Sie gingen schweigend durch den subropischen Wald, lauschten dabei dem vielstimmigen Konzert von Tierstimmen. Hier und da erhoben sich die dunklen Schwingen gewaltiger Vögel aus den Baumkronen, die offenbar Jagd auf die Riesenfalter machten.
Doch letzte waren ihren Verfolgern überlegen.
Wiederholt registrierte Kurt, wie die Falter mit einem äußerst geschickten Flugmanöver ihre Jäger zur Verzweiflung brachten, die Falter ließen sich einfach fallen, sanken dann mehrere Meter unkontrolliert in die Tiefe und fingen den freien Fall dann erst wieder ab.
Die Raubvögel stießen ins Leere.
"Sieht hier fast aus wie in einem Garten Eden", meinte Nick Gonglor sichtlich beeindruckt. "Ich frage mich, wie viele Jahre vergehen werden, ehe diese Wälder abgeholzt sind."
"Warum sollte sie jemand abholzen wollen?", fragte André Souan. "Eine Handvoll Siedler..."
"Vergiss nicht den beabsichtigten Rohstoffabbau", gab Nick zu bedenken. "Ich prophezeie dir, das geht schneller, als du denkst. Warte es ab!"
André machte eine wegwerfende Handbewegung. "Einstweilen haben wir ein paar näherliegende Probleme, würde ich sagen", meinte er.
*
Kurt Farmoons Zug legte nur wenige Pausen ein. Überwiegend schweigend gingen sie durch den Wald. Mit Hilfe eines einfachen Kompass orientierten sie sich. Module zur Ortung führten sie zwar mit, hatten sie jedoch deaktiviert, um den Gegner nicht auf sie aufmerksam zu machen.
Von Karalaitis' Leuten gab es bislang keinerlei Spuren.
Aber je näher sie dem Vorposten kamen, desto größer wurde die Wahrscheinlichkeit, auf Angehörige der Frischlingstruppe zu stoßen.
Im Verlauf des Nachmittags gelangte die Truppe in ein Gebiet, in dem der Wald zunehmend in hügeliges Gras- und Buschland überging. Von Nordwesten her wehte ein leichter, erfrischender Wind, der die Baumkronen hin und her bewegte.
Eine Herde von etwa drei Dutzend friedlich grasenden, etwa zweieinhalb Meter großen sauroiden Zweibeinern stob davon.
Kurt ärgerte sich.
"So etwas müssen wir in Zukunft vermeiden", sagte er an die Männer gewandt. "Ich wette, Karalaitis und seine Leute werden auf so etwas achten!"
Weitere Stunden gingen dahin.
Die Gardisten hielten die Augen offen, beobachteten das Umland auf der Suche nach Zeichen für Aktivitäten ihrer Gegner.
Der Waldbewuchs wurde immer spärlicher.
Schließlich breitete sich offenes Land vor den Männern aus. Die Sonne wurde milchig und sank in Richtung Horizont.
Die Gruppe erreichte eine Anhöhe, von der man eine relativ gute Sicht hatte.
In der Talsenke war das Wrack eines Gleiters erkennbar.
Offenbar war er abgestürzt.
Die Spitze hatte sich mindestens einen Meter tief in den weichen Boden hineingegraben. Das Gefährt war in der Mitte zerbrochen, Trümmerteile lagen verstreut in der Umgebung herum.
"Sieht aus wie ein Zivilgleiter", stellte Nick Gonglor fest. "Jedenfalls kann ich keinerlei Kennungen der terranischen Flotte ausmachen."
"Sehen wir uns näher an, was da passiert ist", entschied Kurt.
"Ich weiß, es klingt absurd, aber für mich sieht das so aus, als wäre der Gleiter abgeschossen worden", stellte Wladimir fest.
Kurt dachte an die Rauchsäule, die sie beim Anflug ihres Zielpunktes am Horizont gesehen hatten.
Was, wenn tatsächlich etwas mit dem Vorposten geschehen ist?, fragte er sich. Diese Gedanke beunruhigte ihn. Dies ist verdammt nochmal eine Übung!, versuchte er sich zu beruhigen.
Aber das flaue Gefühl in der Magengegend ließ sich einfach nicht vertreiben. Und bisher war Kurt Farmoon immer sehr gut damit gefahren, sich zumindest ein Stückweit von seinen Instinkten leiten zu lassen.
Etwa eine halbe Stunde später erreichte Kurt Farmoons Truppe das Wrack.
Kurt ließ die Hälfte der Männer ausschwärmen und vor allem die umliegenden Hügel besetzen.
Schließlich musste er sicher sein, dass sie nicht beobachtet wurden.
Die Gardisten Nick Gonglor und Antoku Seiwa begannen damit, den havarierten Gleiter näher zu untersuchen.
