Keith und ich freuten uns über die charmante Gesellschaft unserer Freunde, mit denen wir ein herrliches Loft in Cromwell Gardens unweit der Cromwell Road teilten. Wir verbrachten unsere Nächte in einem wunderbaren Nebel aus Musikmachen, Essen, Trinken und Rauchen. Gespräche ergaben sich zwanglos und verebbten, sobald der herannahende Morgen seine ersten Vorboten aussandte.
Unser Album Tomorrow erschien erst im Februar 1968. Doch da war der geeignete Zeitpunkt, um großen Eindruck zu hinterlassen, bereits verstrichen. Zur Jahresmitte 1968 spielten wir beim Festival im Donington Park. Es sollte eines unserer letzten Konzerte sein. Keith erfreute sich in der Welt der Popmusik immer größer werdender Berühmtheit, was sowohl positive als auch negative Konsequenzen mit sich brachte. Manchmal wurden wir als „Tomorrow featuring Keith West“ oder „Keith West & Tomorrow“ angekündigt. Doch in seiner Einstellung blieb er sehr wohl ein Teamspieler. Immerhin opferte er seine Solokarriere dafür, bei uns zu bleiben. Er wollte nicht bloß ein Popstar sein, nein, vielmehr wollte er der Sänger in einer Band sein. In Irland erwarteten sich die Fans aber „Keith West & Tomorrow“, und die Shows liefen alle ein bisschen aus dem Ruder. Sie wünschten sich die Art Song, die ihn berühmt gemacht hatte – nicht irgendwelchen abgefahrenen Psychedelic Rock. Das führte dazu, dass uns das Publikum mit Münzen bewarf. So spielten wir ein neues Arrangement von „Grocer Jack“, das so gar keinen Anklang fand. Jedenfalls wollten sie uns nicht mehr buchen.
Tomorrow verfügten über enormes Potenzial, aber mittlerweile wirkte die Band wie ein Zusammenschluss individueller Talente und nicht wie ein starkes Kollektiv. Mark Wirtz produzierte mehrere als Solo-Veröffentlichungen vorgesehene Songs, die Keiths Erfolg mit „Grocer Jack“ wiederholen sollten. So nahm ich etwa eine Nummer mit dem Titel „Moth Balls“ auf, die dann aber nicht erschien. Junior und Twink veröffentlichten unter der Aufsicht Marks als The Aquarian Age den Track „Ten Thousand Words in A Cardboard Box“. Gleichzeitig fabrizierten Keith und Mark noch die Nachfolge-Single zu „Grocer Jack“, die den Titel „Sam“ trug, aber hinter den Erwartungen zurückblieb.
Kapitel 5
Unten am Fluss
Keith und mich verschlug es als Nächstes ins Grenzgebiet zwischen Highgate und Muswell Hill, wo mein Bruder Philip die beiden oberen Stockwerke eines Hauses bewohnte, von dem aus man auf Alexandra Palace hinabsehen konnte.
Im Dachboden dieser Bude begann ich, viel klassische Musik zu hören. Mithilfe der Schönheit eines ganzen Orchesters bekam ich so richtig den Kopf frei. Den Klängen von Vivaldi, Mozart, Villa-Lobos und Bach zu lauschen, schien meinen Sinnen neues Leben einzuhauchen. Damals wurde mir klar, dass wir niemals die Fähigkeiten und Power jener Musiker unterschätzen sollten, die die Werke dieser Komponisten zum Leben erweckten. Etwa Leute wie Ashkenazy, J.-P. Rampal, André Previn und John Williams. Auch verspürte ich die unbestrittene Genialität vieler großer Komponisten, die ihre Werke direkt auf Notenblättern zu ersinnen und zu orchestrieren verstanden. Sie konnten die komplizierten harmonischen Modulationen förmlich hören. In ihren Köpfen. Von Vivaldis Flötenkonzerten, von J.-P. Rampal gespielt, bis hin zu Rodrigos Concierto De Aranjuez, gespielt von John Williams, besaß diese Musik immenses Drama und Spannung. Ein solch subtiles Loslassen, welch entspannte Sanftheit! Das fesselte mich, damals wie heute. Dieses großartige musikalische Vermächtnis wird an passionierte Musiker weitergereicht, um es neu zu interpretieren und zu verfeinern. Ihr Verständnis revitalisiert die Lebenskraft dieser auf Papier festgehaltenen Musik und holt sie in die Gegenwart.
