Weiterhin sind Emotionen mit bestimmten Ausdrucksformen verbunden. Sie manifestieren sich in Sprache, Haltung, Gestik und Mimik und bewirken häufig bestimmte Verhaltensweisen. So führt Furcht zu Angriff, Flucht oder Erstarrung. Emotionen lassen sich anhand dieser Merkmale gut von anderen affektiven Phänomenen abgrenzen.
Stimmungen haben ebenso wie Emotionen eine subjektive Erlebnisqualität. Es handelt sich jedoch nicht um episodische Reaktionen, und sie verfügen nicht über Bezugsobjekte. Sie gehen auch nicht mit bestimmten körperlichen Veränderungen, Ausdrucksformen oder Verhaltensweisen einher. Emotionen sind auch von körperlichen Empfindungen (wie einem Prickeln oder Ziehen) zu unterscheiden. Körperliche Empfindungen sind zwar episodisch, sie haben aber typischerweise kein Bezugsobjekt und sind nicht mit spezifischen körperlichen Veränderungen, Ausdrucksformen oder Verhaltensweisen verbunden, sondern zeichnen sich vor allem durch ihre Erlebnisqualität aus.
Charakterzüge wie Extrovertiertheit, Offenheit oder emotionale Verletzlichkeit stellen ebenfalls keine Emotionen dar. Sie weisen keine der für Emotionen charakteristischen Merkmale auf, auch wenn sie etwas damit zu tun haben mögen, zu welchen emotionalen Reaktionen jemand in bestimmten Situationen tendiert.
Emotionstheorien unterscheiden sich darin, welche Merkmale von Emotionen sie als vorrangig betrachten und wie sie deren Wechselspiel verstehen. So kommt es für den Behaviorismus besonders auf die Verhaltensreaktionen an. Demnach wäre beispielsweise Furcht gleichzusetzen mit der Tendenz zu Flucht, Erstarrung oder Kampf. Somatische Theorien hingegen halten Emotionen für Wahrnehmungen körperlicher Veränderungen. Der Philosoph und Psychologe William James, auf den dieser Ansatz zurückgeht, prägte hierfür Ende des 19. Jahrhunderts den Slogan: Wir weinen nicht, weil wir traurig sind, sondern wir sind traurig, weil wir weinen.6
Kognitivistische Theorien konzentrieren sich auf die intentionalen Objekte von Emotionen. In der gegenwärtigen Psychologie ist der Ansatz verbreitet, Emotionen als Interpretation und Bewertung (engl. appraisal ) einer Situation vor dem Hintergrund gewisser Ziele, Wünsche, Überzeugungen und Erfahrungen zu verstehen. Solche Bewertungen umfassen etwa die Relevanz für die eigene Person oder Gruppe, den Neuigkeitswert des Ereignisses, die hedonische Qualität (›angenehm‹ oder ›unangenehm‹), die Relevanz für die eigenen Bedürfnisse und die Wahrscheinlichkeit des Eintretens.
Emotionen lassen sich durch jeweils spezifische Bewertungsmuster voneinander abgrenzen, die verhältnismäßig stabil sind. Diese Bewertungsmuster unterscheiden sich in ihrer Komplexität und in ihrem kognitiven Anspruch. Sie variieren von niederstufigen biologisch bestimmten Mustern bis hin zu kognitiv anspruchsvollen, kontext- und kulturabhängigen Prozessen. Die Bewertungstheorien finden auch in der emotionalen KI Anwendung.7 Gefühlstheorien (engl. feeling theories ) hingegen verstehen die subjektive Erlebnisqualität als das entscheidende Merkmal von Emotionen. Da es zweifelhaft ist, ob Maschinen tatsächlich über subjektive Gefühlsqualitäten verfügen, ist dieser Ansatz in der emotionalen KI nicht verbreitet.
Tabelle 1: Emotionstheorien und affektive Phänomene
Zu den wichtigsten und in der emotionalen KI einflussreichsten psychologischen Ansätzen gehört die Theorie der basalen Emotionen . Ihre Ursprünge reichen auf Darwin (1872) zurück, der beobachtete, dass Emotionen bei Menschen und Tieren eng mit gewissen Gesichtsausdrücken und Verhaltensweisen verknüpft sind. Die Theorie der basalen Emotionen besagt nun, dass es eine Reihe von basalen Emotionen gibt, die universell geteilt und in bestimmten neuronalen Strukturen des Gehirns verankert sind. Sie werden durch eine eng begrenzte Klasse von Reizen ausgelöst und haben die evolutionäre Funktion, schnelles und effizientes Verhalten im Umgang mit bestimmten Herausforderungen der Umwelt zu ermöglichen. Sie sind nicht rational kontrollierbar und laufen weitgehend automatisch ab. Man spricht deshalb auch von Affektprogrammen.
