Offenbar war Elton nicht gerade Casanova gewesen, wenn es um die Liebe ging. Linda stellte fest, dass er beim Sex eher gleichgültig und uninteressiert war. Sie erklärte der Presse später: „Als ich nach Elton andere Freunde hatte, merkte ich, dass in dieser Hinsicht irgendwas nicht in Ordnung gewesen war. Er war unerfahren und verlor mit mir seine Unschuld. Aber selbst wenn man das berücksichtigte, war sein sexuelles Interesse an mir doch ziemlich gering, und er kümmerte sich überhaupt nicht groß um mich. Wir schliefen nicht sehr oft miteinander. Sein Geld gab er meistens für Kleidung, Schallplatten und Drinks aus, und er schien davon auszugehen, dass ich für alles andere aufkommen würde.“(30)
Zwar sah Elton Linda nach seinem Auszug nicht mehr wieder, aber er hörte noch von ihr – über ihre Anwälte. „Sie verklagte mich, weil ich das Eheversprechen gebrochen hatte“, berichtete er, „und es war eine wirklich schlimme Erfahrung – ein echtes Fiasko!“(31)
Und so wohnte er, kurz nachdem er beinahe geheiratet hatte, erneut in der bescheidenen Wohnung seiner Eltern, und Bernie zog ebenfalls wieder ein. Die Affäre mit Linda Woodrow war damit beendet – und in den nächsten Jahren gab es keine weiteren Beziehungen mehr zu Frauen.
Um etwas mehr Geld zu verdienen, hatte Elton inzwischen Gelegenheitsjobs als Studiomusiker angenommen. Er wirkte auf einigen Platten der Hollies und von Tom Jones mit. 1969 war er als Sessionman am Hollies-Song „He Ain’t Heavy, He’s My Brother“ beteiligt. „Damals besserte ich meinen kargen Lohn, den ich bei Dick James Music erhielt, mit Sessions auf – die bar bezahlt wurden! Meine Spezialität war der Begleitgesang – man hört mich zum Beispiel auf ‚Daughter Of Darkness‘ von Tom Jones, auf ‚Back Home‘ von der englischen Fußballmannschaft und auf ein paar Sachen der Barron Knights, die verdammt albern waren. Ich arbeitete an dieser ‚Here Come The Olympics’-Verarsche mit [‚An Olympic Record’], die sie in den Abbey Road Studios aufnahmen. Und plötzlich kam Paul McCartney herein – er arbeitete gerade in Studio 2 und wollte wohl mal sehen, was das niedere Volk so macht. Bernie Taupin und ich wurden starr vor Schreck und murmelten verlegen irgendwas. Er unterhielt sich ein wenig mit uns, dann setzte er sich ans Klavier und fing an zu spielen. Das sei der neuste Song, an dem sie gerade arbeiteten, meinte er, und es war ‚Hey Jude‘. Ich war total hin und weg! … Aber zurück zu den Hollies: Eines Tages bekam ich einen Anruf und sollte zu den Air Studios in London kommen, wo die Band gerade arbeitete, und das tat ich, spielte Klavier für sie, und das war’s. Damals dachte man sich gar nichts dabei, aber wenn man den Titel später im Radio hörte, jenem Ort, an dem alle Songs ihre Feuertaufe bekamen, dann war das schon ein tolles Gefühl.“(32)
Manchmal verdiente Elton sich noch etwas dazu, indem er zwischen 1968 und 1969 bei verschiedenen Cover-Alben mitspielte. Damals war es gang und gäbe, dass Billig-Labels Musiker engagierten, die möglichst ähnlich klangen wie die großen Stars, um mit ihnen Coverversionen der aktuellen Top-Ten-Hits aufzunehmen. Auf diese Weise mussten sie lediglich Tantiemen an die Musikverleger zahlen, während die Studiosänger, die man auf den Platten hörte, ein Pauschalhonorar erhielten. Plattenfirmen wie K-Tel, Marble Arch und sogar Top Of The Pops konnten so günstige Alben auflegen, auf denen sich ein Hit an den anderen reihte. Zwar sangen nicht die Originalkünstler die Songs, aber sie klangen recht ähnlich und kosteten den Kunden nur einen Bruchteil der Summe, die er für alle Originalplatten bezahlt hätte.
In den 1990er-Jahren wurden viele dieser Tracks wieder ausgegraben und auf verschiedenen Labels unter Albumtiteln wie 16 Legendary Covers From 1969/70 As Sung By Elton John neu aufgelegt. Rückblickend sind diese Alben wie kleine Zeitreisen und lustig anzuhören, vor allem, wenn man weiß, dass Elton, als die Platten erschienen, nicht einmal als Sänger genannt wurde.