Wenn man noch weiter zurückgeht, etwa bis ins Mittelalter, wird offensichtlich, dass Musik seit jeher darauf abzielte, die Stimmung und Gefühle ihrer jeweiligen Epoche widerzuspiegeln. Julian Bream spielte nicht nur die Gitarre des 20. Jahrhunderts meisterhaft, sondern rückte auch die Laute erneut in den Mittelpunkt des Interesses, indem er die Musik und Lieder John Dowlands aus dem 16. Jahrhundert in sein Repertoire aufnahm. Sein Spiel strotzte nur so vor Emotion und Ausdruck. Er fühlte jede einzelne Note, die er spielte. A Life In Music ist eine wunderbare DVD-Dokumentation, die zeigt, dass Julian sogar Jazz gespielt hat. In den Siebzigerjahren besuchten Jan und ich viele seiner Aufritte in London. Nach einem Konzert, das er mit John Williams als Duo gespielt hatte, stellte uns dieser einander vor. (Wie schon Segovia gesagt hat, ist das Einzige, was noch besser ist als eine Gitarre, eben zwei Gitarren!) Julian wirkte, als wollte er gerade die Garderobe verlassen, und erinnerte uns mit seinem breitkrempigen Hut und seinem Mantel ein bisschen an Zorro. Zum Glück willigte er ein, John in seiner Wohnung in Hampstead zu besuchen, wo ich dann ein wenig ausführlicher mit ihm quatschen konnte. Er fragte mich, ob ich dieser Gitarrist sei, der mit drei Wagenladungen voll Ausrüstung durch die Lande ziehe. Ich musste bejahen – genau dieser Gitarrist war ich nämlich.
Rund um den Oktober 1968 begann Keith, Solo-Tracks für die EMI aufzunehmen, auf denen ich ihn begleitete. Bei manchen dieser Songs spielte Ronnie Wood Bassgitarre, und bei allen saß Aynsley Dunbar hinterm Schlagzeug. Bei „On A Saturday“ spielte ich Spanische Gitarre, und auf der B-Seite, „The Kid Was A Killer“, übernahm ich sowohl Bassgitarre als auch E-Gitarre. Auch auf seiner nächsten Single, dem Song „She“, war ich vertreten. Mark engagierte mich weiterhin für alle möglichen Sessions. Ich spielte auf einigen Tracks mit Caroline Munro und vielen deutschen Versionen von Popsongs, die ich aber nie wieder zu hören bekam.
Sessions zu spielen war in Ordnung. Dort traf ich viele Leute und keiner war irgendwie für den anderen verantwortlich. Drei Stunden später war dann alles vorbei, und es ging weiter zum nächsten Termin. In gewisser Hinsicht ähnelte es einer klassischen Tretmühle. Womöglich sah ich auch deshalb in den Sessions keinen bewusst gesetzten Karriereschritt. Ich lieferte ab und wurde bezahlt. (Ich hatte Glück und jemanden, der diese Sessions für mich buchte.) Allerdings erhielt ich keine Tantiemen und verließ mich stattdessen auf meine Gage, die die PPL (Phonographic Performance Limited) für mich eintrieb. Falls sich ein Song in großer Stückzahl verkaufte und/oder im Fernsehen oder Radio lief, bekam ich über die PPL einen geringen Betrag vermittelt. Mit Bands kannte ich mich am besten aus, und so beschloss ich, mich weiterhin darauf zu fokussieren.
Fürs Erste hielt ich mich weiter mit Sessions über Wasser, wodurch ich irgendwann an das Management von Deep Purple geriet. Sie sahen sich gerade nach einem Gitarristen um, um die Besetzung einer neuen Band, die sie zusammenstellten, zu komplettieren. Ich traf mich also mit Dave Curtis – seinerseits Sänger, Songwriter und Bassist – und seinem Drummer und Freund Bobby Woodman (Clarke), der zuvor für Johnny Hallyday getrommelt hatte. Wir nannten uns zunächst Canto und nahmen zusammen ein paar Demos auf, so etwa „The Spanish Song“, das man sich auf Anthology 2 anhören kann. Nachdem wir die Besetzung um einen jungen Typen namens Clive Skinner (Maldoon) erweitert hatten, benannten wir uns bald in Bodast um: Bobby-Dave-Steve. Nicht unbedingt ein Geniestreich, vor allem, weil dieses Konstrukt keinerlei Bezug auf Clive nahm.
Wir wohnten zusammen in einem Mietshaus in West Finchley und erhielten wöchentlich einen geringen Sold ausbezahlt. Dort schrieben wir unsere Songs und hofften, für Gigs gebucht zu werden. Das war eine in meinem Leben einmalige Situation. Wir waren hinsichtlich Management und Verlagsrechte vertraglich gebunden. Unser wöchentliches Einkommen entsprach einem Vorschuss – es konnte zurückgefordert werden, sobald tatsächlich mal Geld hereinkäme. So schrieben und probten wir unablässig neue Songs. Das war um die Zeit, als die Beatles ihr gefeiertes White Album veröffentlichten. Es ging nur zäh voran, aber zumindest lebte ich immer noch meinen Traum und konnte komponieren und spielen, was immer ich wollte. Außerdem klangen wir ziemlich gut.
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