Schriftliche Aufstellungen von Akkordstrukturen stellten zwar ein nützliches Hilfsmittel dar, doch notierten wir nicht allzu regelmäßig, und wenn, dann nur die groben Umrisse eines Songs in Akkordsymbolen. Ich verstand, was ich mit meinen meinte, doch stand ich damit leider allein da. Während ein Song komponiert wurde – noch bevor er einen Titel hatte –, wurde der Prozess grafisch festgehalten. Später änderten wir dann aber noch die Tonart oder schrieben einen neuen Anfang. Die titellosen grafischen Darstellungen mit irgendeinem bestimmten Song in Zusammenhang zu setzen gestaltete sich daher oft sehr schwierig. Ich besitze noch etliche Notizhefte, deren einzelne Seiten mit einem bunten Durcheinander aus Akkordmustern und Notizen zu den jeweiligen Arrangements übersät sind. Manche kann ich mit konkreten Songs in Verbindung bringen, wohingegen andere mit irgendwelchen hingekritzelten Titeln nicht mehr zu identifizieren sind. Viele meiner betitelten Song-Skizzen erweisen sich aber als überaus praktisch, wenn man eine Nummer 30 Jahre lang oder so nicht mehr gespielt hat. Die meisten Arrangements sind aber ohnehin irgendwo in meinem Kopf abgespeichert.
Bevor wir an sonnigen Tagen mit den Proben begannen, spazierte ich durch die Felder, um auf meiner Martin zu spielen. Manchmal nahm ich meine Ideen auch auf. So komponierte ich etliche Passagen, die später Eingang in unsere Musik fanden. Als ich der Band „Clap“, mein erstes Instrumental samt Country-Picking, vorspielte, bestand sie darauf, dass es auf die neue Platte gehöre. Dies war ein bedeutsamer Moment für mich. Ich war begeistert, dass sie der Ansicht waren, dieser Song würde sich gut neben all den Stücken machen, die wir gemeinsam schrieben. Eine solche Solo-Einlage eröffnete mir nämlich die goldene Möglichkeit, mich vorzustellen. Bill und ich waren für den Titel verantwortlich, doch es war Jon, der den Song auf einer Live-Aufnahme als „The Clap“ [Anm: englischer Slang für Gonorrhö] ankündigte, was sich dann leider hartnäckig hielt.
Wir bastelten weiterhin zudem an Songs wie etwa „Your Move“ und „I’ve Seen All Good People“. Auch trieben wir die Weiterentwicklung von „No Disgrace“ und „Perpetual Change“ voran. Ich erinnere mich, dass „Starship Trooper“ und „A Venture“ ausschließlich im Studio entstanden. „Starship“ sollte dann einer unserer populärsten Live-Songs werden. Eigentlich besteht die Nummer aus drei unterschiedlichen Segmenten, doch irgendwie wirkt das Ganze wie ein einziger Song. Wir konnten einfach nicht alles, was wir sagen wollten, in drei Minuten und 20 Sekunden unterbringen. Wir brauchten schon acht bis zehn Minuten, um unser Material zur Geltung zu bringen und unsere Ideen darzulegen. Das sprengte eben den Rahmen der handelsüblichen Song-Formel. Wir stellen uns vor, dass die Songtexte die Hörer in einen traumähnlichen Zustand versetzen könnten, in denen die surreal kombinierte Musik ihre Erwartungen auf den Kopf stellte.
Nach ein paar Wochen, in denen wir auf diese Weise arbeiteten, kreuzte unser Manager auf. Er teilte uns mit, dass er die Fliege machen wolle. Darüber hinaus werde er sich auch finanziell an uns schadlos halten, da wir ihm angeblich noch Geld schuldeten. Das war das Ende der 25 Pfund pro Woche, die uns gerade einmal so über Wasser gehalten hatten. Nun blieben uns zum Überleben nur mehr die Gagen von den Gigs. Somit brachen wieder einmal karge Zeiten für uns an. Doch zumindest landeten wir einen kleinen Triumph. Der Manager hatte geplant, seinen Anteil an den Verlagsrechten behalten zu dürfen, die er erworben hatte, da er auch als unser Musikverlag fungierte. Eine Provision am Anteil der Songautoren und einen Anteil der Verlagsrechte einzusacken, wurde indes als verfassungswidrig und illegal eingestuft. Immerhin heimste er so fünf Prozent fürs Nichtstun ein!
