Was Kombinationen anderer Art im Kriege leisten können, werden wir erst in der Folge und natürlich nur nach und nach kennenlernen. Wir begnügen uns, hier im allgemeinen ihre Möglichkeit als etwas auf die Abweichung der Wirklichkeit von dem Begriff, auf die individuellen Umstände Gerichtetes anzuerkennen. Aber wir dürfen nicht unterlassen, schon hier die blutige Entladung der Krisis, das Bestreben zur Vernichtung der feindlichen Streitkraft, als den erstgeborenen Sohn des Krieges geltend zu machen. Mag bei kleinen politischen Zwecken, bei schwachen Motiven, geringen Spannungen der Kräfte ein behutsamer Feldherr geschickt alle Wege versuchen, wie er ohne große Krisen und blutige Auflösungen, durch die eigentümlichen Schwächen seines Gegners, im Felde und im Kabinett, sich zum Frieden hinwindet; wir haben kein Recht, ihn darüber zu tadeln, wenn seine Voraussetzungen gehörig motiviert sind und zum Erfolg berechtigen; aber wir müssen doch immer von ihm fordern, daß er sich bewußt bleibe, nur Schleichwege zu gehen, auf denen ihn der Kriegsgott ertappen kann, daß er den Gegner immer im Auge behalte, damit er nicht, wenn dieser zum scharfen Schwert greift, ihm mit einem Galanteriedegen entgegentrete.
Die Resultate von dem, was der Krieg ist, wie Zweck und Mittel in ihm wirken, wie er sich von seinem ursprünglichen strengen Begriff in den Abweichungen der Wirklichkeit bald mehr, bald weniger entfernt, hin und her spielt, aber immer unter jenem strengen Begriff wie unter einem höchsten Gesetz steht: das alles müssen wir in unserer Vorstellung festhalten und müssen uns desselben bei jedem der folgenden Gegenstände wieder bewußt werden, wenn wir ihre wahren Beziehungen, ihre eigentümliche Bedeutung richtig verstehen und nicht unaufhörlich in die schreiendsten Widersprüche mit der Wirklichkeit und zuletzt mit uns selbst geraten wollen.
Drittes Kapitel: Der kriegerische Genius
Jede eigentümliche Tätigkeit bedarf, wenn sie mit einer gewissen Virtuosität getrieben werden soll, eigentümlicher Anlagen des Verstandes und Gemüts. Wo diese in einem hohen Grade ausgezeichnet sind und sich durch außerordentliche Leistungen darstellen, wird der Geist, dem sie angehören, mit dem Namen des Genius bezeichnet.
[66] Wir wissen wohl, daß dieses Wort nach Ausdehnung und Richtung in sehr verschiedenartigen Bedeutungen vorkommt, und daß in manchen dieser Bedeutungen es eine sehr schwere Aufgabe ist, das Wesen des Genius zu bezeichnen; aber da wir uns weder für einen Philosophen, noch für einen Grammatiker ausgeben, so wird es uns gestattet sein, bei einer im Sprachgebrauch üblichen Bedeutung stehenzubleiben und unter Genie die für gewisse Tätigkeiten sehr gesteigerte Geisteskraft zu verstehen.
Wir wollen bei dieser Fakultät und Würde des Geistes einige Augenblicke verweilen, um die Berechtigung näher nachzuweisen und den Inhalt des Begriffs näher kennenzulernen. Aber wir können nicht bei dem durch ein sehr gesteigertes Talent graduierten, bei dem eigentlichen Genie stehenbleiben, denn dieser Begriff hat ja keine abgemessenen Grenzen, sondern wir müssen überhaupt jede gemeinschaftliche Richtung der Seelenkräfte zur kriegerischen Tätigkeit in Betrachtung ziehen, die wir dann als das Wesen des kriegerischen Genius ansehen können. Wir sagen die „gemeinschaftlichen“, denn darin besteht eben der kriegerische Genius, daß er nicht eine einzelne dahin gerichtete Kraft, z. B. der Mut ist, während andere Kräfte des Verstandes und Gemüts fehlen oder eine für den Krieg unbrauchbare Richtung haben; sondern daß er ein harmonischer Verein der Kräfte ist, wobei eine oder die andere vorherrschen, aber keine widerstreben darf.
