Ist die Waffenentscheidung die Grundlage aller Kombinationen, so folgt, daß der Gegner jede derselben durch eine glückliche Waffenentscheidung unwirksam machen kann, nicht nur, wenn es die ist, auf welcher unsere Kombination unmittelbar beruht, sondern auch durch jede andere, wenn sie nur bedeutend genug ist; denn jede bedeutende Waffenentscheidung, d. i. Vernichtung feindlicher Streitkräfte, wirkt auf alle anderen vorliegenden zurück, weil sie sich wie ein flüssiges Element ins Niveau setzen.
So erscheint also die Vernichtung der feindlichen Streitkraft immer als das höherstehende, wirksamere Mittel, dem alle anderen weichen müssen.
Aber freilich können wir der Vernichtung feindlicher Streitkraft nur bei vorausgesetzter Gleichheit aller übrigen Bedingungen eine höhere Wirksamkeit zuschreiben. Es wäre also ein großes Mißverstehen, wenn man daraus den Schluß ziehen wollte, ein blindes Draufgehen müßte über behutsame Geschicklichkeit immer den Sieg davontragen. Ein ungeschicktes Draufgehen würde zur Vernichtung der eigenen, nicht der feindlichen Streitkraft führen, und kann also von uns nicht gemeint sein. Die höhere Wirksamkeit gehört nicht dem Wege, sondern dem Ziele an, und wir vergleichen nur die Wirkung des einen erreichten Zieles mit dem andern.
Wenn wir von Vernichtung der feindlichen Steitmacht sprechen, so müssen wir hier ausdrücklich darauf aufmerksam machen, daß uns nichts zwingt, diesen Begriff auf die bloße physische Streitkraft zu beschränken, sondern vielmehr die moralische notwendig darunter mit verstanden werden muß, weil ja beide sich bis in die kleinsten Teile durchdringen und deshalb gar nicht voneinander zu trennen sind. Es ist aber gerade hier, wo wir uns auf die unvermeidliche Einwirkung berufen, die ein großer Vernichtungsakt (ein großer Sieg) auf alle übrigen Waffenentscheidungen hat, das moralische Element, dasjenige, was am flüssigsten ist, wenn wir uns so ausdrücken dürfen, und also am leichtesten sich über alle Glieder verteilt. Dem überwiegenden Wert, welchen die Vernichtung der feindlichen Streitkräfte vor allen anderen Mitteln hat, steht die Kostbarkeit und Gefahr dieses Mittels gegenüber, und nur um diese zu vermeiden, ist es, daß andere Wege eingeschlagen werden.
[63] Daß das Mittel kostbar sein muß, ist an sich verständlich, denn der Aufwand eigner Streitkräfte ist bei übrigens gleichen Umständen immer größer, je mehr unsere Absicht auf die Vernichtung der feindlichen gerichtet ist.
Die Gefahr dieses Mittels liegt aber darin, daß eben die größere Wirksamkeit, welche wir suchen, im Falle des Nichtgelingens auf uns zurückfällt, also größere Nachteile zur Folge hat.
Die anderen Wege sind also weniger kostbar beim Gelingen und weniger gefährlich beim Mißlingen; aber es liegt hierin notwendig die Bedingung, daß sie es nur mit ihresgleichen zu tun haben, nämlich, daß der Feind dieselben Wege geht; weil, wenn der Feind den Weg großer Waffenentscheidung wählte, der unserige sich eben dadurch gegen unsern Willen auch in einen solchen verwandeln würde. Es kommt also dann auf den Ausgang des Vernichtungsaktes an; nun ist aber klar, daß wir, alle übrigen Umstände wieder gleich genommen, in diesem Akt im Nachteil aller Verhältnisse sein müssen, weil wir unsere Absichten und unsere Mittel zum Teil auf andere Dinge gerichtet hatten, welches der Feind nicht getan hat. Zwei verschiedene Zwecke, deren der eine nicht Teil des anderen ist, schließen einander aus, und es kann also eine Kraft, die für den einen verwendet wird, nicht zugleich dem andern dienen. Wenn also einer der beiden Kriegführenden entschlossen ist, den Weg großer Waffenentscheidungen zu gehen, so hat er auch schon eine hohe Wahrscheinlichkeit des Erfolges für sich, sobald er gewiß ist, daß der andere ihn nicht gehen, sondern ein anderes Ziel verfolgen will; und jeder, der sich ein solches anderes Ziel vorsetzt, kann dies vernünftigerweise nur tun, insofern er von seinem Gegner voraussetzt, daß er die großen Waffenentscheidungen ebensowenig sucht.
