Je mehr sich Remmler zum großen Zampano aufspielte und versuchte, dem Neuen seinen fragwürdigen Führungsstil aufzudrängen, desto intensiver fielen die Bestrebungen seiner Untergebenen aus, ihm tunlichst aus dem Weg zu gehen. Einige hatten Maßbänder in den Schubladen ihrer Schreibtische liegen, an denen sie an jedem überstandenen Tag feierlich einen Zentimeter abschnitten.
Noch waren die Überreste mehr als einen Meter lang.
An diesem Morgen ertappte Marit ihre Kollegin Verena Kant beim Abschneiden. Das gestutzte Maßband verschwand blitzartig in deren Jackentasche.
»Mensch, hast du mich erschreckt! Nicht auszudenken, wenn der Alte ins Zimmer gekommen wäre und mich erwischt hätte. Da wäre ich ganz schön in Erklärungsnöte gekommen«, stöhnte die Beamtin erleichtert.
Marit zuckte grinsend mit den Schultern.
»Der ist doch selber schuld. Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es zurück. Mir ist inzwischen scheißegal, wie er über mich denkt. Der Wolters ist aus einem anderen Holz geschnitzt
obwohl auch der seine Macken hat. Aber wahrscheinlich muss man rücksichtslos beide Ellbogen benutzen, wenn man auf der Karriereleiter ganz nach oben klettern will.«
»Das stimmt. Und bedauerlicherweise ist er ein Mann , wenn auch ein ansehnlicher. Man könnte denken, Testosteron verneble die Denkprozesse. Eigentlich sollte keiner von denen aufsteigen dürfen, in welche Führungsposition auch immer. Männer sind für die schlimmsten Erfindungen und Ereignisse der Weltgeschichte verantwortlich, hast du darüber schon einmal nachgedacht? Die römischen Eroberungsfeldzüge, die Erfindung der Atombombe, der Zweite Weltkrieg, Giftgasangriffe in Syrien – und so weiter und so fort. Wann und wo immer du in der Weltgeschichte nachforschst, stets waren Männer für die allergrößten Katastrophen verantwortlich.
Gut, wir Frauen können natürlich auch fies werden, aber auf völlig andere Weise und nicht in diesem desaströsen Ausmaß für ganze Volksgruppen«, philosophierte Verena grimmig.
Marit fand es insgeheim frappierend, dass eine, die mit ihrem kantigen Körperbau und dem Herrenkurzhaarschnitt selber fast wie ein Mann aussah, diskriminierende Sprüche über die Herren der Schöpfung von sich gab. Nicht zum ersten Mal hatte Verena heute dieses Thema angeschnitten. Sie musste wohl schon einige negative Erfahrungen mit dem stärkeren Geschlecht hinter sich haben. Oder es lag daran, dass auch sie zum Opfer von Remmlers ekelhaften Grabsch-Attacken geworden war. Vielleicht hatte sie deswegen die Nase von Männern gestrichen voll.
Noch immer ahnte niemand im Revier, dass Verena Kant eine Lesbe war. Als solche verspürte sie das Bedürfnis, der hübschen Marit ein wenig näher zu kommen, ach was, sehr viel näher. Sie hatte mitgekriegt, dass die schlanke Brünette seit längerer Zeit keinen festen Freund an ihrer Seite hatte und gedachte ein paar Testballons zu starten.
Fürs Erste rückte sie ihr auf die Pelle, indem sie sich neben ihr vor einer monströsen Landkarte an der Wand postierte, die die Harzregion zeigte. Mithilfe von Stecknadeln und roten Wollfäden war ein Gebiet eingegrenzt. Es handelte sich um die abgebrannte Fläche. Sie reichte von der Ortschaft Torfhaus, gelegen im Vogelschutzgebiet und westlich der Landesgrenze zu Niedersachsen, bis zur Straße L 100 im Osten, wo es den Feuerwehren zumindest im nördlichen Teil gelungen war, eine Feuerschneise zu schlagen und die Flammen zurückzudrängen.
Bedauerlicherweise hatte es das idyllisch gelegene Hotel Der Kräuterhof noch mit erwischt, es war dem Feuer zum Opfer gefallen. Die Brockenstieg-Apartments waren Geschichte, genauso wie der bei Touristen wie Einheimischen beliebte Campingplatz am Schierker Stern. Wie durch ein Wunder waren die Ortschaften Elend und Schierke knapp verschont geblieben.
