Was Coaching leisten kann – und was es nicht ist
Damit wird bereits deutlich, dass vieles als „Coaching“ bezeichnet wird, hinter dem sich ganz andere Ideen, Formate und Konzepte befinden. Auf Grundlage des einführend Dargelegten können grundlegende Koordinaten für professionelles Coaching bestimmt werden: Erstens, dass der Fokus auf einer ziel- und lösungsorientierten Bearbeitung liegt. Zweitens, dass konkrete Anliegen in – drittens – berufsbezogenen Kontexten den Ausgangspunkt bilden. Und viertens, dass mit dem Coaching die Entwicklung von Kompetenzen verbunden ist (vgl. Berninger-Schäfer, 2011, S. 21–26). Mit dem zuletzt aufgeführten Aspekt ist zugleich eine grundlegende Spannung benannt, da der Klient (als arbeitender Mensch) nicht von seinem Menschsein im Ganzen trennbar ist. Zugleich ist er in seinem beruflichen Handeln in (ein) System(e) und Rollen eingebunden. Insofern ist es konsequent, Coaching als ganzheitlichen Prozess zu betrachten, denn „es werden kognitive, emotionale, beziehungsmäßige, körperliche und ethische Aspekte berücksichtigt“ (ebd., S. 24). Entscheidend scheint in der Zielsetzung folglich die Priorität zu sein: Vordergründig ein berufliches Anliegen, welches in seiner Lösung eine Veränderung des Verhaltens, der Haltung, letztlich vielleicht sogar – partiell – der Persönlichkeit des Klienten zum Resultat hat, lässt sich im Coaching (gültiger bearbeiten als ein rein auf die Persönlichkeit – und unabhängig vom konkreten Kontext – formuliertes Anliegen. Insofern zeigen diese Eckdaten bereits erste notwendige Grenzziehungen gegenüber anderen Begleitungsmöglichkeiten auf.
Definition bedeutet – schon von der Wortbedeutung her – das inhaltliche Festlegen von Grenzen. Diese Abgrenzungen dienen sowohl dem Selbstverständnis wie auch einer notwendigen Klarstellung der Rollen und der Zielrichtung. Gleichzeitig sind derartige Grenzziehungen kultur- und systemabhängig, was Björn Migge mit einem Vergleich zwischen der amerikanischen und deutschen Coaching-Landschaft beschreibt: „Ein amerikanischer Coach wäre eher (…) geneigt, (…) konkrete Tipps zu geben (…). Ein deutscher Coach bemüht sich eher (…), indirekt vorzugehen und die (…) Absichten seiner Klienten mit diesen gemeinsam aufzudecken“ (Migge, 2009, S. 74). Jedoch erscheint die hier gezogene Konsequenz einer sinnvollen Abgrenzung nicht zwingend nachvollziehbar, „einmal von Coaching, ein anderes Mal von Beratung“ zu sprechen, mit der Begründung, „jedem Geschmack gerecht zu werden“ (ebd.). Eine – möglichst kultur- und systemrelevante – Grenzziehung gegenüber anderen Formen der Begleitung und Beratung scheint zudem nötig, weil sie an Zielsetzungen und letztlich auch Qualitätsstandards konkretisierbar ist. Die Begründung von Migge verweist aber zugleich auf die Bandbreite der Erwartungen entsprechend des Kontextes und der „Firmenphilosophie“ – und damit des jeweiligen Auftraggebers. So versteht Elke Berninger Schäfer – und mit ihr die Karlsruher Schule – professionelles Coaching in einem „klar definiert(en) und von (…) ähnlichen Beratungsformen abgegrenzt(en)“ Coachingkonzept (Berninger-Schäfer, 2011, S. 30). Diese Abgrenzungen zeigen sie gegenüber der Expertenberatung – mit dem Fokus „Empfehlung zu weiteren Vorgehensweisen“ und der zur Verfügung Stellung von spezifischem Expertenwissen durch eine „inhaltliche Fachexpertise“ (ebd., S. 27) –, dem Training – mit dem Schwerpunkt bestimmter Übungen zur Erreichung eines Zieles sowie, im beruflichen Kontext, der „Erweiterung fachlicher Kompetenzen“ (ebd.) –, dem Mentoring – als Möglichkeit der Begleitung durch eine berufserfahrenere Person mit dem Ziel der Partizipation an dessen Erfahrung –, der Supervison – als Form der Reflexion des eigenen Verhaltens in persönlichen und beruflichen Beziehungszusammenhängen 6–, sowie der Psychotherapie – als therapeutische Behandlungsmöglichkeit von, hier, Patienten – auf (vgl. ebd., S. 26–28). Zusätzlich führt Björn Migge die Mediation – „als allparteiliche und ergebnisoffene Vermittlung“ – sowie die philosophische Lebensberatung – mit dem Blick auf „Werte (…) Prinzipien und Handlungen“ – (Migge, 2009, S. 78) zur Unterscheidung an.
