Man mußte den Einfaltspinseln den kleinen Finger geben und sie in dem Glauben wiegen, daß sie die ganze Hand erhalten hatten.
„Prado und Morro zu mir“, sagte Acosta energisch und übertönte das Stimmengemurmel auf der Kuhl. „Lagebesprechung!“
Schlagartig wurde es still. Alle Blicke richteten sich zum Achterdeck. Der Bootsmann der „Viento Este“ blinzelte ungläubig, und sein dürrer Gefährte legte die Stirn in ein Wellenmuster von Falten.
„Was soll denn das nun wieder heißen?“ entgegnete Prado mit der nach Acostas Meinung plumpen Direktheit des einfachen Mannes, der weder Fingerspitzengefühl noch Anstand kannte.
Der Schwarzbärtige bewahrte dennoch seine deutlich zur Schau gestellte Überlegenheit.
„Ich will keine eigenen Entscheidungen mehr treffen“, sagte er rundheraus. „Die jüngste Vergangenheit hat gezeigt, daß dabei nichts Gutes herauskommt. Also noch mal: In fünf Minuten Lagebesprechung in der Kapitänskammer.“
Es verfehlte seine Wirkung nicht. Während er über den Backbord-Niedergang abenterte und würdevoll in Richtung Achterdeckskammern schritt, sah er an den Mienen Prados und Morros, daß sie sich geschmeichelt fühlten.
Genau das hatte er erreichen wollen. Indem er sie zu seinen Vertrauten ernannte, brachte er sie in eine Distanz von den Decksleuten und näher an sich heran. Die Gefahr einer offenen Meuterei gegen ihn wurde damit geringer.
Er betrat die Kapitänskammer, in der ihn sein Vorgänger auf der „San Jacinto“, de Llebre, so hinterhältig hatte aushorchen wollen. Er war froh, daß er seinerzeit richtig reagiert und den Spieß kurzerhand umgedreht hatte. Jene Umsicht und jene zielsichere Tatkraft, die er dabei an den Tag gelegt hatte, mußte nun auch wieder bestimmend für sein Verhalten als Kommandant dieses Schiffes sein.
Zum Teufel, mit einer fünfzehnköpfigen Crew war die Galeone bereits hoffnungslos unterbemannt. Auf ein Seegefecht durfte er sich mit so einem winzigen Haufen niemals einlassen, und wenn sie in einen Sturm geraten sollten, dann hing ihr Leben buchstäblich an dem so oft erwähnten dünnen Faden.
Nein, er durfte sich auf keinen Fall zu weiteren Wutausbrüchen hinreißen lassen. Und er mußte die Kerle unter Kontrolle halten, indem Prado und Morro seine Vertrauenspersonen wurden. Jedem Vordecksaffen, dem man ein bißchen Kompetenz gab, schwoll erfahrungsgemäß vor Stolz die Brust.
Er entkorkte eine Flasche Rum aus de Llebres Vorräten, karibischer Rum von der besten Sorte. Zusammen mit drei Bechern stellte er sie auf den Tisch. Dann zog er den bequemen Stuhl seines Vorgängers heran und setzte sich ans Kopfende des Tisches.
Die Schritte der beiden Männer polterten pünktlich heran. Ihre Bewegungen waren tapsig, als sie eintraten. Acosta beobachtete es und ließ sich nicht anmerken, wie er sich insgeheim darüber amüsierte.
Die Kapitänskammer war eine ihnen fremde Umgebung, in der sie sich unbehaglich fühlten. Damit hatte er einen klaren Vorteil: Sie würden es als etwas Besonderes betrachten, wenn er sich mit ihnen auf eine Stufe stellte.
„Setzt euch und genießt einen edlen Tropfen mit mir“, sagte er mit einer einladenden Handbewegung. „Was wir als nächstes unternehmen, will genau und in aller Ruhe bedacht werden.“
Prado und Morro setzten sich linkisch. Acosta füllte die Becher jeweils zur Hälfte mit dem hochprozentigen Rum und prostete den beiden Teilnehmern seiner Lagebesprechung zu.
Er trank einen Schluck und ließ seinen Becher mit einem wohligen Laut wieder sinken.
„Wir wollen die Vergangenheit auf sich beruhen lassen“, sagte er mit jener Betonung, wie er sie bei feierlichen Ansprachen gehört hatte. „In der Vergangenheit hat es Fehler gegeben, die nicht wieder geschehen dürfen. Wir müssen mit aller Kraft bestrebt sein, jetzt ans Ziel zu gelangen.“
„Die Fehler haben nicht wir begangen“, sagte Prado über den Rand seines Bechers hinweg. Er hatte dabei das „Wir“ betont.
