Weil Veränderungen des Befindens sehr aussagekräftig sind, kurzfristig eintreten und Rückschlüsse in Echtzeit gestatten, lege ich bei der Arthritisbehandlung großen Wert auf engmaschige Rückmeldungen. So kann ich feststellen, ob wir auf dem richtigen Weg sind. June ist ein gutes Beispiel dafür. Wenn Schmerzen in ihren Händen während unserer Zusammenarbeit zunahmen, stiegen auch ihre Entzündungsmarker an. Aufgrund ihrer Berichte zu ihrem Befinden wusste ich jedoch stets, wie es um sie stand. So konnte ich feststellen, wie ihre Therapie anschlug und wann wir das Prednison zurückfahren konnten. Wir kamen überein, das Kortikosteroid versuchsweise auszuschleichen, obwohl ihr CRP-Spiegel – der seit ihrem ersten Termin bei mir massiv zurückgegangen war – nach wie vor leicht erhöht war.
*Als stark positives Ergebnis für Rheumafaktor oder ACPA gilt ein Wert, der den oberen Normalwert um mehr als das Dreifache übersteigt.
Anmerkung der Übersetzerin: In Europa gilt die vergleichbare EULAR-Leitlinie, auf deren Grundlage die Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie, DGRh, die S1-Leitlinie „Rheumatoide Arthritis“ erarbeitet hat.
KAPITEL 2
Spondyloarthritis
Unter Spondyloarthritis versteht man einen Beschwerdekomplex, bei dem Entzündungen und arthritische Veränderungen der Wirbelsäule im Mittelpunkt stehen. Am bekanntesten ist die Psoriasisarthritis (PsA), die jedoch keineswegs die einzige entzündliche Erkrankung in der Gruppe der Spondyloarthritiden ist. Der Oberbegriff umfasst auch die ankylosierende Spondyloarthritis (AS), juvenile Spondyloarthritis, reaktive Arthritis und akute anteriore Uveitis. Im Unterschied zu anderen Arthritisformen befallen die Krankheiten unter diesem Oberbegriff nicht nur die Gelenke, sondern auch die Enthesen, also die Teile einer Sehne oder eines Bandes, die am Knochen ansetzen. Hinzu kommt, dass jede dieser Erkrankungen mit einem erhöhten Risiko für eine chronisch entzündliche Darmerkrankung (Colitis ulcerosa oder Morbus Crohn) verbunden ist – und umgekehrt. An dieser Stelle konzentrieren wir uns auf die zwei häufigsten Formen der Spondyloarthritis, die Psoriasisarthritis und die ankylosierende Spondyloarthritis.
Von Psoriasisarthritis sind zwei bis drei Prozent der Bevölkerung betroffen. Im Gegensatz zur rheumatoiden Arthritis erkranken üblicherweise die großen Gelenke, insbesondere die der Wirbelsäule. Die PsA kann auch in verschiedenen Teilen des Körpers einschließlich der Finger und Zehen in Erscheinung treten. Menschen mit Augenentzündungen wie Uveitis und Iritis sind häufiger von Psoriasisarthritis betroffen und umgekehrt. Die Krankheit tritt bei Männern und Frauen mit gleicher Häufigkeit auf. Da es für eine Psoriasisarthritis weder spezifische Bluttests noch andere Diagnoseverfahren gibt, stützt sich die Diagnose auf das Punktesystem CASPAR (siehe Kasten), das Symptome erfasst, die der Arzt feststellen kann, sowie Symptome, von denen der Patient berichtet. 1
Klassifikationskriterien für Psoriasisarthritis (CASPAR)
Neben einer entzündlichen Arthritis, Enthesitis (Entzündung der Enthese einer Sehne oder eines Bands) oder Schmerzen im unteren Rücken liegen mindestens drei der folgenden Kriterien vor:
● Sie haben gegenwärtig Psoriasis (Schuppenflechte): 2 Punkte
● Sie hatten in der Vergangenheit Psoriasis: 1 Punkt
● Sie haben keine Psoriasis, aber ein Familienmitglied ersten Grades hat diese Erkrankung: 1 Punkt
● Ihr Fingernagel hat sich vom Nagelbett gelöst: 1 Punkt
● Entzündung von einem oder mehreren Fingern oder Zehen (aktuell oder früher einmal von einem Rheumatologen festgestellt): 1 Punkt
● Der Rheumafaktor ist im Blut nicht nachweisbar: 1 Punkt
● Ein Röntgenbild zeigt eine Knochenproliferation (keinen Knochensporn) in Form eines verwaschenen Bereichs um das Gelenk: 1 Punkt