Wenn jeder Kämpfende vom kriegerischen Genius mehr oder weniger beseelt sein sollte, so würden unsere Heere wohl sehr schwach sein; denn eben weil darunter eine eigentümliche Richtung der Seelenkräfte verstanden wird, so kann sie da nur selten vorkommen, wo in einem Volke die Seelenkräfte nach so vielen Seiten hin in Anspruch genommen und ausgebildet werden. Je weniger verschiedenartige Tätigkeiten ein Volk aber hat, je mehr die kriegerische bei demselben vorherrscht, um so mehr muß sich auch der kriegerische Genius in demselben verbreitet finden. Dies bestimmt aber nur seinen Umfang, keineswegs seine Höhe, denn diese hängt von der allgemeinen geistigen Entwicklung des Volkes ab. Wenn wir ein rohes, kriegerisches Volk betrachten, so ist ein kriegerischer Geist unter den einzelnen viel gewöhnlicher als bei den gebildeten Völkern, denn bei jenen besitzt ihn fast jeder einzelne Krieger, während bei den gebildeten eine ganze Masse nur durch die Notwendigkeit und keineswegs durch inneren Trieb mit fortgerissen wird. Aber unter rohen Völkern findet man nie einen eigentlich großen Feldherrn, und äußerst selten, was man ein kriegerisches Genie nennen kann, weil dazu eine Entwicklung der Verstandeskräfte erforderlich ist, die ein rohes Volk nicht haben kann. Daß auch gebildete Völker eine mehr oder weniger kriegerische Richtung und Entwicklung haben können, versteht sich von selbst, und je mehr dies der Fall ist, um so häufiger wird sich in ihrem Heere der kriegerische Geist auch in dem einzelnen finden. Da dies nun mit dem höheren Grade [67] desselben zusammentrifft, so gehen von solchen Völkern immer die glänzendsten kriegerischen Erscheinungen aus, wie Römer und Franzosen bewiesen haben. Die größten Namen dieser und aller im Kriege einst berühmten Völker fallen aber immer erst in die Zeiten einer höheren Bildung.
Es läßt uns dies schon erraten, wie groß der Anteil ist, welchen die Verstandeskräfte an dem höheren kriegerischen Genius haben. Wir wollen jetzt einen näheren Blick auf ihn werfen.
Der Krieg ist das Gebiet der Gefahr, es ist also Mut vor allen Dingen die erste Eigenschaft des Kriegers.
Der Mut ist doppelter Art: einmal Mut gegen die persönliche Gefahr, und dann Mut gegen die Verantwortlichkeit, sei es vor dem Richterstuhl irgendeiner äußeren Macht, oder der inneren, nämlich des Gewissens. Nur von dem ersteren ist hier die Rede.
Der Mut gegen die persönliche Gefahr ist wieder doppelter Art: erstens kann er Gleichgültigkeit gegen die Gefahr sein, sei es, daß sie aus dem Organismus des Individuums oder aus Geringschätzung des Lebens oder aus Gewohnheit hervorgehe, auf jeden Fall aber ist er als ein bleibender Zustand anzusehen.
Zweitens kann der Mut aus positiven Motiven hervorgehen wie Ehrgeiz, Vaterlandsliebe, Begeisterung jeder Art. In diesem Falle ist der Mut nicht sowohl ein Zustand als eine Gemütsbewegung, ein Gefühl.
Es ist begreiflich, daß beide Arten verschiedener Wirkung sind. Die erste Art ist sicherer, weil sie, zur zweiten Natur geworden, den Menschen nie verläßt, die zweite führt oft weiter; der ersten gehört mehr die Standhaftigkeit, der zweiten mehr die Kühnheit an; die erste läßt den Verstand nüchterner, die zweite steigert ihn zuweilen, verblendet ihn aber auch oft. Beide vereinigt geben die vollkommenste Art des Mutes.
Der Krieg ist das Gebiet körperlicher Anstrengungen und Leiden; um dadurch nicht zugrunde gerichtet zu werden, bedarf es einer gewissen Kraft des Körpers und der Seele, die, angeboren oder eingeübt, gleichgültig dagegen macht. Mit diesen Eigenschaften, unter der bloßen Führung des gesunden Verstandes ist der Mensch schon ein tüchtiges Werkzeug für den Krieg, und diese Eigenschaften sind es, die wir bei rohen und halbkultivierten Völkern so allgemein verbreitet antreffen. Gehen wir in den Forderungen weiter, die der Krieg an seine Genossen macht, so treffen wir auf vorherrschende Verstandeskräfte. Der Krieg ist das Gebiet der Ungewißheit; drei Vierteile derjenigen Dinge, worauf das Handeln im Kriege gebaut wird, liegen im Nebel einer mehr oder weniger großen Ungewißheit. Hier ist es also zuerst, wo ein feiner, durchdringender Verstand in Anspruch genommen wird, um mit dem Takte seines Urteils die Wahrheit herauszufühlen.
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