Eines Abends im Juni, gegen Ende unseres Aufenthalts und nachdem Jon, Bill und Chris bereits zu Bett gegangen waren, starrten Tony Kaye und ich in die Glut im Kamin und beschlossen, uns aus irgendeinem verrückten Grund einen LSD-Trip zu teilen. Das war das letzte Mal, dass ich diese Erfahrung machte. Vielleicht auch gerade deshalb, weil es mein bestes LSD-Erlebnis war. Als die Wirkung einsetzte, begaben wir uns in den Proberaum, den wir uns in einer Stube neben dem Wohnzimmer eingerichtet hatten. Da stand unsere Ausrüstung. Die Verstärker summten. Uns fiel auf, dass der Leslie-Lautsprecher, den wir an die Hammondorgel angeschlossen hatten, sogar richtig schnurrte. Tony schlug ein F-Dur an. Nach zehn Minuten waren wir ganz verblüfft, was wir da alles hören konnte: sich verändernde Beitöne, unvorstellbare Obertöne und die vollkommene musikalische Erfüllung!
Kurz bevor es Morgen wurde, verließen wir das Haus, um die uns umgebende Welt und Natur genauer zu erkunden. Wir drangen tief in die entlegene englische Landschaft ein. Tony und ich kletterten in unseren Rover und fuhren auf einspurigen Straßen ganz langsam und bedacht durch die ländliche Gegend. Wir passierten dabei pinke Cottages, die mit Mauerblümchen überwuchert waren. Auch an einem Spaziergänger fuhren wir vorüber, der ganz gespenstisch wirkte, als er uns zuwinkte. Als wir zum Bauernhof zurückkehrten, fiel uns auf, wie schön die Hühner aussahen. Wir legten uns auf den Boden neben die Vögel. Dort beobachteten wir, dass die Anordnung ihrer Federn dem Muster der Poren auf unserer Haut entsprach. Wir mussten lachen, so verblüfft waren wir darüber. Dann tauchte Mr. Dartnall auf und fragte, was wir da trieben. Als ob es irgendwie verquer gewesen wäre, um halb sechs Uhr morgens auf allen vieren über die harten Pflastersteine zu kriechen und Hühner zu bewundern. Das war eine lange, spaßige Nacht.
Zum Glück ließ uns Atlantic Records hinsichtlich eines Deals für das dritte Album nicht hängen. Es war die letzte Platte, zu deren Veröffentlichung sie vertraglich verpflichtet waren. Obwohl ich es damals nicht wusste, hieß es, dass sie die Band, wäre das Album hinter den Erwartungen zurückgeblieben, fallengelassen hätten. Sollte das neue Album nicht in den Charts landen und sich gut verkaufen, könnte also der Vorhang für Yes fallen. Dank des neuen Deals konnten wir uns endlich ein Studio buchen.
Wir baten Eddy Offord, uns als Toningenieur zu betreuen, wie er das schon bei Time And A Word getan hatte. (Tony Colten hatte da noch als Produzent fungiert.) Außerdem boten wir Eddy an, dieses Album mit uns gemeinsam zu produzieren. Er machte sich damals gerade einen Ruf als angesagter junger Engineer, und eine Kooperation stellte für beide Seiten eine gute Gelegenheit dar. Tatsächlich entstand so eine jahrelange und überaus fruchtbare Arbeitsbeziehung. Er wusste ganz instinktiv, wie er uns ausbalancierte, wenn wir sehr unterschiedliche Melodielinien übereinander hinweg spielten. Dieser Ansatz brachte es mit sich, dass die Levels und die Positionierung jedes einzelnen Parts zur überaus delikaten Aufgabe avancierten. Sein einzigartiger Audio-Stil rückte hier in den Vordergrund. Er war in Bezug auf all den Irrsinn und die Versuchungen des Musikbusiness relativ unschuldig, was ihn ein bisschen zu einem Außenseiter machte, der eben die technischen Aspekte des Aufnahmeprozesses liebte. Dies kompensierte den Umstand, dass wir selbst herzlich wenig davon verstanden. Er erarbeitete sich unser Vertrauen, indem er dabei half, die geeigneten Takes auszusuchen. Eddy wurde so zu unserem sechsten Bandmitglied – ein zusätzliches Paar Ohren, das auch bitter nötig war, wann immer wir im Studio ordentlich auf die Tube drückten.
Wir ließen uns zum Arbeiten in den Advision Studios nieder. Eddy war der hauseigene Toningenieur dieses gut ausgerüsteten Komplexes mitsamt seinem großen und kleinen Studio. Beide verfügten über jeweils einen eigenen Regieraum, wie man auch in Howard Masseys Buch The Great British Recording Studios nachlesen kann. So nahmen wir Mitte 1970 schließlich unser nächstes Studio-Abenteuer in Angriff.
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