1 ...6 7 8 10 11 12 ...21 Mom erinnerte sich daran, dass sie dachte, Dad wäre ein verdammter Glückspilz, da er immer bekam, was er wollte – er hatte auf ein Mädchen gehofft und Mom für einen Jungen gebetet. Ich wusste nicht, warum meine Mutter einen Jungen einem Mädchen vorgezogen hätte. Ich konnte nur spekulieren, ob es vielleicht etwas Psychologisches war und mit dem Verlust ihres Vater oder ihrer nicht unbedingt perfekten Beziehung zu ihrer Mutter zu tun gehabt hatte, aber aus irgendeinem Grund hatte sie sich einen Jungen gewünscht. Mom hatte sich bereits den Namen John ausgesucht und war sich absolut sicher, dass ich ein Junge werden würde. Jedoch sollte es noch Tage dauern, bis Mom schließlich ihr perfekt geformtes kleines Mädchen zu Gesicht bekommen sollte, weil man mich in einen Brutkasten auf der Kinderstation gelegt hatte, um mich im Auge zu behalten. Es vergingen die Tage und Mom hatte mich nicht ein Mal sehen dürfen. Ihr kam das langsam verdächtig vor. Warum enthielt man ihr ihre Tochter vor? Sie fing an, spätabendliche paranoide Schübe zu bekommen, und vermutete, dass alles nur eine Lüge wäre und es gar kein Baby gäbe. Mom fürchtete, dass das Baby gestorben wäre und ihr niemand die Wahrheit sagen würde. Ich würde erst viel später erfahren, warum meine Mom eine solche Angst davor hatte, dass ich sterben könnte. Die Ärzte versicherten ihr, dass sie Mutter einer gesunden, zwei Kilogramm und 238 Gramm schweren Tochter sei, die sicher in ihrem Brutkasten untergebracht sei, und forderten sie auf, sich zu entspannen.
Mom versuchte in der darauf folgenden Nacht verzweifelt, etwas Schlaf zu finden, und behauptete, dass sie eine quietschende Tür wachhalte. Sie ließ eine Krankenschwester kommen und bat sie, die Tür ölen zu lassen, damit sie schlafen könne. Die diensthabende Schwester sah meine Mutter direkt an und erklärte leicht genervt, dass die „quietschende Tür“ in Wahrheit ihr Neugeborenes wäre, das sich in der Kinderstation nebenan befände, und sie nichts tun könne, um es zum Aufhören zu bewegen.
Nachdem die Schwester wieder gegangen war, wartete Mom still und humpelte schließlich mit anwachsender Verzweiflung heimlich aus ihrem Zimmer. Sie war nicht überzeugt, dass die Geschichten über ihr Baby der Wahrheit entsprachen, und so schlich sie sich zunehmend hysterisch davon, um die Wahrheit herauszufinden. Dazu war sie fest entschlossen. Mom betrat vorsichtig die Kinderstation und fing an, wie wild auf den Krippen nach dem Namen ihrer Tochter zu suchen. Ihre Angst und ihre Verwirrung wurde noch durch den Umstand verstärkt, dass die Herstellerfirma der Brutkästen und Krippen Shields and Company lautete. Zuerst hatte sie noch gedacht, dass sie gar kein Baby hätte, und nun stand auf jeder einzelnen Krippe der Nachname ihres Babys. Das muss schon sehr surreal gewesen sein.
Mom blickte an das hintere Ende der Kinderstation und sah dort zwei Krippen stehen, die ein wenig abseits der anderen standen – eine war zum Glasfenster und die andere zur Wand gerichtet. Es waren ungewöhnlich viele Babys zu dieser Zeit zur Welt gekommen und der Platz war knapp. Damals wurden Babys, die zur Adoption freigegeben wurden, in Kinderbettchen gelegt und dann von der Glasscheibe weggedreht, damit ihre leiblichen Mütter sie nicht sehen konnten und die Angelegenheit nicht ganz so schmerzhaft für sie wäre. Nun war es aber so, dass ich eines der beiden Babys war, die an dieser Rückwand standen. Meine Mutter stand da und betrachtete diese beiden Krippen – eine zur Glasscheibe gedreht, die andere zur Wand. Sie wusste nicht, welches Baby ihres war, und fürchtete, dass jemand ihr Baby zur Adoption freigegeben hätte. Es brachte sie um den Verstand. Mom begann zu schreien und eilte los, um die Namen auf den beiden Krippen herauszufinden.
Eine Krankenschwester eilte zu ihr, um sie zu beruhigen, und erkundigte sich, was sie denn bräuchte.
