Helmut Haberkamm
Fier immer jung
77 Songs von Bob Dylan auf Fränkisch
ars vivendi
Vollständige eBook-Ausgabe der im ars vivendi verlag erschienenen Originalausgabe (Erste Auflage Mai 2021)
© 2021 by ars vivendi verlag GmbH & Co. KG, Bauhof 1, 90556 Cadolzburg
Alle Rechte vorbehalten
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Bob Dylan, Lyrics, deutsch von Gisbert Haefs, © 2004, 2016 by Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg
Umschlaggestaltung: Christian Frick, Wachendorf
Typografie und Ausstattung: ars vivendi verlag
Datenkonvertierung eBook: ars vivendi verlag
eISBN 978-3-7472-0242-5
Inhalt
Vorwort
I
II
III
IV
V
Vorwort
Warum finden wir eine Stimme so faszinierend, dass sie uns nicht mehr loslässt? Warum lässt uns eine gefällige, liebliche Stimme manchmal völlig kalt? Es ist und bleibt rätselhaft, geheimnisvoll, unergründlich.
Mitte der 1970er Jahre, als ich eben die Kindheit verließ und mich in meine Jugend hineintastete, erwarb ich im Aischgrund-Kaufhaus eine Musikcassette mit dem Titel Das waren Hits II. Alles englischsprachige Songs der 60er Jahre, die mir als Zwölfjährigem nichts sagten. Warum ich sie kaufte, ist mir schleierhaft. Beim Anhören fiel mir die Stimme eines jungen Mannes auf, die überaus ernsthaft und eindringlich ihre bohrenden Fragen vorbrachte. In zwei Minuten und sechsundvierzig Sekunden traf seine Menschheitsklage einen Nerv in meinem Inneren: »How many deaths will it take till he knows / that too many people have died?« Mein Schulenglisch muss damals dürftig gewesen sein und mit meinem Latein kam ich gewiss auch nicht sehr weit. Dennoch war der Funke übergesprungen und das Feuer der Wissens- und Wahrheitssuche entfacht. Dieses schlichte Protestlied namens Blowin’ In The Wind machte mir schlagartig klar: Popsongs können mehr sein als Balla Balla und Sugar Sugar. Sie können tiefgründig und aufwühlend sein, geistreich und lyrisch. Sie können Sprache neuartig und auf schier magische Weise verwenden. Diese Erkenntnis war lebensverändernd, wortwörtlich. Das Ergebnis jener fernen Teenager-Erfahrung ist nun dieses Buch hier. Als wir ein paar Jahre später im Kunstunterricht der Oberstufe dann einen Linolschnitt machen sollten, stand mein Motiv sofort fest: Bob Dylan (siehe Seite 18).
Dieser Ausnahmekünstler hat mich seither durch mein Leben begleitet. Mit der Zeit entdeckte ich die Poesie seiner Songtexte, hörte sie in zahllosen Versionen und begann irgendwann, sie in meine Muttersprache zu übertragen, in die fränkische Mundart meiner Herkunftsregion, dem westmittelfränkischen Aischgrund. Ich wollte, dass ganz normale Leute die Besonderheit dieser Verse und Lieder kennenlernen können, in der verständlichen Sprache des Alltags. Das klingt merkwürdig, ist aber vollkommen naheliegend. So wie Wolfgang Ambros und Wolfgang Niedecken Dylan-Songs in ihrem Wiener und Kölner Dialekt eine neue Heimat gaben, so war auch mir klar, dass die Mundart für eine gelungene Übertragung viel besser geeignet ist als das Schriftdeutsche. Der Dialekt mit seinen Verkürzungen und Verschleifungen, den klanglichen und rhythmischen Ballungen, den emotionsgeladenen Abweichungen von der Norm des Standarddeutschen ist einfach näher dran an der Sprache der amerikanischen Rockmusik, gleichzeitig auch näher am Inhalt, an der Stimmung und Wirkung der Songs. Wenn die fränkische Mundart diese anspruchsvolle, vielschichtige Dichtung angemessen übertragen und verständlich machen kann, dann haben alle etwas davon: Mehr Menschen lernen diese weltbekannten Texte kennen und schätzen – und die Mundart gewinnt eine außergewöhnliche Kraft und Würde, eine neuartige Eleganz und Seriosität.
Der Dialekt ist stets regional, kann aber offen sein für die ganze Welt, für Fremdes und Andersartiges – wodurch er wiederum erweitert und verfeinert wird, und jeder Leser bereichert und inspiriert. Wird der gesprochene Dialekt geschrieben, wird er zu einem lesbaren Text, zu Literatur – und bleibt doch Dialekt. Einerseits enthält er die gesprochene Sprache des Alltags, andererseits verwandelt er sie durch die Schriftform in etwas Neues, Größeres, Haltbares. Wie man aus Mehl und Wasser einen Teig macht, der schließlich zu Brot wird. Auf einmal lesen, sprechen und hören wir im vertrauten Dialekt Wortkombinationen, Sätze und Aussagen, die in dieser Form noch niemals vorher zu erleben waren. Die eigene Mutter-Sprache wird so durch die Auseinandersetzung mit dem Fremd-Sprachigen aufgewertet, gestärkt und verwandelt, das Althergebrachte verjüngt und fortgeschrieben.
