Arbeit am Mythos
Leni (Helene) Riefenstahl übt 1936 an der Ostsee mit dem deutschen Meister des Zehnkampfs Erwin Huber »Nachahmung der Antike«.
CLAUDIA SCHMÖLDERS
Eine deutsch-griechische Faszinationsgeschichte
Goethe, »Klassische Walpurgisnacht«, Vers 7397–7445
Vorwort
ERSTER TEIL
Der männliche Blick
Von Goethe bis zu Sigmund Freud
ERSTES KAPITEL: 1749 bis 1832
Der Komet aus der Antike: Johann Joachim Winckelmann. Liebe in Deutschland, Ärger in Preußen, europäischer Kult. Englands Bildungs-Reiselust. Hellas’ ruiniertes Erbe, beschrieben, gezeichnet und entführt. Byron und Goethe, Faust und Helena, ein Vermächtnis .
ZWEITES KAPITEL: 1832
Der Staat als Ziel. Philhellenische Hilfe: Katharina II., die Grafen Orlow und Kapodistrias. Die Schweizer und Jean-Gabriel Eynard. Die Engländer und Lord Byron. Die Bayern und Otto I. Die Heimholungen Griechenlands im Roman, in Architektur und Kunst. Goethes Faust II als Oper .
DRITTES KAPITEL: 1832 bis 1871
Nachrichten aus Weimar, Wien, Athen. Die neue Sprache Katharevousa. Jakob Philipp Fallmerayer als linguistischer Scharfrichter. Sprachenlernen als »furchtbare Passion«: Auftritt Heinrich Schliemann. Die unglaubliche Laufbahn eines ostdeutschen Pfarrerssohns. Heinrich und der »Schatz des Priamos«; Heinrich und Helena: das Traumpaar des deutschen Hellenismus .
VIERTES KAPITEL: 1871 bis 1897
Neue Nachrichten aus Athen. Schliemann zwischen Homer und Darwin. Hellas als Hölderlins »Mutter aus dem Grabe«. Ernst Curtius träumt olympisch. Jacob Burckhardt schimpft. Nietzsche sieht »gräcisierende Gespenster«. Freud träumt begehrlich wie Faust, aber Hella/Helena ist seine Tochter. Nietzsches »wahre Helena« bei Richard Wagner. Die olympischen Spiele .
FÜNFTES KAPITEL: 1897 bis 1900
Ilias contra Odyssee: Deutscher Hang zu Grund und Boden; englischer Hang zur Seefahrt. Nausikaa statt Helena. Jane Harrisons »Odyssey Lectures« erinnern an Lady Hamilton und Goethe. Samuel Butlers Nausikaa als Dichterin der Odyssee. James Joyce liest Samuel Butler. Hellas/Helena: Nietzsches Heimweh mit Hegel .
ZWEITER TEIL
Der weibliche Blick
Von Elisabeth von Österreich bis zu Eliza Butler
SECHSTES KAPITEL: 1900 bis 1914
Arthur Evans auf Kreta. Das Labyrinth der Ariadne, minoische Lebenskunst. Phönizische contra hellenische Seefahrt: Victor Bérards zwölf Bände zur Odyssee. Philhellenische Majestäten auf Korfu. Kaiserin Sisi, das Achilleion und Heinrich Heines Faustballett. Isadora Duncans Griechentanz. Kaiser Wilhelms tanzende Gorgo .
SIEBTES KAPITEL: 1914 bis 1935
Faust und Helena: eine kulturelle Ehe? Faust »für alle« in Athen. Der Kreter Venizelos, die »Kleinasiatische Katastrophe«. Der Kreter Nikos Kazantzakis: hilft Flüchtlingen und übersetzt Faust. Dagegen das »Faustische« in Berlin. Spengler und Steiner: Goethe-Großmächte der Weimarer Republik .
ACHTES KAPITEL: 1935
Eliza Marian Butler: Kindheit, Studium und Weltkriegsarbeit. Ihre geistigen Geländer Jane Harrison, John Robertson, Stefan Zweig und Fürst Pückler. Olympia 1936: Hitlers Rassenfaust. Freud sieht das Ungeheuer von Loch Ness .
