Carrero grinste jetzt. Er schnarchte immer lauter, nahm den Belegnagel in die rechte Hand und klopfte damit an die äußere Bordwand. Das gab dumpfe, pochende Laute.
Luke Morgan horchte auf. Was war das? Er war ein bißchen dösig geworden. Für kurze Zeit wäre er um ein Haar eingeschlafen, hatte sich aber immer wieder einen Ruck verliehen. Die Augen durften ihm nicht zufallen.
Wenn der Spanier auch keine Chance hatte, aus seinem Verlies zu entwischen – es war eine Schande für einen Arwenack, auf Wache einzupennen. Und die Blamage war noch größer, wenn man ihn dabei ertappte. Nein, das durfte sich keiner erlauben. Notfalls gab man sich lieber selbst eine Ohrfeige, als den Dienst zu vernachlässigen, was immer auch geschah.
Es hämmerte dumpf im Schiffsbauch, und der Kerl in der Vorpiek schnarchte wie ein Besessener. Aber was hatte das eine mit dem anderen zu tun? Luke war ein wenig verwirrt.
Luis Carrero lag inzwischen in Schlafstellung auf der Gräting der Vorpiek, die Hände auf dem Rücken, leicht zusammengekrümmt und die Front dem Schott zugewandt. Er stellte das Schnarchen kurz ein – und fing im nächsten Moment wieder damit an, noch lauter diesmal. Zwei- bis dreimal klopfte er wieder mit dem Koffeynagel gegen die äußere Wand, dann hörte er auf, schnarchte aber weiter.
Komm schon, du Ratte, dachte er. Wie lange brauchst du, um mißtrauisch zu werden? Stunden? Hölle das dauert mir zu lange. Warum, zum Teufel, kommst du nicht?
War der Bastard von einem Engländer am Ende eingeschlafen? Carrero wagte nicht, daran zu denken. Wenn der Posten ihn nicht hörte, war sein ganzer Plan, den er sich zurechtgelegt hatte, hinfällig. Dann konnte er auch nichts Neues ersinnen, denn es gab keine Alternative. Alles hing davon ab, daß der Mann dort draußen versuchte, dem Klopfen auf den Grund zu gehen.
Carrero setzte mit dem Schnarchen aus. Er hämmerte den Belegnagel gegen die Beplankung – viermal in kurzen Abständen. Wenn jetzt nichts passiert, ist alles verloren, dachte er.
Luke Morgan lauschte dem Schnarchen und dem Pochen. Verdammt, dachte er, was hat das zu bedeuten? Das Schnarchen beunruhigte ihn nicht, wohl aber das Klopfen. Es klang so, als klopfe von draußen jemand an die Bordwand, nicht laut, aber doch gut hörbar.
Was das wohl war? Wieder trat Stille ein. Dann ertönte wieder das Schnarchen aus der Vorpiek – und plötzlich war erneut das Pochen da, dumpf und unheimlich.
Luke nahm die Öllampe vom Haken, trat auf das Schott zu und schob den Riegel zur Seite. Er zog das Schott auf. Es knarrte ein wenig in seinen Angeln. Luke bückte sich und hielt die Lampe etwas tiefer. Der Lichtschein fiel etwas flackernd ins Innere und erhellte die Gestalt des Spaniers.
Carrero schnarchte wieder, jetzt verhalten. Das Klopfen hatte aufgehört. Luke betrachtete den Mann eine Weile, dann schien er überzeugt zu sein.
Der schläft, dachte er.
Ganz sicher war er aber doch noch nicht. Er wollte es genau wissen. Schlief der Kerl oder hielt er ihn nur zum Narren? Und wenn das Pochen von ihm herrührte, was bezweckte er damit?
Carrero schnarchte friedlich vor sich hin. Luke beugte sich über ihn.
„He!“ zischte er.
Carrero antwortete nicht.
Lukes Mißtrauen war immer noch nicht gewichen. Hier stimmt was nicht, sagte er sich – und dann stellte er die Öllampe auf einen Decksbalken. Er hatte vor, sich etwas gründlicher in der Vorpiek umzuschauen.
Als er sich jedoch halb von Carrero abwandte, wurde dieser plötzlich sehr lebendig. Er zog die Beine an den Leib, gab sich einen Ruck und sprang auf.
Luke hörte ein Geräusch und registrierte auch die Bewegung des Kerls. Er reagierte, fuhr zu ihm herum und wollte zur Pistole greifen. Aber er hatte die Bewegung noch nicht halb vollführt, da krachte etwas auf seinen Kopf – der Koffeynagel. Er hatte das Gefühl, sein Schädel platze auseinander. Stöhnend sackte er in die Knie.