»Ist das jetzt der endgültige Stand?«
»Ja. Ein riesengroßes Waldstück, nicht wahr? Keine Ahnung, wie viele Hektar es sind. Ich könnte heulen, wenn ich das sehe. Noch jetzt hängt eine graue Rauchglocke über Wernigerode, es stinkt zum Himmel. Ich bin wirklich gespannt, was der Brandermittler herausfindet.«
Verena rückte, wie zufällig, auf Tuchfühlung heran und zeigte gezielt auf einen Punkt in der Karte.
»Sieh mal einer an, die kleine Waldlichtung hinter dem Schierker Bahnhof, auf der letztes Jahr Rüdiger Müller ermordet wurde, ist mit abgefackelt. Weiß man mittlerweile eigentlich schon, ob bei dem Brand die Gleisanlagen der Brockenbahn in Mitleidenschaft gezogen wurden? Vorhin hat mich eine aufgebrachte Anruferin danach gefragt.«
Marit trat einen halben Schritt zur Seite. Zu viel Nähe war ihr unangenehm, egal ob sie nun von Männlein oder Weiblein hergestellt wurde. Sie brauchte ihren Dunstkreis für sich alleine.
»Nein, das muss zuerst alles sorgfältig durchgecheckt werden. Der Bahnbetrieb dieses Streckenabschnitts bleibt bis auf weiteres eingestellt. Die Harzer Schmalspurbahnen gehen kein Risiko ein. Das Brockenplateau ist am Freitag sowieso prophylaktisch mit evakuiert worden, damit niemand vom Feuer eingeschlossen wird. Wer, außer ein paar gestörten Katastrophentouristen vielleicht, sollte momentan schon freiwillig da hochfahren wollen«, merkte sie sarkastisch an.
»Auch wieder wahr«, nickte die Kant. »Wobei man genau hieraus wahrscheinlich richtig viel Profit generieren könnte. Mancherorts ist Ähnliches zum Geschäftsmodell geworden. Hast du gewusst, dass auf dem Gelände des havarierten Atomreaktors in Tschernobyl inzwischen Führungen stattfinden? Die Touris aus aller Welt rennen dort mit Geigerzählern herum und freuen sich über jeden Ausschlag der Nadel. Meines Erachtens könnte man diese Idioten hinterher geschlossen in die Psychiatrie einweisen, es würde bestimmt keinen Verkehrten treffen.«
»Wohl wahr, geistig normal können solche Leute kaum sein. Aber zurück zu unserer heimischen Feuersbrunst. Wie du mitbekommen hast, besteht der dringende Verdacht auf Brandstiftung. Ein einziger Brandherd hätte eine so schnelle Verbreitung der Flammen nie zugelassen, so viel steht schon zum jetzigen Zeitpunkt fest. Es sieht also eher nach einer konzertierten Aktion von einem oder mehreren Feuerteufeln aus.
Sämtliche niedergebrannten Gebiete werden in den nächsten Tagen so gründlich wie möglich nach eventuellen Brandopfern durchforstet. Sollten sich hierbei Tote finden und sich der Verdacht der Feuerwehren somit bestätigen, müsste man von Mord, mindestens jedoch von fahrlässiger Tötung ausgehen. Der oder die Brandstifter hätten ja zumindest billigend in Kauf genommen, dass aufgrund dieser Aktion irgendwer zu Tode kommen könnte. Und damit hätten wir, die Mordkommission, wieder mal den Schwarzen Peter in Händen und müssten gegen Unbekannt ermitteln.
Ganz ehrlich, Verena … ich hoffe, dass sich doch noch eine andere Brandursache findet und keine Opfer zu beklagen sind. Der Bürgermeister ist schon jetzt auf hundertachtzig, weil er um seinen heiligen Tourismus fürchtet. Schwarze Baumgerippe sind nun mal kein schöner Anblick. Ich möchte nicht wissen, was los wäre, wenn die letzten verbleibenden Touris noch mit der Angst vor einem unheimlichen Brandstifter leben müssten. Die örtliche Hotellerie stünde wohl bald vor dem Aus. Ich würde jedenfalls sofort stornieren, wenn mir sowas über meinen Urlaubsort bekannt werden würde.«
»Ich ebenfalls«, bestätigte Verena.
Ein bisschen enttäuscht, schlurfte sie davon. Heteros hatten es ja so viel leichter beim Anbaggern. Als Lesbe konnte man nicht einfach zu einer x-beliebigen Frau marschieren und dieser offen Avancen machen. Man musste erst sorgfältig abklopfen, wie es um deren sexuelle Ausrichtung bestellt war, sonst blamierte man sich bis auf die Knochen. In Marits Fall war sie sich diesbezüglich immer noch nicht sicher.
Im dienstlichen Umfeld, wo Techtelmechtel ohnehin kritisch gesehen wurden, wäre ein Irrtum besonders pikant. Sie musste sich weiterhin zusammenreißen.
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