Da Coaching von der Handlung lebt, bewähren sich diese – wenn auch wesentlichen – Grenzziehungen nicht in der theoretischen Setzung, sondern im praktischen Vollzug. Analog zur oben angedeuteten inhaltlichen Ausdifferenzierung in den letzten Jahrzehnten und Jahren, existieren in der Coachingpraxis mehrere komplementäre, entsprechend den Anforderungen kreierte Settings. Eine qualitativ hochwertige und verantwortungsvolle Reflexion der eigenen Zielrichtung, Rolle und Aufgabe im Coaching scheint umso wichtiger, je mehr solcher Komplementärformen sich anbieten. Wie eben angedeutet, brechen beispielhaft immer wieder neu Diskussionen darüber auf, ob Coaching sich (auch) als Beratung verstehen darf. Der DBVC führt diesen Aspekt auch aktuell wie selbstverständlich in seiner Coachingdefinition an, wenn er von einer „ergebnis- und lösungsorientierte(n) Beratungsform“ oder einem „auf individuelle Bedürfnisse abgestimmte(m) Beratungsprozess“ spricht. Gleichzeitig wird auf die inhaltliche Mehrperspektivität verwiesen, da sich Coaching als „Kombination aus individueller Unterstützung zur Bewältigung verschiedener Anliegen und persönlicher Beratung“ ( http://www.dbvc.de/der-verband/ueber-uns/definition-coaching.html) verstehe. Letztlich wäre eine rein terminologische Klärung für die Praxis wenig effektiv, wie in den bestehenden Kombinationsmöglichkeiten von Coaching – mit Training, Mentoring, Supervison, Psychotherapie (vgl. Berninger-Schäfer, 2011, S. 28–30) oder auch Seelsorge (vgl. Hanstein, 2017) – ebenfalls nur Varianten formal benannt sein können. Der Gefahr, dass die „Übergänge fließend“ (Migge, 2009, S. 78) und die jeweiligen Begleitungsformen „gemischt werden“ (Berninger-Schäfer, 2011, S. 30), kann letztlich nicht durch die Definition – die nur den Anfang bilden kann – begegnet werden, sondern durch verinnerlichte Grundhaltungen und einer hinreichenden Klarheit bezüglich Aufgabe und Rolle. Auf dieser Basis kann sich dann im Idealfall – hier im Blick auf die Komplementärberatung – ein „oszillierendes Geschehen“ (Berninger-Schäfer, 2011, S. 30) einstellen. Eine, wenn nicht die entscheidende Grundhaltung 7und damit ein grundlegendes Qualitätskriterium im Coaching definiert zugleich – und im praktischen Zweifelsfall – die Grenzziehung gegenüber sich ähnelnden Formen der Begleitung: die Askese. Sie wird im Prozessgeschehen an der „Zurückhaltung des Coachs im Formulieren eigener Hypothesen und dem Erteilen von Ratschlägen“ (Berninger-Schäfer, 2011, S. 36) erkennbar. Diese Haltung beachtend, erscheint es auch nicht zwingend problematisch, von Beratung zu sprechen, zumal diese Erwartung im Business-Bereich explizit oder unausgesprochen oft mitschwingt. Qualitativ messbar wird Coaching dann daran, ob es dem Klienten im Prozess möglich war, „eigene Lösungen zu entwickeln“. Denn der Coach „ermöglicht das Erkennen von Problemursachen und dient daher zur Identifikation und Lösung der zum Problem führenden Prozesse“ ( http://www.dbvc.de/der-verband/ueber-uns/definition-coaching.html).
