„Sie sind ein Sadist.“
„Irgendwie muss ich schließlich an die Wahrheit herankommen.“
„Die Wahrheit stand in allen Zeitungen.“
„Das stimmt nicht. Du hast sie für Brian Cusack in Umlauf gebracht.“
„Nein.“
Tony Tornado hob die Waffe, zielte und schoss. Eine Flasche neben Copelands Bein zerplatzte. Glasscherben schwirrten hoch. Der Journalist zuckte heftig zusammen.
„Wieviel hat Cusack für die Lügengeschichte bezahlt?“, wollte Tornado wissen.
„Nichts. Keinen Cent. Ich hatte mit Cusack noch nie etwas zu schaffen.“
Tornado schoss wieder. Diesmal traf die Kugel die Flasche, die sich in Copelands Hüfthöhe befunden hatte.
„Sag bloß, du kennst Cusack gar nicht.“
„Ich weiß, wer er ist, aber ich hatte noch nie persönlich mit ihm zu tun.“
Tornado feuerte den nächsten Schuss ab. Das Projektil zertrümmerte eine Flasche in Schulterhöhe. Ein Glassplitter schrammte über Copelands Gesicht. Der Journalist stieß einen Schmerzensschrei aus.
„Hier kannst du schreien, so laut du willst“, sagte Tornado grinsend. „Es wird dich keiner hören. Wenn du meine nächste Frage nicht zufriedenstellend beantwortest, kann es für dich kritisch werden“, warnte der Mafioso den Journalisten.
Copeland drehte den Kopf und blickte auf die Flasche, die knapp neben seinem Hals stand. „Sie werden doch nicht ... Ich kann tot sein ...“
„Glaub mir, das würde mein Gewissen nicht im Mindesten belasten. Ich brauche einen Erfolg. Wie ich den erreiche, ist meine Sache. Kriege ich nicht raus, was ich erfahren muss, sind meine Freunde auf mich sauer, und ich mag das nicht. Es würde das gute Klima, das zwischen uns bisher geherrscht hat, beeinträchtigen.“
„Bitte ...“
„Ich frage dich noch einmal: Hast du in Cusacks Auftrag diese Geschichte in Umlauf gebracht?“
Copeland schüttelte verzweifelt den Kopf. Er presste die Zähne zusammen, wollte nicht antworten, sah, wie der Fremde die Pistole wieder hob, und da siegte die Angst.
„Halt!“, schrie er. „Nicht schießen! Nicht mehr schießen! Ich will Ihnen die Wahrheit sagen! Ja, Cusack hat mit mir Kontakt aufgenommen. Ich habe diese falsche Information an meine Kollegen weitergegeben. Cusack hat dafür fünftausend Dollar bezahlt.“
Tornado grinste zufrieden.
„Wunderbar, wie schön du singen kannst.“
„Cusack wird mich umbringen, wenn er erfährt ...“
„Vor Cusack brauchst du keine Angst zu haben. Der lebt nicht mehr lange. Wer war der Mann, der die Rakete abgefeuert hat?“
„Warum wollen Sie das auch noch wissen?“
„Weil ich ein gründlicher Mensch bin. Kennst du den Namen?“
„Ich glaube, es war ...“
„Nun?“
„Gordon Keel.“
„Vielen Dank“, sagte Tony Tornado.
Copeland rann der Schweiß in breiten Bächen von der Stirn. Er lag gefesselt auf dem Rücken, war dem Unbekannten auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Was würde der Mann nun, nachdem er geredet hatte, mit ihm anstellen? Würde er ihn töten?
Tornado hob die Waffe und richtete sie auf den Kopf des Journalisten. Copeland riss entsetzt die Augen auf.
„Warum?“, schrie er. „Warum wollen Sie mich umbringen? Ich habe Ihnen doch alles gesagt ...“
„Hör zu, Kamerad! Du vergisst unsere Begegnung, verstanden?“
„Ja. Ja, selbstverständlich. Ich tue alles, was Sie von mir verlangen. Aber bitte lassen Sie mir mein Leben.“
„Ich lass dich hier liegen. Es wird dich schon jemand finden. Im Erfinden von Lügenstorys bist du ja einsame Spitze. Also wirst du dir wieder eine unwahre Geschichte einfallen lassen. Solltest du erzählen, was wirklich passiert ist, sehen wir uns wieder.“
„Ich werde nichts verraten.“
„Solltest du dir einfallen lassen, Brian Cusack zu warnen, kannst du ebenfalls gleich dein Testament machen.“
„Ich halte mich jetzt aus allem raus.“
„Sehr vernünftig. Auf diese Weise lebst du nämlich am längsten.“ Tornado wandte sich um und begab sich zu Copelands Oldsmobile. Er setzte sich in das Fahrzeug und verließ die Mülldeponie.
