1 ...7 8 9 11 12 13 ...20 »Nö, nicht wirklich!«, bestätigte Alexandra und prüfte das Gewicht eines der Schwerter, indem sie es mit ausgestreckten Armen wie eine Kriegerprinzessin vor ihren Körper hielt. »Puh, ganz schön heftig! Wohin sollen wir die Sachen denn bringen? Gleich hierher in die Lobby?«
Peter überlegte angestrengt. »Nein, ich glaube, das wäre zu gefährlich! Wegen der riesigen Glasfront hier vorne, die es Einbrechern viel zu leicht macht. Was nützen einem die besten Waffen, wenn sie gleich jemand entwendet?
Ich bin davon überzeugt, dass es nicht mehr lange dauern wird, bis die ersten Mitbürger Straftaten begehen, um sich oder ihren Familien das Überleben auf Kosten anderer Menschen zu sichern. Dann müssen wir mit allem rechnen.«
Noch während er sprach, kam Peter offenbar die zündende Idee. Er winkte Klaus zu sich und fragte, ob er über die Schlüssel zum Tresorraum verfüge. Dies ist ein großes Zimmer mit vergitterten Fenstern im Erdgeschoss, welches in Vor-EMP-Zeiten für Sozialhilfe-Auszahlungen in bar gedient hatte.
»Für den Raum ja, aber natürlich nicht für den Tresor! Den verwalten die Kollegen aus der Stadtkasse.« Klaus kramte den richtigen Schlüssel für das Sicherheitsschloss hervor und sperrte auf, deutete eine kleine Verbeugung an. »Bitte einzutreten!«
Ich staunte. Normalerweise kannte man Hausmeister Klaus im Dienst als bärbeißigen, meist schlecht gelaunten Haudegen, der einen grundsätzlich erst einmal anfrotzelte, sobald man auch nur eine Glühbirne ausgetauscht haben wollte. Seit Beginn der Krise jedoch lief er zur Höchstform auf, zeigte schwarzen Humor und packte bereitwillig an, wo immer man ihn gebrauchen konnte.
Vielleicht sind manche Menschen einfach nicht für ein eintöniges, ereignisloses Leben hinter dem Laub-Föhn zu gebrauchen. Erst unter Belastung zeigen sie ihren wahren Wert, ihre Begabung und Zähigkeit.
Wir schafften unser ungefragt ausgeliehenes Mittelalter-Equipment in den Tresorraum und sperrten diesen sorgfältig wieder ab. Alle hoffen wir inständig, die Sachen niemals benutzen zu müssen, sie in naher Zukunft scherzend zurück in die Garage von Peters Schwester verfrachten zu dürfen. Über unsere paar Tage in der Steinzeit später den Enkelkindern witzige Anekdoten erzählen zu können, wie wir uns damals voller Zukunftsangst vorsorglich auf Schlimmeres eingestellt hatten.
Doch die verzweifelte Hoffnung, dass es sich nur um eine kurzzeitige Unterbrechung des gewohnten Lebens handeln könnte, um ein bloßes Intermezzo mit überschaubaren Schäden, schwindet mit jeder vergehenden Stunde. Wir alle fühlen das, die zunehmende Resignation ist meinen Kollegen mühelos anzusehen. Manchen mehr, anderen weniger.
»So! Habt ihr auch solchen Kohldampf? Dann sollten wir uns jetzt lieber einmal um etwas zum Essen kümmern! Folgt mir!« Peter steuerte mit dynamischem Schritt die Treppe an, welche in die fünf oberen Stockwerke des Rathauses II führte. Klaus, der alleinige Hüter des Generalschlüssels, beeilte sich, um rasch zu ihm aufzuschließen.
Wir anderen folgten. Ich keuchte neben Alexandra die Treppe hoch, welche die ungewohnte Anstrengung ebenfalls sichtlich mitnahm. Normalerweise benutzten fast alle Bediensteten den altersschwachen Aufzug, falls es mehr als ein Stockwerk zu überwinden galt oder Aktenstapel zu schleppen waren.
»Ich glaube, ich kann mir denken, was er vorhat!«, sinnierte Alex außer Atem. »Er will bestimmt nachschauen, was in den Teeküchen noch so an brauchbaren Lebensmitteln lagert! Klaus kann ja alles aufsperren, und dann werden wir schon sehen, ob sich das Treppensteigen gelohnt hat.«
Wir erreichten den fünften Stock, in welchem in normalen Zeiten städtische Steuerangelegenheiten bearbeitet werden. Zu unserem Erstaunen strebte Peter aber nicht die Teeküche an, sondern das vorderste Zimmer in der langen Reihe von Türen. Klaus fragte nicht lang und schloss auf.