NEUNTES KAPITEL: Noch einmal 1935
Elsie Butlers Streitschrift: »Eine Untersuchung über den Einfluss von griechischer Kunst und Dichtung auf die großen deutschen Autoren des 18., 19. und 20. Jahrhunderts. Gewidmet: Pallas Athene.« Weibliche Griechenliebe. Harrisons Sprachwunder. Virginia Woolf »On not Knowing Greek«. Hilda Doolittle findet Helena in Äygpten .
ZEHNTES KAPITEL: 1935 bis 1941
Elsie Butlers Meeresbild. Das »ozeanische Gefühl«. Griechenkult als Religionsneurose. Luther gegen Buddha. Indiens lebendiger Gottesdienst. 1937 Eduard von der Heydt, der Indienfreund. Rilke und der Monte Verità. Faust im Ausland. Das DAI in Athen .
ELFTES KAPITEL: 1941
Thomas Mann an die deutschen Hörer. 1941: Einmarsch in GR. Deutsches Wüten bis 1945. Gebildete Besatzer: Erhart Kästner, Rudolf Fahrner. Ein namenloser Oberst in Athen wünscht sich einen Vortrag über Faust und Helena. Deutsche Faust-Industrie mit diabolischen Vertretern: Justus Obenauer, Hans Schneider .
ZWÖLFTES KAPITEL: 1942 bis 1949
Ruf nach Cambridge 1945. Butlers Faust-Trilogie zu Goethes Geburtstag. Faust und Helena in Okkultien: Helena Blavatsky und Aleister Crowley, Butlers Liebling. Somerset Maugham »The Magician«. 1947: Thomas Mann, Dr. Faustus. Butler kritisiert vernichtend und trifft E. R. Curtius in Bonn. Erlösendes Nachspiel mit Byron und Hilda Doolittle .
Coda mit Kassandra
DIE QUELLEN
Personen und Werke. Nachweise und Anmerkungen.
Eliza Marian Butler. Bibliographie
Danksagung
Register
Goethe, Faust II »Klassische Walpurgisnacht« Verse 7397–7445
Helena aus der Unterwelt zu beschwören, misslang im ersten Anlauf. Nur das verführerische Bild war zu sehen, keine leibhafte Gestalt. Faust soll nun zu den Müttern gehen; Mephisto bringt ihn zu Chiron, dem heilkundigen Kentauren. Faust steigt auf seinen Rücken, um ihn nach Helena zu fragen.
Faust … Vom schönsten Mann hast du gesprochen, Nun sprich auch von der schönsten Frau!
Chiron Was! … Frauenschönheit will nichts heißen, Ist gar zu oft ein starres Bild; Nur solch ein Wesen kann ich preisen, Das froh und lebenslustig quillt. Die Schöne bleibt sich selber selig; Die Anmut macht unwiderstehlich, Wie Helena, da ich sie trug.
Faust Du trugst sie? –
Chiron Ja, auf diesem Rücken.
Faust Bin ich nicht schon verwirrt genug Und solch’ ein Sitz muß mich beglücken!
Chiron Sie faßte so mich in das Haar, Wie du es tust.
Faust O! ganz und gar Verlier’ ich mich! Erzähle wie? Sie ist mein einziges Begehren! Woher? wohin? ach, trugst du sie?
Chiron Die Frage läßt sich leicht gewähren. Die Dioskuren hatten, jener Zeit Das Schwesterchen aus Räuberfaust befreit. Doch diese, nicht gewohnt besiegt zu sein, Ermannten sich und stürmten hinterdrein. Da hielten der Geschwister eiligen Lauf Die Sümpfe bei Eleusis auf; Die Brüder wateten, ich patschte, schwamm hinüber; Da sprang sie ab und streichelte Die feuchte Mähne, schmeichelte Und dankte lieblich-klug und selbstbewußt. Wie war sie reizend! jung, des Alten Lust!
Faust Erst sieben Jahr! …
Chiron Ich seh’, die Philologen, Sie haben dich so wie sich selbst betrogen. Ganz eigen ist’s mit mythologischer Frau, Der Dichter bringt sie, wie er’s braucht, zur Schau; Nie wird sie mündig, wird nicht alt, Stets appetitlicher Gestalt, Wird jung entführt, im Alter noch umfreit; G’nug, den Poeten bindet keine Zeit.
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