Diese Veröffentlichung wurde gefördert durch die Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung, Essen, und die Stiftung Irene Bollag-Herzheimer, Basel.
Trotz intensiver Recherche konnte nicht in allen Fällen die Urheberschaft an den Abbildungen ermittelt werden. Der Verlag bittet um entsprechende Hinweise, um berechtigte Ansprüche abzugelten.
Die Umschlagabbildung zeigt Emanuel Schaffer im Dezember 1969 als amtierenden israelischen Nationaltrainer.
Foto: Nachlass Schaffer
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Satz und Gestaltung: Die Werkstatt Medienproduktion GmbH, Göttingen
ISBN 978-3-7307-0569-8
Inhaltsverzeichnis
Prolog: Unser größter Trainer
Gestohlene Jugend
Aliya nach Israel
Rückkehr ins Land der Täter
Der Beginn einer wunderbaren Freundschaft
Auf Erfolgskurs
Fußballdiplomatie
Der Höhepunkt: Mexiko 1970
Die Entlassung
Jenseits des Gipfels
„Mein größter Fehler“
Die Freundschaft lebt weiter
Ex Deutschland Lux
Der Geschäftsmann
„Wiedergutmachung“
Rückkehr nach Recklinghausen
Familie
Im Herbst des Lebens
Erinnerung und Erbe
Quellen
Literatur
Namensregister
Die Autoren
Dank
Prolog: Unser größter Trainer
„Er war der größte Trainer, den wir je hatten.“ Diese Worte des Präsidenten des israelischen Fußballverbandes, Avi Luzon, begleiteten Emanuel Schaffer am 30. Dezember 2012 ins Grab.
Emanuel „Eddy“ Schaffer gilt bis auf den heutigen Tag als erfolgreichster Trainer der israelischen Fußballnationalmannschaft . Bei der Fußballweltmeisterschaft 1970 in Mexiko hat Schaffer seine Elf in die Runde der letzten 16 geführt. Dieser absolute Höhepunkt seiner Karriere war zugleich der bis heute größte Erfolg des israelischen Fußballs. Weder vor 1970 noch danach hat eine israelische Nationalmannschaft wieder die Endrunde einer Welt- oder Europameisterschaft erreicht.
Emanuel Schaffer, im polnischen Drohobycz geboren, als Kind in Deutschland aufgewachsen, floh 1933 vor den Nazis über Metz, Saarbrücken zurück nach Drohobycz und später vor der einmarschierenden deutschen Wehrmacht bis nach Alma Ata. In den 1950er Jahren fand er als Israeli den Weg zurück nach Deutschland, um sich als Fußballtrainer ausbilden zu lassen. Seine deutschen Sprachkenntnisse und auch der gute Ruf, den der deutsche Fußball und die Trainerausbildung nach dem Weltmeistertitel 1954 genossen, haben diese Entscheidung zweifellos entscheidend beeinflusst.
Seine Biografie erhält ihre besondere Bedeutung vor dem Hintergrund der Geschichte des Staates Israel und des Zionismus wie auch der traumatischen Geschichte der Shoah, des Holocaust. Bei Schaffers Karriere geht es nicht nur um die Karriere eines Fußballers und Trainers, eines Sportlers, sondern um eine Personifizierung dessen, was in der Historiographie unter dem Titel „Galut-Juden (Diasporajuden) und Nationaljuden“ oder „Von der Shoah zur Wiederauferstehung des jüdischen Volkes“ verstanden wird.
Seitdem Max Nordau (1849-1923), Theodor Herzls engster Mitarbeiter in der zionistischen Bewegung, beim zweiten Zionisten-Kongress in Basel 1898 den Begriff des Muskeljudentums zum Thema seiner Rede gemacht hatte, galt die Genesung des in der Diaspora angeblich degenerierten jüdischen Körpers mithilfe von Turnen und Sport als wichtiges Ziel des Zionismus, oder mindestens als wichtiger Schritt auf dem Weg zur „Regeneration“ des jüdischen Volkes und der staatlichen Wiederbelebung. 1Die Erziehung der praktizierenden Zionisten, d. h. derjenigen Juden, die nach Palästina einwanderten bzw. im Lande geboren wurden, und ihr Selbstverständnis sollten mit diesem Ziel körperlicher Ertüchtigung in Einklang gebracht werden. Entsprechend gehörte zum Gegensatz zwischen Galut und Yishuv, also zwischen Diaspora und zionistischer Gemeinschaft in Palästina, auch automatisch der stereotype Gegensatz zwischen dem jüdischen Schwächling und dem Muskeljuden. Das Muskeljudentum, so der zionistische Mythos, könne zwar bereits in der zionistischen Vorbereitungsphase vor dem Verlassen der Galut in Erscheinung treten, verwirkliche sich aber letztlich doch nur im eigenen Land; denn Diasporajuden sind per definitionem muskel- und nervenschwach. Vorbilder des Muskeljudentums suchte man aus diesem Grunde in der Antike, im altgeschichtlichen Judenstaat, nicht im modernen europäischen oder amerikanischen Diaspora-Judentum. 2Besonders deutlich schien dieser Kontrast bei der Gegenüberstellung der jüdischen Opfer der Shoah mit den „neuen Juden“ im drei Jahre nach der Shoah gegründeten Staat Israel hervorzutreten.
Dieses schlichte Schwarz-Weiß-Denken musste jedoch im Verlauf der sieben Jahrzehnte seit der Gründung des Staates Israel Schritt für Schritt revidiert und relativiert werden. Man begriff, dass das Leben in der Diaspora Wichtiges zum Judentum beigetragen hat, ja dass sogar manches Element im zionistischen Judentum auf Fundamenten der Diaspora beruht und dass auch Überlebende der Shoah ihren Beitrag zum Aufbau des Judenstaates geleistet und am Kampf für diesen Staat mitgewirkt haben. 3Darüber hinaus entdeckte man schließlich Muskeljuden, die es vor dem Zionismus und außerhalb dieser Bewegung gegeben hat. Doch dieses Umdenken brauchte viel Zeit, und bis heute sind alte Vorstellungen und Mythen in diesem Zusammenhang fest verankert.
Dies alles erklärt, weshalb man die herausragenden und bekannten Sportler in der vorstaatlichen jüdischen Gesellschaft des Yishuv und dann im Staat Israel als Produkte des Zionismus oder – da Sportler meist junge Leute sind – als exklusive Erzeugnisse des Landes Israels betrachtete. Ihre frühere Geschichte vor der Einwanderung verdrängte oder ignorierte man. So blieb auch in den Fällen, in denen sich die Presse ausführlicher mit der Person oder der individuellen Geschichte eines aus der Diaspora nach Israel eingewanderten Sportlers befasste, dessen Vergangenheit unterbelichtet. Meistens wurde sie sogar bewusst ausgeblendet. 4Auch der Umgang mit der Person und Ikone Emanuel Schaffer in der israelischen Gesellschaft stand lange im Zeichen dieses zionistischen Narrativs.
Gestohlene Jugend
Kindheit in Recklinghausen
Der Lebensweg von Emanuel Schaffer ist eng mit der deutschen Geschichte seit den 1920er Jahren verknüpft . Wenige Wochen nach seiner Geburt am 11. Februar 1923 im damals polnischen Drohobycz – in einem typischen osteuropäischen „Shtetl“ des bis 1918 österreichischungarischen Galizien –, zog er mit seinen Eltern und seinen beiden Schwestern zunächst nach Marl und später nach Recklinghausen, beides Orte am nördlichen Rand des Ruhrgebiets.
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