Besonders bedeutsam für die emotionale KI waren die Arbeiten des Psychologen Paul Ekman, der diesen Ansatz seit den 1960er Jahren fortentwickelt hat.8 Im Zentrum seiner Untersuchungen stand der enge Zusammenhang zwischen basalen Emotionen und bestimmten Gesichtsausdrücken, die kulturübergreifend erkannt werden. Nach Ekman lassen sich solche Emotionen sogar allein auf der Grundlage des Gesichtsausdrucks zuordnen. Seine ursprüngliche Liste enthält sechs basale Emotionen: Furcht, Freude, Ärger, Traurigkeit, Überraschung und Ekel. Allerdings hat Ekman diese Liste später selbst modifiziert und es wurden noch weitere, davon abweichende Aufzählungen basaler Emotionen erstellt.
Das Gegenstück zu den basalen Emotionen bilden nicht-basale oder komplexe Emotionen. Wie die rein negative Abgrenzung schon andeutet, lässt sich diese Art von Emotionen weit schwieriger unter einen einheitlichen Begriff fassen und es gibt unterschiedliche Ansätze zu ihrer Erklärung. Einige gehen davon aus, dass komplexe Emotionen sich aus basalen Emotionen zusammensetzen. Nostalgie ließe sich etwa als Mischung aus Freude und Traurigkeit beschreiben. Für andere entstehen komplexe Emotionen aus der Ausrichtung basaler Emotionen auf ein neues, zumeist spezifischeres Bezugsobjekt. So entstünde etwa Eifersucht, indem Ärger auf eine ganz bestimmte Form der Anstößigkeit als neues Objekt bezogen würde, nämlich auf Untreue in einer Liebesbeziehung. Schließlich kann man komplexe Emotionen auch als ganz und gar eigenständige Phänomene verstehen, so dass die Klasse der Emotionen in zwei distinkte Arten auseinanderfiele.
Die Frage ist allerdings, ob es tatsächlich eine so strikte Abgrenzung zwischen basalen und nicht-basalen Emotionen gibt oder ob der Übergang zwischen automatischen und universellen Emotionsformen und ihren kognitiv anspruchsvolleren, kontextabhängigen Gegenstücken nicht eher fließend ist. Ein Beispiel wäre die Furcht vor einem gefährlichen Raubtier, die in Form eines Affektprogramms abläuft und auch im Tierreich vorkommt, gegenüber der Furcht vor einem Börsencrash, die deutlich anspruchsvollere kognitive Ressourcen sowie bestimmte soziale Organisationsformen voraussetzt. Furcht in diesem nicht-basalen Sinn scheint auch nicht mit einem bestimmten Gesichtsausdruck oder den drei Grundverhaltensformen des Affektprogramms (Flucht, Erstarrung oder Kampf) verbunden zu sein.
Da komplexe Emotionen in der emotionalen KI nur eine untergeordnete Rolle spielen, werden die unterschiedlichen Erklärungsansätze und ihre Probleme nicht näher ausgeführt. Die Theorie der basalen Emotionen hingegen gewann großen Einfluss in diesem Bereich, denn die Unterscheidung von Emotionen auf der Grundlage von Gesichtsausdrücken eignet sich vorzüglich für die algorithmische Emotionserkennung. Das Internet bietet zudem eine gute Quelle, um an jene Daten zu kommen, die notwendig sind, um solche Programme zu entwickeln.
2. Wie künstliche Systeme wissen, was wir fühlen
Die automatisierte Emotionserkennung ist der derzeitig ökonomisch und sozial bedeutsamste Zweig der emotionalen KI. Diese Wachstumsbranche wird in Zukunft noch mehr an Gewicht gewinnen und Folgen für unser Zusammenleben haben. Bereits jetzt wurden eine Reihe von Methoden entwickelt, die in unterschiedlichen Bereichen Anwendung finden. Im Folgenden werden die grundlegenden Technologien und Verfahren zur Erkennung menschlicher Emotionen vorgestellt, die in künstlichen Systemen eingesetzt werden.
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