„Ich will mein Baby sehen!“, schrie sie immer wieder. „Ich will mein Baby sehen!“
„Beruhigen Sie sich, Miss!“
„Ich werde mich nicht beruhigen, bis ich mein Baby gesehen habe! Ihr habt mich alle angelogen von wegen quietschender Türen und perfekter Babys und ich glaube nichts von alledem!“
„Okay, schon gut! Bitte entspannen Sie sich. Hier ist Ihr kleines Mädchen.“
Die Schwester griff in die Krippe, die nicht zur Wand gedreht war, und hob mich auf. Ich starrte meine Mutter an. Meine Mutter musste erst einmal schlucken, da ich total mit Kindspech bedeckt war. Ich nehme an, dass schon länger keiner mehr nach mir gesehen hatte und ich mich in der Zwischenzeit mit diesem schwärzlich-grünen A-a, das Neugeborene ausscheiden, beschmutzt hatte. Dies war tatsächlich ein Zeichen dafür, dass ich gesund war, doch die Krankenschwester ließ mich in dem Moment, als sie bemerkte, dass sie ein glitschiges, strampelndes, grün-schwarzes kleines Ungeheuer in Händen hielt, fast fallen.
„Das ist die quietschende Tür, Mrs. Shields. Ich werde sie waschen und dann können Sie sie halten.“ Von diesem Moment an hätte mich Mom am liebsten nie wieder aus den Augen gelassen.
Sie entließen uns aus dem Krankenhaus, sobald ich etwas Gewicht zugelegt hatte. Einem Kind die Brust zu geben, war 1965 wohl nicht sehr populär. Ich denke, Mutter zog es gar nie in Erwägung. Ich bekam Enfamil und wurde nachhause geschickt.
Mom behauptete, dass meine Augen seit der Geburt geschlossen gewesen wären. Sie brachte mich nachhause und wartete darauf, dass sie sich öffnen würden. Irgendwann begann sie, sich Sorgen zu machen, da sie einfach nicht aufgingen. Nun, Mom brachte mich also zurück zum Arzt, der zu ihr sagte: „Oh, Sie wollen, dass die Augen offen sind?“
Als Mom nickte, schnalzte er so fest er konnte mit seinem großen Mittelfinger und Daumen gegen meine Fußsohlen. Meine Augen sprangen sofort auf, ich stieß einen Schrei aus und begann zu weinen.
„Gern geschehen!“
Wie gemein! Ich war ja zwei Monate zu früh zur Welt gekommen. Vielleicht war ich einfach noch nicht so weit, die große, weite Welt zu sehen. Steht ihr mal zwei Monate, bevor es Zeit zum Aufstehen ist, aus eurem gemütlichen Bett auf!
Mein Vater wollte mich nach seiner Mutter nennen, doch Mom gefiel der Name Brooke besser. Sie hatte nämlich ein hübsches Foto von einer Frau auf einem Feld gesehen, das ein Fotograf namens Christian Brooks geschossen hatte. Sie dachte, dass Brooke mit einem „e“ statt einem „s“ ein ziemlich schöner Mädchenname wäre. Als ich schließlich getauft werden sollte, meinte der Priester, dass er mich nicht Brooke taufen könnte, da es keine Heilige mit diesem Namen gäbe. Meine Mom konterte sofort: „Dann ergänzen Sie doch ‚Christ‘ und geben einfach ein ‚a‘ ans Ende. Ist das dann katholisch genug für Sie?“ Ich gehe davon aus, dass der Name Christa auch etwas mit dem Fotografen, der ja Christian im Vornamen hieß, zu tun hatte – doch ihre angebliche Reaktion war natürlich eine viel bessere Story.
So kam ich als Brooke Christa Shields zur Welt und wurde schließlich auf den Namen Christa Brooke Shields getauft. Nach der Taufe gingen Mom und Dad zu P. J. Clarke’s, setzten mich auf die Bar und stießen auf mich an. Mein Ehemann und ich haben exakt dasselbe mit unseren beiden Töchtern gemacht. Mit einem Bier in der Hand und dem Baby auf der Bar zu feiern, ist ein bisschen zu einer Tradition geworden. Mich hat nie wer Christa gerufen, aber mein Monogramm war immer schon BCS.
Meine Mom hatte große Angst vor plötzlichem Kindstod. Das Kind eines Politikers war gerade erst daran verstorben und Mom konnte den Gedanken daran einfach nicht verdrängen. Sie schlief buchstäblich mit mir auf ihre Brust geschnallt und hielt mir immer wieder einen Spiegel vor den Mund, um nachzuprüfen, ob ich noch atmete. Der Hauch meines Atems wurde so zu ihrer Ruhequelle. Ich war eine schlechte Esserin und aß jede halbe Stunde nur 15 Gramm. Mom sagte, dass sie zahllose Fläschchen mit 15 Gramm des Muttermilchersatzpulvers vorbereitet habe, sie neben ihrem Bett aufbewahrt und mich damit gefüttert habe. Das ging ungefähr ein halbes Jahr lang so dahin, bis ich schließlich in meine Holzkrippe umzog. Ich begann schon bald, mich in meinem Bettchen hochzuziehen und darauf herumzuknabbern.
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