„Was soll das schon wieder heißen? Glaubst du, wir wissen nicht, was wir zu tun haben?“
Der Schwarzbärtige zog die Schultern hoch.
„Nun gut, wie stark gedenkt ihr denn euer Floß zu bemannen? Das ist nur eine Frage, aus reinem Interesse.“
„Mit allem, was wir haben“, erwiderte Prado gereizt. „Wie denn sonst?“
Acosta lächelte mild.
„Das habe ich mir gedacht. Ihr würdet wertvolle Zeit verschwenden, weil ihr nämlich erst mal mitsamt Pulver und Waffen absaufen würdet. Dieses sonst gut gebaute Floß“, er deutete auf das fast fertige Wasserfahrzeug, „trägt nicht mehr als vier Mann und ein bißchen Ausrüstung.“
Die Decksleute starrten ihn an.
„Woher willst du denn das wissen?“ zischte Morro.
„So was kann ich ausrechnen“, behauptete Acosta. „Aus der Länge und dem Durchmesser der Hölzer, malgenommen mit der Gesamtzahl von acht, ergibt sich die Tragfähigkeit. Ihr könnt es ausprobieren, und ihr werdet sehen, daß ich recht habe.“
Ehrfurcht zeichnete sich in den meisten der Gesichter ab. Nur Prado und Morro blieben verächtlich.
„Weitermachen“, sagte Prado.
„Eins würde ich euch noch empfehlen!“ rief Acosta. „Rundet die Hölzer vorn und achtern ein wenig ab! Dann erreicht ihr bei dem plumpen Ding immerhin etwas mehr Schiffigkeit.“
Wieder hatte Acosta Land gewonnen, denn Prado und Morro konnten diesem Vorschlag nur zustimmen, dagegen gab es beim besten Willen nichts einzuwenden.
Die Äxte wirbelten mit blitzenden Klingen, und sehr bald hatte das Floß vorn und achtern sauber gerundete Hölzer. Mittschiffs achtern wurde eine Dolle zum Wriggen mit einem Riemen angebracht. Danach stand dem Fieren mittels der Großrah nichts mehr im Wege. Voller Stolz beobachteten die Kerle, wie ihr Bauwerk längsseits unter der Jakobsleiter dümpelte.
„Jetzt die Belastungsprobe!“ rief Prado. „Erst mal zehn Mann!“
„Doch vorsichtig geworden?“ sagte Acosta grinsend, als die Kerle schon zur Pforte im Schanzkleid liefen. „Ich behaupte, das Ding geht trotzdem unter. Vielleicht wäre es besser, deine sogenannte Belastungsprobe an Backbord durchzuführen, wo’s die Kerle vom Strand aus nicht sehen. Möglich, daß sie sich sonst totlachen.“
Prado wischte mit einer ärgerlichen Handbewegung durch die Luft. Morro knurrte nur unwillig, und gemeinsam mit den drei anderen, die noch an Bord geblieben waren, beugten sie sich über die Verschanzung und spähten nach unten, wo einer nach dem anderen das Floß betrat.
Auch Acosta verfolgte das Geschehen und sah voller Genugtuung, daß sich die obere Hälfte der Rundhölzer schon beim fünften und sechsten Mann bedrohlich der Wasserlinie näherte. Als sich der siebente auf das Floß wagte, standen sie gleich darauf bereits bis zu den Knöcheln im Wasser.
„Ihr müßt euch besser verteilen!“ brüllte Prado. „Dann klappt es auch!“
„Irrtum“, sagte Acosta triumphierend. „Vier Mann, wie ich berechnet habe. Das ist die beste Auslastung für euer feines Floß.“
Prado und Morro mußten zähneknirschend einsehen, daß der Schwarzbärtige recht behielt. Auch die Gewichtsverlagerung nutzte nichts. Mit vier Mann war die Tragfähigkeit gerade so weit ausgenutzt, daß sich das Floß noch gefahrlos manövrieren ließ.
Acosta übernahm wieder das Kommando, und der Bootsmann und der Dürre hatten nichts mehr einzuwenden. Wenn Acosta nicht verrückt spielte, war er immer noch ein verdammt brauchbarer Bursche. Den vier Kerlen, die gleich nach der „Belastungsprobe“ das Floß bemannten, erteilte der Schwarzbärtige genau festgelegte Aufgaben. Einer begab sich zum Loten nach vorn, zwei Musketenschützen postierten sich mittschiffs, und der vierte Mann übernahm achtern den Wriggriemen.
Er legte den Kopf in den Nacken und blickte fragend zur Verschanzung der Galeone hoch.