Zur Beurteilung der Gelenke und zur Diagnosestellung können Bildgebungsverfahren herangezogen werden. Der erste Schritt ist üblicherweise ein Röntgenbild. Die beste Wahl ist jedoch häufig die Magnetresonanztomographie (MRT), mit der Schäden und Schwellungen der Sehnen besser darstellbar sind. Eine weitere Option ist Ultraschall, wobei das neuere Dopplerultraschallverfahren tiefere Einblicke in das Gelenk gestattet. Das macht es zu einem gut verfügbaren und sehr nützlichen Hilfsmittel zur PsA-Diagnose, aber auch zur Feststellung, ob eine echte Remission ohne Entzündungen eingetreten ist. 2
Schuppenflechte (Psoriasis) ist eine Hauterkrankung, bei der gerötete Hautareale mit silbrigen Schuppen an jedwedem Körperteil auftreten können. Bei schätzungsweise 20 bis 30 Prozent der Betroffenen liegt auch eine Psoriasisarthritis vor. Falls Sie Arthritis haben und auch nur kleinste Schuppenflechtenareale aufweisen, haben Sie wahrscheinlich eine Psoriasisarthritis. Deshalb muss Ihre gesamte Haut ärztlich begutachtet werden, auch die Kopfhaut und die Haut hinter den Ohren. Schuppenflechte wird üblicherweise als reine Hauterkrankung betrachtet. Vielen Menschen ist daher nicht bewusst, dass eine Psoriasisarthritis einen sehr schweren Verlauf nehmen kann und mit einem erhöhten Risiko für Depressionen, starkem Übergewicht und metabolischem Syndrom einhergeht. Das metabolische Syndrom zeichnet sich dabei durch zu viel Bauchfett aus, das eine hohe Entzündungsaktivität im Körper erzeugt. Diese Begleiterkrankungen schränken die Lebensqualität ein und erhöhen das Sterberisiko insgesamt. 3Zu den Symptomen des metabolischen Syndroms zählen ein erhöhtes Taille-Hüft-Verhältnis, Bluthochdruck, ein hoher Cholesterinspiegel und entweder Prädiabetes (erhöhter Insulin- oder Blutzuckerspiegel) oder klinisch diagnostizierter Diabetes, bei dem der Blutzucker medikamentös reguliert werden muss.
Bei mehr als 80 Prozent der Betroffenen treten die ersten Hautveränderungen zehn Jahre oder länger vor den ersten Arthritisbeschwerden auf. Allerdings kann auch schon Jahre vor der ersten Schuppenflechte eine Arthritis vorliegen, womit die Hautsymptomatik für die Diagnose nicht erforderlich ist. Wegen dieser Uneindeutigkeit kann die Diagnose ohne erkennbare Schuppenflechte nur durch einen Rheumatologen gestellt werden.
Es gibt fünf Subtypen der Psoriasisarthritis, die gemäß dem Klassifizierungssystem nach Moll und Wright eingeteilt werden. Diese Kategorien sind nur scheinbar klar voneinander abgegrenzt. In der Praxis passen viele Menschen nicht exakt in das eine oder andere Schema, sodass die Diagnose nicht immer auf der Hand liegt. In der Schulmedizin erleichtert die Festlegung auf eine Kategorie die Ermittlung der passenden Behandlung. In der funktionellen Medizin spielt der Subtyp letztlich keine Rolle, weil allen Erscheinungsformen ein Entzündungsgeschehen und wahrscheinlich wie bei der rheumatoiden Arthritis auch ein Ungleichgewicht im Darm zugrunde liegt. Die Behandlung ist somit dieselbe. Ich führe die fünf Kategorien dennoch auf der folgenden Seite auf, um zu zeigen, dass man auch ohne Schuppenflechte eine Psoriasisarthritis haben kann.
Meine Patientin Robin, eine 56 Jahre alte Frau, glücklich verheiratet und Mutter von zwei Kindern, ist ein gutes Beispiel für jemanden, der nur schwer in diese Kategorien einzuordnen ist. Als sie mich aufsuchte, berichtete sie, dass sie seit zehn Jahren sehr müde sei. Die chronischen Schmerzen in Händen, Handgelenken, Knien, Ellbogen, Nacken und
● Asymmetrische Arthritis an einigen Gelenken: Betroffen sind hier bis zu fünf mittelgroße Gelenke wie Handgelenke oder Knie, für gewöhnlich nur einseitig. Das ist der Unterschied zur rheumatoiden Arthritis, bei der typischerweise beide Handgelenke (bilateral oder symmetrisch) sowie die kleinen Gelenke der Hände und Füße befallen sind, bevor die größeren Gelenke erkranken.
Читать дальше