niçoise in die Fresse. Mit Teller. Er scheuert ihr eine, ich sag’ ihm, das reicht, und er –«
»Meinste, damit kriegste deine Erbsenprinzessjen endlich rum? Mit Blumenkinder verhauen?«
»Das waren keine Blumen – das war ’n Stilett. Un’ außerdem woll’n wir beide uns doch wohl nich’ unsere – eh …, Urlaubsbekanntschaften vorhalten …« Ich warf einen Seitenblick auf Françoise, die auf einer Bastmatte zwei Meter weiter im Lotussitz neben dem schnarchenden kleinen Frankfurter hockte und sich die meterlangen Haare frottierte. Sie strömte einen Moschusduft aus, dass ich mich wunderte, noch keine Büffel antraben zu hören. ’noh schnüffelte und grinste.
»Immerhin hat mir meine heute Mittag nach meinem kleinen Solokonzert in St. Raphael genug Zlotys für’n Abendessen eingesammelt. Ohne Tamburin.« Ich schielte fragend an ihm hoch. »Und ohne Oberteil,« fügte er achselzuckend hinzu.
»Und was hast du gesungen?«
»So – fertig,« verkündete er und erhob sich. »Siehs’ wieder halbwegs menschlich aus. Wenn du bis heut’ Abend wieder nüchtern bist, laden wir dich ein.« Ich stöhnte. Schon wieder Saufen?
»Zum Essen!« Ach so.
»Und was hast du gesungen?« Er nahm seine Klampfe und schüttelte eine Art Doobie Brothers-Riff aus dem Ärmel. Dann räusperte er sich und gab mit Falsettstimme When You’re In Love With A Beautiful Woman zum besten, die Nummer, mit der Dr. Hook letztes Jahr in die Hitparade geraten waren »Ach du Scheiße – kann man sich in St. Raph’ auch nich’ mehr blicken lassen! Langer Weg vom Freaker’s Ball bis dahin …« Aber er ließ sich nicht stören. Gitarre spielen konnte er ja, das musste ich ihm lassen.
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Deswegen hatte er ja auch so wohlgemut die Pause von Penner’s Radio angetreten – es hatte ja tatsächlich schon ein paar von den EMI-, OMI-, IMI- und ATA-Talentscouts gegeben, die was von ihrem Job zu verstehen schienen und ihn für ihre jeweilige Firma abzuwerben versucht hatten. Aber jedes Mal hatte er abgewinkt, wenn sie nicht bereit waren, unsere gesamte Kapelle unter Vertrag zu nehmen – obwohl es ihn schon schwer gereizt hatte:
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