Das eine, einzig wahre Weltbild gibt es schlicht nicht!
Was will uns all das nun für das Thema dieses Buchs sagen? Die Antwort lautet: Es gibt auf alles in dieser Welt unterschiedliche Sichtweisen – und jede Sichtweise hat ihre Berechtigung. Es ist ja auch nicht so, dass durch das Auftauchen neuer Erkenntnisse alle alten Erkenntnisse umgehend ihren Wert verlören. Und wenn man nur ein einfaches Problem zu lösen hat, dann wird dafür ein einfaches (wenn auch nicht in allen Einzelheiten „wahres“) Erklärungsmodell oft nützlicher sein, als ein zwar aktuelles, aber schlicht zu komplexes Modell – so wie jeder von uns eben zum „Geozentriker“ wird, wenn er ein bestimmtes Sternbild sucht oder am Stand der Sonne die Tageszeit abschätzen möchte.
Auch wenn ich in diesem Buch also neue – bislang in der gängigen Medizin noch nicht allgemein wahrgenommene – Forschungsergebnisse vorstelle und mit Erkenntnissen aus zahlreichen anderen Wissenschaftsbereichen verbinde, dann meine ich nicht etwa, damit nun die „eine einzige Wahrheit“ über das Herz zu präsentieren. Obwohl ich natürlich fest davon überzeugt bin, dass es für die Herzmedizin mehr als nützlich wäre, sich (fachübergreifend) neuen Erkenntnissen zu öffnen! Denn wenn ich als Arzt nicht nur weiß, sondern wirklich verstanden und erfahren habe, dass das Herz über eine eigene Intelligenz verfügt und in höchst realer Weise das Zentrum unseres Gefühlslebens ist, dann wird mir das eine völlig neue Sicht auf viele Zusammenhänge in unserer Welt ermöglichen. Wenn es aber darum geht, durch eine Ultraschalluntersuchung des Herzens (Echokardiografie) herauszufinden, wie ein Herz konkret arbeitet und wie seine Herzklappen funktionieren, dann wird der engere, aber eben auch einfachere Blick auf das „Herz als Pumpe“ vielleicht der angemessenere sein. Ebenso wird es sein, wenn es zum Beispiel gilt, ein Kunstherz zu konstruieren oder eine Herztransplantation durchzuführen.
Generell lässt sich also sagen: Für bestimmte Untersuchungen oder um die exakte Wirksamkeit bestimmter Medikamente einschätzen zu können, mag das „alte“ Bild vom Herzen genügen. Sobald ich aber nach Therapieansätzen suche, die über das rein Körperliche hinausgehen, muss sich der Blick weiten und auch Zusammenhänge einbeziehen wie die zwischen Stress und Gefühlen, ja, sogar von Meditation, Gebet und Verzeihenkönnen. Schaue ich als Arzt hingegen allein auf das Herz mit seiner ohne Zweifel beeindruckenden „Mechanik“, dann werde ich vielleicht auch dann zum Beispiel eine Bypass-Operation als einzige Therapiemöglichkeit erkennen können, selbst wenn mir klar sein sollte, dass ich damit die eigentlichen Ursachen der Herzerkrankung nicht beseitigen kann.
Noch spannender ist es aus ärztlicher Sicht aber, dass ich durch eine erweiterte Kenntnis des Herzens und seiner vielfältigen Aufgaben und Fähigkeiten, neue Therapiemöglichkeiten sogar bei Krankheiten, die scheinbar mit dem Herzen gar nichts zu tun haben, zu sehen vermag (wie Krebserkrankungen). Ein gutes Beispiel dafür ist der Gastbeitrag von Prof. Dr. Maximilian Moser vom Human Research Institute, führend in der noch recht neuen Wissenschaft der Chronobiologie, der als einer renommiertesten Forscher zum Bereich Herzfrequenz-Variabilität in Kapitel 4 spannende Parallelen zwischen den Funktionen des menschlichen Herzens und musikalischen Phänomenen zieht.
Um es kurz zu sagen: Ziel dieses Buches ist es nicht etwa, bewährte Methoden der Kardiologie zu widerlegen oder beiseitezuschieben, sondern darüber hinausgehend den Blick zu öffnen für die vielfältigen und faszinierenden Möglichkeiten, die die neuesten Forschungsergebnisse gerade auch aus anderen Fachgebieten offerieren.
Und damit eröffnet sich gleichsam nebenbei auch eine völlig neue Sicht auf die Welt, zum Beispiel die, dass das Herz in eine Welt hineinwirkt, in der Raum und Zeit keine Bedeutung mehr haben, bei der sich die Trennung zwischen Ich und Welt auflöst: Wir sind durch das Herz mit dieser Welt verbunden und zwar auf eine sehr unmittelbare Weise.