Aber was wir hier von einer anderen Richtung der Absichten und Kräfte gesagt haben, bezieht sich nur auf die positiven Zwecke, welche man außer der Vernichtung feindlicher Kräfte sich im Kriege noch vorsetzen kann, durchaus nicht auf den reinen Widerstand, der in der Absicht gewählt wird, die feindliche Kraft dadurch zu erschöpfen. Dem bloßen Widerstand fehlt die positive Absicht, und mithin können bei demselben unsere Kräfte dadurch nicht auf andere Gegenstände geleitet, sondern nur bestimmt sein, die Absichten des Gegners zu vernichten.
Hier ist es, wo wir von der Vernichtung der feindlichen Streitkraft die negative Seite, nämlich die Erhaltung der eigenen, zu betrachten haben. Diese beiden Bestrebungen gehen stets miteinander, weil sie in Wechselwirkung stehen; sie sind integrierende Teile einer und derselben Absicht, und wir haben nur zu untersuchen, welche Wirkung entsteht, wenn die eine oder die andere das Übergewicht hat. Das Bestreben zur Vernichtung der feindlichen Streitkräfte hat den positiven Zweck und führt zu positiven Erfolgen, deren letztes Ziel die Niederwerfung des Gegners sein würde. Das Erhalten der eigenen Streitkräfte hat den negativen Zweck, führt [64] also zur Vernichtung der feindlichen Absicht, d. h. zum reinen Widerstand, dessen letztes Ziel nichts sein kann, als die Dauer der Handlung so zu verlängern, daß der Gegner sich darin erschöpft.
Das Bestreben mit dem positiven Zweck ruft den Vernichtungsakt ins Leben, das Bestreben mit dem negativen wartet ihn ab.
Wie weit dieses Abwarten gehen soll und darf, werden wir bei der Lehre von Angriff und Verteidigung, an deren Ursprung wir uns abermals befinden, näher angeben. Hier müssen wir uns begnügen, zu sagen, daß das Abwarten kein absolutes Leiden werden darf, und daß in dem damit verbundenen Handeln die Vernichtung der in dem Konflikt dieses Handelns begriffenen feindlichen Streitkraft ebensogut das Ziel sein kann wie jeder andere Gegenstand. Es wäre also ein großer Irrtum in den Grundvorstellungen, zu glauben, daß das negative Bestreben dahin führen müßte, die Vernichtung der feindlichen Streitkräfte nicht zum Zweck zu wählen, sondern eine unblutige Entscheidung vorzuziehen. Das Übergewicht des negativen Bestrebens kann allerdings die Veranlassung dazu sein, aber dann geschieht es immer auf die Gefahr, ob dieser Weg der angemessene sei, welches von ganz anderen Bedingungen abhängt, die nicht in uns, sondern im Gegner liegen. Dieser andere, unblutige Weg kann also keineswegs als das natürliche Mittel betrachtet werden, um der überwiegenden Sorge für die Erhaltung unserer Streitkräfte genugzutun, vielmehr würden wir diese in Fällen, wo ein solcher Weg den Umständen nicht entspräche, dadurch vollkommen zugrunde richten. Sehr viele Feldherren sind in diesen Irrtum verfallen und dadurch zugrunde gegangen. Die einzige notwendige Wirkung, welche das Übergewicht des negativen Bestrebens hat, ist das Aufhalten der Entscheidung, so daß der Handelnde sich gewissermaßen in das Abwarten der entscheidenden Augenblicke hineinflüchtet. Die Folge davon pflegt zu sein: das Zurückverlegen der Handlung in der Zeit und, insofern der Raum damit in Verbindung steht, auch im Raum, soweit es die Umstände gestatten. Ist der Augenblick, wo dies ohne überwiegenden Nachteil nicht weiter geschehen könnte, gekommen: so muß der Vorteil der Negative als erschöpft betrachtet werden, und nun tritt das Bestreben zur Vernichtung der feindlichen Streitkraft, welches nur durch ein Gegengewicht aufgehalten, aber nicht verdrängt war, unverändert hervor.
Wir haben also in unseren bisherigen Betrachtungen gesehen, daß es im Kriege vielerlei Wege zum Ziele, d. h. zur Erlangung des politischen Zweckes, gibt, daß aber das Gefecht das einzige Mittel ist, und daß darum alles unter einem höchsten Gesetz steht: unter der Waffenentscheidung; daß, wo sie faktisch am Gegner in Anspruch genommen wird, dieser Rekurs niemals versagt werden kann, daß also der Kriegführende, welcher einen andern Weg gehen will, sicher sein muß, daß der Gegner diesen Rekurs nicht nehmen oder seinen Prozeß an diesem höchsten Gerichtshofe verlieren [65] wird, daß also, mit einem Wort, die Vernichtung der feindlichen Streitkraft unter allen Zwecken, die im Kriege verfolgt werden können, immer als der über alles gebietende erscheint.
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