Zu den herausragendsten Titeln zählen seine Coverversionen von Norman Greenbaums „Spirit In The Sky“, Badfingers „Come And Get It“, „It’s All In The Game“ von den Four Tops, „Travelin’ Band“ von Creedence Clearwater Revival, Lou Christies „She Sold Me Magic“ und sogar „Lady d’Arbanville“ von Cat Stevens. Elton: „Ich spielte auch auf diesen ganzen Coverplatten von Top Of The Pops – ich war ziemlich gut darin, die Stimmen anderer Künstler nachzumachen. Bei ‚Saved By The Bell‘ von Robin Gibb musste ich mit dieser komischen trällernden Stimme singen, die ich einfach nicht hinbekam, bis ich schließlich meinen Kehlkopf mit den Fingern zum Vibrieren brachte. Ich war auch ziemlich gut als Leon Russell.“(33)
Die Aufnahmesessions gingen meist sehr schnell, und Elton bekam für einen Tag Arbeit gleich einen Scheck. Zwar brachten ihm diese Coveraufnahmen ein nettes Zubrot, 1969 beschloss er aber, sich voll und ganz auf die eigene Solokarriere zu konzentrieren. In Steve Brown, der für Dick James arbeitete, hatte er inzwischen einen sehr starken Verbündeten gefunden, der das Potenzial in Eltons und Bernies Songs erkannt hatte, und der sich auch durchaus vorstellen konnte, dass Elton es auch als Musiker zu etwas bringen konnte. Steve produzierte „Lady Samantha“ und auch alle Songs, die auf seinem ersten Album Empty Sky erschienen.
Die Aufnahmesessions für Empty Sky fanden Ende 1968 und Anfang 1969 im Achtspur-Studio von Dick James Music (DJM) statt. Steve Brown fungierte als Produzent, Frank Owen als Toningenieur, und Clive Franks bediente die Bandmaschinen. Die Musiker waren alte Bekannte aus Eltons Lager: Caleb Quaye spielte Gitarre und Congas, Tony Murray Bass, Roger Pope Schlagzeug und Perkussion, Don Fay Tenorsaxophon und Flöte und Graham Vickery Mundharmonika. Als Schlagzeuger auf „Lady What’s Tomorrow“ gab Nigel Olsson seinen Einstand, der Elton als Begleitmusiker länger treu bleiben sollte als jeder andere. Quaye und Pope spielten bei Hookfoot, einer Band, die bei DJM unter Vertrag stand, Murray hatte mit den Troggs gearbeitet, und Olsson war damals Mitglied der Spencer Davis Group.
Empty Sky wurde zunächst nur in Großbritannien veröffentlicht, wo die Platte am 3. Juni 1969 in die Läden kam. Das Album schaffte es nie in die Charts, und es wurden keine Singles ausgekoppelt. Es war in erster Linie als Songwriter-Demo gedacht, und das blieb es schließlich auch. Zwar war es später als Import vereinzelt in den USA erhältlich, aber eine offizielle US-Version erschien – mit einem völlig anderen Cover – erst 1975.
Der rockigste Song darauf war „Empty Sky“, aber auch ihm fehlte eine gute Hookline; er war nicht annähernd so einprägsam wie viele der späteren Songs des Kreativteams John/Taupin.
Empty Sky wäre ein wesentlich stärkeres Album geworden, wenn es auch „Lady Samantha“ enthalten hätte – ein Versäumnis, das man für die 1995 erschienene CD-Version nachholte, auf dem sich außerdem noch „All Across The Heavens“, „It’s Me You Need“ und „Just Like Strange Rain“ befanden.
Elton räumte später ein, dass Empty Sky für ihn und Bernie zunächst einmal ein Experiment war, mit dem sie ausprobieren wollten, welche Möglichkeiten ihnen das Albumformat bot. Alle anschließenden Alben sollten einen roten Faden haben, ganz gleich, ob sich das Thema aus dem aktuellen Zeitgeist, den Musikern oder einem künstlerischen Motiv ergab.
„Man kann das Erstaunen schwer beschreiben, das wir fühlten, als die Platte langsam Gestalt annahm“, erinnerte sich Elton. „Aber ich erinnere mich, wie ich mich fühlte, als wir die Arbeit am Titelsong fertig stellten – es hat mich einfach umgehauen. Ich fand, es war das Beste, was ich je in meinem ganzen Leben gehört hatte.“ (34)
Elton lag Empty Sky stets sehr am Herzen, vor allem, weil diese Platte für eine naive, unschuldige Zeit seiner Karriere steht. „Der Titelsong rockt so richtig ab“, sagte er. „Der Gitarrensound ist sehr ungewöhnlich, so etwas habe ich seitdem nie wieder gehört. Er entstand, indem wir Caleb Quaye im Studio oben auf die Feuerleiter schickten und unten im Schacht ein Mikrofon aufbauten, um das Echo einzufangen. So machte man es damals, es wurde viel improvisiert und einfach ausprobiert. Es gab keine Apparate, die man einstöpseln konnte, man musste sich Klänge formen, indem man die richtige Umgebung schuf. Wir hatten eine ganz normale Achtspurmaschine und haben ein bisschen experimentiert. Damals war es unumgänglich, dass man neue Sounds schuf und so viel Neuland eroberte wie möglich. Die Zeit solcher Spielereien ist inzwischen vorbei, aber damals lag der große Reiz, den solche Platten ausübten, in der Art und Weise, wie die Klänge eingesetzt wurden. Ich glaube nicht, dass man solche Sachen heute mit einem Computer nachempfinden könnte, das wäre sicher zu kompliziert.“(35)
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