5Vgl. z. B. „Wer ist der beste Coach aller Zeiten?“, in: https://de.fifa.com/news/y=2011/m=1/news=wer-ist-der-beste-coach-aller-zeiten-1363660.html.
6Vgl. die exemplarische Unterscheidung im Kap. „Die Bedeutung (organisations-)theoretischer Ansätze“.
7Vgl. zu grundlegenden Haltungen im Coaching Kap. „Menschenbild, Grundhaltungen, Standards“.
2 Markteroberung – fester Bestandteil der Personalentwicklung
Vom Allrounder zur Fachdisziplin
Auch wenn im Zuge der 30-jährigen Coaching-Entwicklung der ursprüngliche berufliche Kontext sowie die originäre Zielsetzung – „Steigerung und (…) Erhalt der Leistungsfähigkeit“ sowie „Verbesserung der beruflichen Situation und das Gestalten von Rollen unter anspruchsvollen Bedingungen“ ( http://www.dbvc.de/der-verband/ueber-uns/definition-coaching.html) – grundsätzlich beibehalten werden konnte, zeigt sich nach Regina Mahlmann eine klar Unterscheidung in zwei Kategorien. Neben der Weiterentwicklung als einer Kategorie wird hier Konfliktuelles als ein weiterer, umfänglicher Bereich angeführt (Mahlmann, 2009, S. 14–16). Diese Beobachtung wird auch durch die neuere Literatur bestätigt (vgl. z. B. Schreyögg, 2003, S. 340 ff) 8. Mahlmann differenziert diese Kategorie wiederum in die Bereiche der individuellen Belastungen – mit den zwei Brennpunkten der persönlichen oder systemischen Faktoren –, beruflicher Deformationen – als einer bereits eingetretenen Auswirkung gering ausgeprägter Work-Life-Balance –, Distress im Arbeitsalltag, Burn-out und Mobbing (vgl. Mahlmann, 2009, S. 14.15). Bei aller Wertschätzung gegenüber den Erfahrungen der Autorin als Coach wird in dieser Aufzählung zweierlei deutlich: Wiederum die notwendige Abgrenzung und entsprechende Weitervermittlung – v. a., wenn sich bereits psychische Auffälligkeiten zeigen bzw. der Klient davon berichtet –, wie auch eine augenfällige Expansion des Themas Coaching im Gesundheits- und Life-Bereich in den letzten Jahren. So erfreulich es ist, dass das Thema Gesundheitsschutz im beruflichen Bereich – nicht nur im öffentlichen Dienst – im Kontext Führungscoaching und Personalentwicklung seinen – festen – Platz gefunden hat, so irritierend erscheint der Boom im Bereich Life-Coaching. Aufgrund dieser Tendenz, die sich in der Flut an Literatur widerspiegelt – lt. Berninger-Schäfer 2014 existieren mehr als fünfzig Publikationen in diesem Feld (Berninger-Schäfer, 2014) – soll dieser Bereich des „Coaching für alle und alles“ (ebd. 2011, S. 39), wenn hiermit auch benannt, in der weiteren Darstellung bewusst unberücksichtigt bleiben.
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