Die Einstiegstür zum Cockpit ließ sich öffnen.
Das Cockpit selbst war leer.
Kurt wandte sich an Tom Black Feather, den Blackfoot-Indianer aus Alberta. "Sieh dich hier mal ein bisschen um, Tom. Vielleicht findest du irgendwelche Spuren, die auf den Verbleib der Besatzung schließen lassen."
Der Indianer nickte.
"Okay."
Wladimir meldete sich zu Wort. Er hatte das ziemlich zerstörte Heck des Gleiters untersucht. "Kurt, ich will dich nicht beunruhigen, aber für mich sieht das nach einem Treffer durch Strahlbeschuss aus. Sieh nur, die Außenhülle ist völlig aufgeschmolzen... Der Antrieb und die Antigravaggregate sind nur noch ein Klumpe Materie..."
"Könnte das nicht auch durch eine Hitzeentwicklung verursacht worden ein, die im Inneren des Antriebs stattgefunden hat?", fragte Kurt zurück.
Wladimirs Gesicht wirkte nachdenklich.
Aber Kurt kannte den Russen inzwischen gut genug, um zu erkennen, dass er sich wirklich Sorgen machte.
"Wenn einer von uns sich darüber ein Urteil erlauben darf, dann bist du das doch, Kurt! Schließlich hast du dich in den letzten Monaten vorwiegend mit Hochenergietechnik befasst..."
Kurt stieg auf das Wrack, sah sich den Schaden an. Zumindest, soweit das möglich war. Die Gardisten hatten keinen Strahler dabei, den man zu einem Schneidbrenner hätte umfunktionieren können. Aber ohne Werkzeug ließ sich das zerstörte Heck des havarierten Gleiters nicht auseinandernehmen und genauer untersuchen. Den Gedanken, aus den Energiepatronen mehrerer Paralysatoren etwas zu bauen, das sich wie ein Thermostrahler verwenden ließ, verwarf Kurt sofort wieder.
Die Energiesignatur wäre mindestens genauso deutlich anmessbar, wie es bei der selbstgefertigten Bombe der Fall war, mit der wir vor einem halben Jahr ein paar Blechmann-Roboter in die Luft jagen wollten, ging es Kurt durch den Kopf. Er hatte zwar keine Ahnung, wie weit Master Sergeant Jannis Karalaitis damals mit seinem Schweber entfernt gewesen war, aber fest stand, dass es ihm und seinen Begleitern wohl gelungen war, die von der Bombe ausgehenden elektromagnetischen Emissionen zu messen.
Und diesmal haben wir es wieder mit Karalaitis zu tun..., dachte Kurt. Wenn auch in einer völlig anders gelagerten Übung...
Kurt sprang wieder vom zerstörten Gleiterheck hinunter und federte geschickt ab.
Übung?, überlegte er. Ist das hier eigentlich noch eine Übung -—oder schon der Ernstfall und wir sind die Letzten, die davon erfahren?
*
Die Dämmerung legte sich wie grauer Spinnweben über Eldorado. Es wurde rasch dunkel und am Horizont wurde der erste von insgesamt drei kleinen Monden sichtbar, die Eldorado umkreisten. Die Mitglieder der Boulanger-Crew, die Eldorado zuerst betraten, hatten die Monde nach dem Zeitpunkt ihres Erscheinens am Nachthimmel benannt. Es gab dementsprechend den Abendmond, den Mitternachtsmond und den Morgenmond. Das klang poetischer als es war. Der Abendmond war ein kartoffelförmiges Gebilde. Ein Gesteinsbrocken, der sich irgendwann aus dem Asteroidengürtel jenseits von Boulanger VI gelöst und auf die Reise begeben haben musste. Der Mitternachtsmond, der im übrigen bereits zwei Stunden vor Mitternacht auftauchte, war ebenfalls ein kalter Gesteinsbrocken, während es sich bei dem Morgenmond um ein Objekt handelte, dessen Aufbau einem Kometen ähnelte. Ein Ball aus schmutzigem Eis.
Bei guter Sicht waren die drei Monde eine gute Hilfe zur räumlichen und zeitlichen Orientierung.
Die Gardisten schlugen in der Nähe des Gleiter-Wracks ihr Nachtlager auf und verzehrten einen Teil der spärlichen Nahrungsrationen, die sie mit sich führten. Sie mussten damit sparsam sein. Keiner der Männer hatte Lust, in absehbarer Zeit darauf angewiesen zu sein, sich mit Hilfe der planetaren Fauna und Flora zu ernähren. Aber das konnte Kurts Trupp nur vermeiden, indem die gestellte Aufgabe schnell und nach Plan erledigt wurde.
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