„Welchen Kurs?“
Es war nun wieder selbstverständlich, daß Acosta antwortete und damit den Befehl erteilte.
„Nach Süden!“ tönte die energische Stimme des Schwarzbärtigen, und die Männer auf dem Floß warteten nicht erst ab, ob Prado und Morro dazu noch etwas zu bemerken hatten.
Der Mann am Wriggriemen brachte das Floß in Fahrt, nachdem die drei anderen mitgeholfen hatten, es von der Bordwand der „San Jacinto“ abzustoßen. Der Ankerplatz der Galeone befand sich etwa in der Mitte vor der Westseite der langgestreckten Insel, die in Nordsüdrichtung verlief.
Die Ostseite der Insel war wegen der geringen Wassertiefe für Schiffe des Galeonen-Typs nicht erreichbar. Dort erwies sich die Große Bahama Bank als alles beeinflussendes Hindernis. Dagegen lag die Cat Cays mit ihrer Westseite fast unmittelbar an der tiefen Florida-Straße. Nur von Westen her konnte man sich also der Inselgruppe nähern, und dabei galt es, die vorgelagerten Riffs genau zu beachten.
„Schade“, sagte Old Donegal enttäuscht. „Wirklich schade, daß sie sich nicht gegenseitig die Schädel eingeschlagen haben.“
Ed Carberrys Miene spiegelte Entrüstung.
„Schade nennst du das? Ein Glück, sage ich! So bleibt uns wenigstens das Vergnügen, ihnen was auf die Nuß zu klopfen.“
Die Männer lachten glucksend.
„Langsam reicht’s mir!“ fauchte der alte O’Flynn. „Deine ewigen Widerworte gehen mir verdammt auf den Nerv, Mister Carberry. Du treibst es noch so weit, daß ich dir Redeverbot erteilen muß.“
Der Profos spielte den Erschrockenen, schlug sich mit der flachen Hand vor den Mund und sperrte die Augen weit auf.
„Ach du liebe Güte“, sagte er in gekünsteltem Respekt. „Das würde mir aber gar nicht gefallen, den ganzen Tag das Schott halten zu müssen.“
„Eben drum“, sagte Old Donegal, dem der Spott nicht aufging. „Deshalb wär’s ja auch die passende Strafe für dich. Dabei solltest du als Profos eigentlich am besten wissen, was Disziplin ist und was nicht.“
„Langsam werde ich ganz klein und häßlich“, sagte Ed Carberry offenbar geknickt. „Da kann man mal sehen, daß man selbst als Profos noch aufpassen muß, wenn man unter einem gestrengen Kapitän fährt.“
Old O’Flynn faßte das als Kompliment auf und grinste in seiner Felsendeckung vor sich hin.
Wieder war es der Kutscher, der die Aufmerksamkeit der „Empress“-Mannen in naheliegende Bahnen lenkte.
„Darf ich die Gentlemen Kapitän und Profos höflichst darauf hinweisen, daß sich bei der Galeone etwas Entscheidendes tut? Wenn mich meine Augen nicht täuschen, ist das Floß auf südlichen Kurs gegangen. Noch etwas erscheint mir wesentlich: Der Mann, der ganz vorn hockt, hat soeben begonnen, zu loten.“
Old Donegal kniff die Augen zusammen und spähte angespannt auf die Bucht hinaus.
„Verdammt“, sagte er, „die haben doch tatsächlich vor, ihren Pott näher ans Ufer zu legen.“
Carberry konnte ausnahmsweise nicht widersprechen.
„Was das bedeutet, dürfte ja wohl klar sein“, sagte er. „Die wollen ihre Kanonen einsetzen, damit eine Gruppe im Feuerschutz landen kann.“
„Vier Kanonen an Backbord“, sagte Stenmark wegwerfend, „und nur noch drei an Steuerbord, weil ihnen die eine auseinandergeflogen ist. Das ist ja nun nicht gerade ein überwältigender Feuerschutz.“
„Wenn wir uns entsprechend verteilen und laufend die Deckungen wechseln“, fügte Martin Correa hinzu, „dann werden wir damit fertig.“
Die anderen nickten zustimmend.
Unvermittelt ertönte von dem Floß der Spanier wildes, begeistertes Gebrüll Deutlich war immer wieder ein triumphierendes „Hurra“ herauszuhören.
„Sehen wir uns die Sache mal aus der Nähe an“, entschied Old Donegal kurzerhand. „Die Amigos sind ja vor Freude völlig aus dem. Häuschen.“
Im Schutz der Uferfelsen und des Gestrüpps drangen sie gut gedeckt in südlicher Richtung vor und verharrten kurz darauf auf gleicher Höhe mit dem Floß.
Читать дальше