Gerade eine regionale Sprachform wie der fränkische Dialekt wird durch die in ihm geschriebenen Texte ja weitaus stärker geprägt als etwa das Standarddeutsche mit seiner vielfach größeren, komplexeren Sprachgemeinschaft. Was im Dialekt daherkommt, wird sofort verortet und vereinnahmt: Es gehört zu »uns«. Es muss dann natürlich auch dementsprechend klingen. Von daher soll eine gelungene Übertragung erstens authentischen Sprachgebrauch wiedergeben, also ohne verkrampfte, gekünstelte Wendungen auskommen, und zweitens so nah und treu wie möglich am Original bleiben. Das ist naturgemäß leichter gesagt als getan, aber der Versuch ist es wert.
Was heißt aber authentisch und originalgetreu genau? Für mich bedeutet es, meinen Herkunftsdialekt des Aischgrunds so natürlich und frei wie möglich einzusetzen, ohne dass es etwa zu unbeholfenen Umstellungen im Satzbau kommt oder ein Mischmasch aus Mundart und Schriftdeutsch entsteht. Es gibt einige Zugeständnisse an die Lesbarkeit und die gewohnte Schriftsprache, aber die können wir uns schenken. Im Idealfall kann man das fränkische Gedicht lesen bzw. hören, ohne dass sich der Gedanke aufdrängt, dass es sich um eine Übersetzung handeln müsse.
Entscheidend war und ist es bei diesem Anverwandlungsprozess, der Song-Vorlage von Dylan so gerecht zu werden, dass der Inhalt, der Geist und die Stimmung des Originalliedes getroffen und eingefangen werden. Dies stellt ein hohes Ziel dar, dem man sich auf vielen Wegen annähern kann. Ich habe es auf unterschiedliche Weise versucht. Was in Dylans With God On Our Side eine leidvolle Rekapitulation der amerikanischen Historie ist, konnte auf Fränkisch entsprechend nur ein Durchgang durch unsere ureigene Geschichte sein, sonst wäre der Dialekt gänzlich fehl am Platze gewesen. Eine Verpflanzung mancher amerikanischen Bezugspunkte in die fränkischen Dimensionen war unausweichlich. Der Blues-Highway 61 wird so zum Autobahnkreuz, Mississippi oder Mobile zu Nürnberg und die Sad-Eyed Lady Of The Lowlands zur Draurin Fraa ausm Aaschgrund. Eine solche Aneignung ist keineswegs ungehörig oder Parodie, denn Menschen und ihre Schicksale sind in Franken prinzipiell nicht anders als an amerikanischen Schauplätzen. Analog wurde aus der Beziehungsgeschichte im Lied Tangled Up In Blue eine völlig fränkische Lebensgeschichte, losgelöst von der Songvorlage, aber unüberhörbar durch die Gestaltung (Strophenbau, Reime, Rhythmus, Refrain) und die Stimmung mit dem Original verbunden. Die Gussform wurde gewissermaßen mit einem anderen Rohmaterial gefüllt, um daraus ein neuartiges Produkt zu erschaffen. Gleichwohl hätte es diese Nachschöpfung ohne Dylans Vorbild nie gegeben. Hier entstand aus dem amerikanischen Saatkorn ein urfränkisches Gewächs, das seine ganz eigenen Früchte trägt.
Allerdings gibt es eine Reihe von außergewöhnlichen und reizvollen Dylan-Songs, deren Texte sich einer Verpflanzung ins Fränkische entzogen. Zum einen natürlich Protestsongs gegen Rassenunterdrückung wie The Lonesome Death Of Hattie Carroll, zum anderen surreale Sprachgemälde wie Gates Of Eden, Visions Of Johanna oder Jokerman, aber auch Lieder mit uramerikanischen Inhalten wie etwa Idiot Wind, Hurricane oder Blind Willie McTell. Doch schauen wir nicht auf das Fehlende, sondern auf das Vorhandene: auf diese umfangreiche Sammlung an Texten des einzigen Rockmusikers, der jemals den Literatur-Nobelpreis erhalten hat. Bob Dylan ist nämlich primär ein Sprachkünstler, der lyrisch arbeitet und damit vielfältige Assoziationen freisetzt. In seinen Songs finden wir Rollen und Kulissen, Szenen, Bilder und Zitate, die unsere Phantasie beflügeln und mit Vorstellungen füttern, so dass in unserem Kopf ein eigener und stets sehr persönlicher Film entstehen kann. Ein Lied wird bei ihm quasi zu einem Gebäude mit vielen Türen und Fenstern, Zimmern und Gängen, belebt von uns selbst. Ein Möglichkeitsraum zum Durchspielen der unterschiedlichsten Formen der Wahrnehmung und Existenz.
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