Der fachkundige Leser wird immer wieder an verschiedenen Stellen im Buch kritische Anmerkungen machen können und vielleicht Studien vorzuweisen wissen, die zu anderen Ergebnissen und Schlussfolgerungen kommen, als den hier vorgestellten. Hierzu möchte ich Folgendes anmerken: Wie wir aus der Quantenphysik wissen (und wie ich es in diesem Buch auch ansatzweise ausführen werde), hat der Beobachter auf das zu beobachtende Objekt einen unmittelbaren Einfluss. Es gibt – das ist eine wichtige Erkenntnis der Quantenphysik – keine wirklich letztgültige, „objektive“ Wissenschaft. Jede Sicht auf die Welt ist durch den Betrachter und sein Erkenntnisinteresse geprägt, wie wir oben andeutungsweise schon gesehen haben.
Auch sind die Grundlagen dessen, was hier dargestellt wird, bei Weitem noch nicht abschließend erforscht, sodass es zuweilen auch einander widersprechende Interpretationen einzelner Sachverhalte geben kann.
Ferner kommt hinzu, dass die hier vorgestellten Ergebnisse zum Teil noch sehr neu sind (zumindest aus Sicht des Mediziners), und dass in den nächsten Jahren viele weitere Erfahrungen und Forschungsergebnisse hinzukommen werden. Der darin begründeten Unzulänglichkeit dieses Buches bin ich mir durchaus bewusst, stand ich doch auch immer wieder vor der Frage, wo eine Grenze zu ziehen wäre bei der Darstellung umgreifender Zusammenhänge. Es geht mir in diesem Buch um einen ersten, neuen Entwurf einer künftigen Herzlehre – auch wenn es in Einzelheiten ganz sicher noch Korrektur- und Diskussionsbedarf gibt.
Letztlich könnte jedes der folgenden Kapitel ein eigenes Buch sein! Deshalb will auch dieses Buch weiter wachsen – und zwar mit Ihrer Hilfe! Gerne dürfen Sie mich auf Fehler, Unzulänglichkeiten, auf Ergänzungen und auf Ihre (gerne persönlichen) Erfahrungen aufmerksam machen. Beziehen sich diese Einwände oder Anregungen auf konkrete Arbeiten anderer forschender Menschen, so bitte ich um die Zusendung der entsprechenden Veröffentlichungen oder Quellenangaben.
Entsprechend sind natürlich auch die Literaturhinweise am Ende der meisten Kapitel keineswegs erschöpfend, sondern stellen nur eine Auswahl möglicher weiterführender Bücher dar!
Zur weiteren Entwicklung der hier vorgestellten Zusammenhänge gibt es auch eine Website im Internet, wo Sie sich über aktuelle Fragen, neue Erkenntnisse und auch über Vorträge und Ähnliches informieren können: www.gesundmacher-herz.de
In diesem Buch sind immer wieder auch praktische Übungen und Hinweise enthalten, die hier allerdings nur angerissen werden können. Während Übungen meist eines gemeinsamen Tuns bedürfen, muss ein Buch doch immer im Abstrakten bleiben. Auf der Website werde ich, soweit meine zeitlichen Kapazitäten dies zulassen, meine Vorträge und Seminare ankündigen; gerade in den Seminaren wird es dann auch um praktische und meditative Übungen gehen. Aber unabhängig davon sollte es Ihnen eine „Herzensangelegenheit“ sein, sich selbst übend auf den Weg zu machen, um die inneren Seiten Ihres Herzens besser kennenzulernen.
Auch das muss noch gesagt werden: Das vorliegende Buch kann, will und darf einen Besuch beim Arzt nicht ersetzen; es darf auch nicht dazu verführen, eigenmächtig Medikamente abzusetzen oder dergleichen. Für solche Schritte bedarf es stets der fachkundigen Begleitung durch einen erfahrenen Arzt oder Heilpraktiker!
Kapitel 1
Das Verständnis vom Herz im Wandel der Zeit
Das Herz als Pumpe anzusehen, ist eine Entwicklung der Neuzeit, geprägt vom abendländischen Geist der Aufklärung. In vielen anderen Kulturen werden mit dem Herzen völlig andere Konzepte verbunden! Sich dies einmal klarzumachen, ist schon deshalb sinnvoll, um so die übliche Anmaßung der westlichen Wissenschaftswelt zu hinterfragen. Dass deren Ansichten in unserer Kultur als die einzig wahren angesehen werden, sagt noch gar nichts aus. Zumal als „Instrument“ der Wahrheitsfindung hier allein ein streng naturwissenschaftliches Vorgehen zugelassen ist – paradoxerweise verbunden mit dem Anspruch der einzig wahren Gültigkeit. Im Grunde handelt es sich dabei um die moderne Form eines geistigen Kolonialismus.
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