Acosta verzog unwillig das Gesicht. Da war sie wieder, diese plumpe Direktheit, von der er gern Abstand halten wollte, je mehr er sich mit seinem selbstgewählten Kapitänsrang identifizierte.
„Darüber bin ich mir im klaren“, sagte er versöhnlich. „Eben deshalb habe ich euch ja auch zu dieser Lagebesprechung gebeten. Natürlich kann ich nicht jede Einzelheit mit jedem erörtern. Was ich brauche, sind zuverlässige Gewährsleute, die die Crew vertreten. Über Offiziersränge und dergleichen können wir später reden, wenn wir unsere wichtigste Aufgabe bewältigt haben und eine vollständige Mannschaft in Heuer nehmen.“
In den Augen des Bootsmanns und des dürren Decksmanns entstand ein Funkeln. Sie hatten den Köder angenommen. Acosta bemerkte es mit Genugtuung.
„Ich sehe da überhaupt keine Schwierigkeiten mehr“, sagte Morro breit und lehnte sich zurück. „Wir haben eine passende Stelle gefunden und brauchen nur noch dort zu ankern. Dann bepflastern wir den Strand mit unseren Neunzehnpfündern, bis die ganze verdammte Insel sturmreif ist.“
„Hört sich sehr einfach an“, sagte Prado, „aber ich würde da doch nicht so verdammt sicher sein. Es gibt ein paar Kleinigkeiten, die mir nicht gefallen.“
„Was für Kleinigkeiten?“ stieß Morro hervor, und es klang wie das Zuschnappen eines Hundes.
„Alles in allem haben wir vier Geschütze, die wir auf einmal einsetzen können. Damit erreichen wir keine Feuergeschwindigkeit, die die Kerle in Deckung zwingt. Und richtig bepflastern können wir den Strand schon gar nicht.“
Der Dürre schüttelte den Kopf.
„Geschütze sind Geschütze“, entgegnete er halsstarrig. „Und wenn wir sie damit nur einschüchtern, dann reicht das schon. Die verdammten Bastarde haben nur Musketen, wenn ich’s richtig mitgekriegt habe.“
„Sehr richtig!“ rief Prado. „Das ist ein weiterer Punkt. Das Floß war nahe genug am Strand, so daß sie mit einer Muskete hinlangen konnten. Immerhin haben wir seitdem einen Verwundeten.“
„Zufallstreffer“, erklärte Morro.
„Egal“, entgegnete der Bootsmann mit einer heftigen Handbewegung. Er hatte sich in Eifer geredet. „Wir liegen mit der Galeone an der neuen Position, das heißt, auch in Musketenreichweite. Ob Zufallstreffer oder nicht – wir müssen dann dauernd damit rechnen, daß uns Blei um die Ohren fliegt.“
Morro schüttelte den Kopf.
„Dann setzen wir eben auch Musketenschützen ein.“
„Wo willst du denn so viele Leute hernehmen? Wir brauchen eine Geschützbedienung, normalerweise mindestens zwei Mann für jede Kanone. Dann vier Mann für das Floß. Macht zwölf. Bleiben nur noch drei Mann und unser Kapitän.“
Beide warfen einen Seitenblick zu Acosta, der die Kuppen der gespreizten Finger aneinandergelegt hatte und interessiert zuhörte.
„Na und?“ sagte der Dürre brummend. „Das reicht doch für die Musketen, oder?“
„Dann haben wir niemanden mehr für das Schiff!“ schrie Prado unbeherrscht. „Und für Unvorhergesehenes erst recht nicht.“
„Ruhig Blut, Señores, ruhig Blut“, mahnte der Schwarzbärtige mit einer dämpfenden Handbewegung. „Vorläufig sind das alles noch ungefangene Fische. Ich meine, wir sollten zunächst einmal die Position einnehmen, die unsere Floßbesatzung entdeckt hat. Daß wir mit Musketenschüssen rechnen müssen, wissen wir. Wir werden entsprechend vorsichtig sein. Andererseits glaube ich nicht, daß die Bastarde ihre Munition sinnlos verschwenden. Die wissen doch genauso wie wir, daß sie mit Zufallstreffern kaum etwas ausrichten können.“
„Und unsere Kanonen?“ wandte Prado ein. „Wenn sie nun nicht ausreichen, um die Insel sturmreif zu schießen?“
Acosta tat, als überlege er.
„Wir werden unsere Floßbesatzung nicht sofort losschicken“, sagte er schließlich. „Erst mal erproben wir die Wirkung der Geschütze. Erst wenn wir wissen, mit welcher Taktik wir die Bastarde am besten in Schach halten, wird unser Landetrupp in Marsch gesetzt.“
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