Copeland blieb mitten im Dreck liegen. Aber er war trotzdem froh ...
Cyril Murray. Er hatte Brad Rafferty in Brian Cusacks Auftrag ermordet. Ihn wollte sich Roberto Tardelli als Ersten schnappen. Anschließend wollte sich Roberto den König von Brooklyn holen. Sobald er Murray in seine Gewalt gebracht hatte, wollte er ihn zur Polizei bringen. Die Cops würden ihre helle Freude darüber haben, denn Murray stand schon ziemlich lange auf ihrer Wunschliste. Er war bisher nur nie bei einer Straftat zu erwischen gewesen.
Das war nun anders. Es gab einen Augenzeugen, der Cyril Murray schwer belasten konnte: Jossip Wassinski. Und kein Anwalt, nicht einmal der cleverste Rechtsverdreher, würde Murray wieder loseisen können. Diesmal würde Murray festkleben.
Roberto wollte Murray aus dessen Apartment holen, doch es kam anders. Zwei Männer tauchten bei Murray auf, sie holten ihn ab, und er fuhr mit ihnen nach Borough Park.
Roberto Tardelli hing sich mit seiner Kawasaki an, ohne dass die Gangster es merkten. Er hielt niemals den gleichen Abstand ein, ließ hin und wieder Fahrzeuge vorfahren, holte auf, fiel wieder zurück, verlor aber den schwarzen Gangsterwagen nicht aus den Augen.
In der 39. Straße, nahe dem riesigen Greenwood Cemetery, verlangsamte der Wagen, in dem Murray saß, seine Fahrt. Roberto ließ seine Maschine auch etwas langsamer rollen. Er beobachtete, wie das schwarze Fahrzeug auf das Gelände einer aufgelassenen Lokomotivfabrik fuhr. Was wollten die Gangster da? Wickelten sie hier irgendwelche Geschäfte ab?
Es war bekannt, aber die Polizei konnte es nicht beweisen, dass Brian Cusacks Leute im Hafen alles, was nicht niet- und nagelfest war, stahlen. Sie brachen in Lagerhäuser ein, stahlen das Frachtgut auch manchmal von den Schiffen. Die Sore verschwand zumeist auf Nimmerwiedersehen, und die Behörden zerbrachen sich den Kopf, wo sich der Umschlagplatz für alle diese gestohlenen Güter befand. War das etwa hier?
Hatte Cyril Murray Roberto Tardelli - ohne es zu ahnen - zu diesem Ort geführt? Roberto sah den schwarzen Wagen zwischen schäbigen Hallen verschwinden. Manche Gebäude waren schon arg demoliert. Zwischen ihren Mauern, dort, wo einmal Menschen gearbeitet hatten, wucherte Unkraut aus dem aufgebrochenen Betonboden. Hier konnte man tatsächlich Geschäfte abwickeln, die man unter Ausschluss der Öffentlichkeit tätigen wollte. Kein Mensch wäre auf die Idee gekommen, dass hier Diebesgut an den Mann gebracht wurde.
Roberto ließ seine Maschine weit genug von der Lokomotivfabrik entfernt stehen. Er überquerte die Straße und verschwand in einer Halle, die kein Dach mehr hatte, deren Fenster eingeschlagen waren, deren Vorderfront eingestürzt war. Das Gelände war so groß, dass man sich darauf verlaufen konnte. Nicht alle Gebäude befanden sich in einem so schlechten Zustand wie das, in dem sich Roberto Tardelli gerade aufhielt.
Er huschte durch eine kleine Wildnis, die ihn manchmal sogar überragte. Die Natur war in die Halle eingebrochen und hatte sie zurückerobert. Roberto blieb kurz stehen. Er orientierte sich, prüfte den Sitz seiner Luger, die in der Schulterhalfter steckte, setzte seinen Weg fort.
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