»Wie euch bekannt ist, sind die Zimmer alle durch nicht versperrte Zwischentüren verbunden. So können wir schnell und systematisch in sämtlichen Räumen nach Lebensmitteln suchen. Am besten, wir teilen uns in zwei Gruppen: die einen überprüfen die rechte Seite des Flurs, die anderen die linke.
Vergesst bitte nicht, sorgfältig in alle Schreibtischschubladen zu sehen, auch in den Einbauschränken könntet ihr fündig werden. Nicht jeder Kollege hat dort drinnen ausschließlich Akten verstaut«, grinste Peter vielsagend.
»Und schaut auch nach anderen brauchbaren Sachen, zum Beispiel nach Wasser in Flaschen, Kerzen, Streichhölzern oder mechanischen Feuerzeugen!«
Selina, die Sekretärin des Steueramts, stand mit verschränkten Armen und gerunzelter Stirn etwas abseits im Flur. Ihr war überdeutlich anzusehen, dass sie voller Verachtung für Peters Anregung steckte. Das ungefähr 1,60 m große Persönchen mit den dunklen, sorgfältig gestylten Locken wirkte in diesem Augenblick ein wenig wie ein furioser Giftzwerg.
»Nein, das werden wir ganz bestimmt nicht tun!« Sie versuchte nach Kräften, ihre hohe, piepsige Stimme etwas resoluter klingen zu lassen, ihr Nachdruck zu verleihen. »Ich gehe nicht an fremde Schreibtische, das wäre Diebstahl und ein Eingriff in die Privatsphäre des jeweiligen Zimmerinhabers!
Habt ihr denn schon jeden Anstand, eure gesamte Erziehung verloren? Wir sind doch keine Wilden!« Selinas dunkle Augen verschossen wütend Blitze in Peters Richtung.
Peter seufzte genervt, wandte sich dann Selina zu. »So! Jetzt hör mir mal genau zu! Ich habe Verständnis für deine Einwände, die für gewöhnlich auch ihre Berechtigung hätten. Egal, was du von mir denken magst: auch ich begehe im Normalfall keine Diebstähle. Aber das heute ist etwas komplett anderes, hier geht es ums Überleben, nebenbei auch um das deine. Dies hier sind außerdem in erster Linie Diensträume, keine Privatwohnungen! Wo sind sie denn abgeblieben, die geschätzten Herren und Damen Mitarbeiter, welche sonst in diesen Zimmern arbeiten? Wir sind gerade mal 18 Personen aus dem gesamten Rathaus II, die sich regelmäßig einfinden, wenn auch nicht zu den regulären Dienstzeiten. Die meisten der restlichen Kollegen haben sich alle seit dem EMP-Ereignis nicht mehr blicken lassen, als wären sie hier überhaupt nicht mehr beschäftigt.
Wären sie bei uns, dann würden wir die Lebensmittel, die wir hoffentlich finden werden, selbstverständlich auch mit ihnen teilen. Jedoch – angesichts dieses totalen Desinteresses für den Dienst sind sie selber schuld, wenn hinterher die geliebten Gummibärchen aus der Schublade verschwunden sind!«
Mit diesen sarkastischen Worten ließ er Selina einfach stehen und schickte sich an, das erste der insgesamt zwölf Zimmer dieses Stockwerks zu durchsuchen. »Wir treffen uns nachher mitsamt der Ausbeute in der Teeküche!« Selina blieb auf demselben Fleck wie angewurzelt stehen und schmollte trotzig.
Vielleicht sollte ich mich etwas kürzer fassen. Mir schmerzt schon wieder der halbe Arm wegen all der vielen Schreiberei von Hand. Sooft ich früher meinen Computer verwünscht habe, weil mir das ständige Starren auf den Bildschirm und die Beantwortung der vielen täglichen E-Mails gründlich missfielen, so sehr hätte ich mir inzwischen ein funktionstüchtiges Gerät sehnlich herbeigewünscht.
Schriebe ich jedoch meinem Arm zuliebe nicht alles so detailliert und langatmig nieder, dann würde später niemand mehr unsere Gedanken und Gefühle in dieser schwierigen Zeit nachvollziehen können.
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