Carrero wollte noch einmal zuschlagen, stellte aber fest, daß es nicht mehr nötig war. Der Engländer brach vor ihm zusammen und streckte sich auf den Planken aus.
Sehr gut, dachte der Spanier, das geschieht dir recht, du Mistkerl.
Er überlegte, ob er ihn töten sollte. Aber dazu war keine Zeit, er mußte sich jetzt höllisch beeilen. In Windeseile zog er sich die Stiefel aus. Die Langschäfter aus weichem Leder – auf sie mußte er jetzt verzichten, denn wenn die Flucht gelingen sollte, mußte er sich absolut lautlos durch das Schiff bewegen.
Er legte die Stiefel auf die Gräting und steckte den Belegnagel in den Hosengurt. Dann begann er, den ohnmächtigen Luke zu untersuchen. Wieder war er versucht, ihn umzubringen. Eine Welle des Hasses durchlief ihn. Hier war die Gelegenheit, sich für alles zu rächen, was sie ihm angetan hatten.
Aber wie denn? An einem einzelnen, unbedeutenden Decksmann sollte er sich rächen? Das konnte alles andere in Frage stellen, und ihm kam es doch viel mehr darauf an, zu fliehen und dafür zu sorgen, daß der schwarzhaarige Hurensohn Killigrew und dessen Kumpane gepackt und nach Potosi in die Minen verschleppt wurden.
Prioritäten setzen, lachte Carrero. Das war jetzt wichtig für ihn. Und er brauchte Waffen. Was hatte dieser Bastard bei sich? Etwa nur die Pistole?
Nein, er hatte auch ein Entermesser. Carrero zog es vorsichtig aus der Scheide und prüfte die Schärfe der Klinge mit dem Daumen. Ausgezeichnet! Die Klinge war spiegelblank und frisch gewetzt, man konnte damit einem Kerl den Kopf abschlagen.
Carrero steckte sich auch die Pistole Luke Morgans zu, dann nahm er ihm das Pulverhorn und die Kugelbüchse ab. Den Belegnagel behielt er natürlich auch. Den konnte er noch gut gebrauchen, wenn es galt, einen jäh auftauchenden Gegner auszuschalten.
Er verließ die Vorpiek und pirschte den schmalen Schiffsgang entlang. Wo befanden sich die Kerle? Lagen sie alle im Logis und schliefen? Sollten sie weiterschlafen – er würde sie nicht weiter behelligen, obwohl er den Drang verspürte, ein volles Faß Pulver in ihren Raum zu rollen und zur Explosion zu bringen.
Aber auch damit gewann er nichts, er riskierte nur sein eigenes Leben. Er hielt sich das Endziel vor Augen: die totale Ausrottung der Bande um Killigrew. So schlich er weiter und befaßte sich in seinen Gedanken mit dem, was ihn an Oberdeck erwartete.
Wie viele Posten versahen dort die Ankerwache? Nur einer? Oder mehrere? Er hatte keine Gelegenheit gehabt, das zu ergründen. Er mußte es eben darauf ankommen lassen. Wenn er Pech hatte, mußte er mehrere Kerle abservieren.
Behutsam stieg er einen Niedergang hinauf. Es war jetzt wieder stockdunkel, der Lichtschein der Öllampe in der offenen Vorpiek reichte nur bis auf wenige Yards in den Gang. Carrero mußte sich vorantasten und höllisch aufpassen, daß er kein Geräusch verursachte.
Wenn ihm beispielsweise etwas im Weg lag, würde er mit Sicherheit darüber stolpern. Angenommen, die Kerle ließen irgendwo Kübel herumstehen. Stieß er dagegen, gab es einen Mordsradau, und sofort war das gesamte Schiff hellwach. Dann stürzten sie sich auf ihn und überwältigten ihn, und er hatte auch mit den erbeuteten Waffen nicht die geringste Chance.
Aber nein, die Bastarde waren ordentlich und gründlich. Hier wurde nicht geschlampt, sie hielten den Kahn gut in Schuß. Na bitte, dachte Carrero, und er näherte sich dem Logis und dem Schott zur Galion. Wenigstens zu etwas taugen sie. Sie würden auch in den Minen eifrig schuften, wenn sie mit der Peitsche dazu angetrieben werden.
Überhaupt, warum nahm er nicht den Kerl, den Killigrew als Kapitän vertrat, als Geisel und beherrschte auf diese Weise das ganze Schiff? Er ließ sich nach Arica segeln, lief als Sieger in den Hafen ein und ließ erst einmal einen der Hunde hängen, weil es ihm so gefiel – und als Abschreckung für alle anderen.
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