Mac rollte plötzlich mit den Augen.
„Her mit den Fischen!“ rief er den Zwillingen zu. „Ich will sie braten, verdammt noch mal!“
„Was ist denn in Mac gefahren?“ fragte Ben Brighton überrascht.
„Er kriegt sich nicht mehr ein“, erwiderte Shane, der die Fäuste in die Seiten gestemmt und eine grimmige Miene aufgesetzt hatte. „Wegen der Heringe.“
„Das sind keine Heringe“, sagte Ben. „Das sind allenfalls Anchovetas.“
„Was für Dinger?“
„Eine Fischart, die in Massen vor dieser Küste auftritt“, erklärte Ben. „Sie ist wohl mit den Heringen verwandt, aber eben doch anders, auch vom Geschmack des Fleisches her. Die Anchovetas können unterarmlang werden.“
„He!“ brüllte Mac zur Jolle hinüber. „Ihr habt den Kahn doch voll! Gleich sauft ihr ab! Kommt her! Pullt an, Jungs!“
Carrero war stehengeblieben und tat so, als genieße er die Sonne, die sein Gesicht und seine Gestalt wärmte. Dabei versuchte er, die Windrichtung festzustellen und sich zu orientieren. Wo war Norden, wo Süden? Er atmete tief durch, überlegte und spähte aus schmalen Augen nach allen Seiten. Allmählich gelang es ihm, sich zurechtzufinden.
Pete Ballie war inzwischen zu Mac Pellew getreten und legte ihm die rechte Pranke auf die Schulter. „Mac, hör mal zu. Was soll das Geschrei?“
„Wird Zeit, daß wir was zu beißen zwischen die Zähne kriegen“, entgegnete Mac hastig. „Ist doch Mittag, oder?“
„Die Suppe ist schon gar, oder täusche ich mich?“
„Wir hauen ein paar ordentliche Kaventsmänner mit in die Suppe rein, äh – Fische, meine ich.“
„Es sind Anchovetas“, sagte Bob Grey, der nähergetreten war. Er hatte vernommen, was Ben und Shane gesprochen hatten.
„Das ist egal“, sagte Mac. „Wir wollen Fisch futtern, gebraten und gekocht. Jawohl, und einlegen kann man die Biester auch, dann hat man immer einen Vorrat.“
Pete packt auch Nils am Arm und zog ihn langsam zu sich heran.
„Ich habe nichts gegen Fisch“, sagte er. „Aber mir stinkt euer Gequatsche.“
„Halt die Luft an, Pete“, sagte Jeff Bowie. „Das ist doch eine feine Sache, das mit der Manneskraft.“
„Laß dich nicht anstecken“, sagte Pete drohend. „Ich habe noch von seinerzeit, von der Ostsee vor Bornholm, die Nase voll, als Mac das große Spinnen anfing.“
„Ich und spinnen?“ Mac wurde wütend. „Glaub bloß nicht, daß ich mich von dir beleidigen lasse!“
„Wo willst du mit deiner Manneskraft hin, wenn keine Frauen da sind?“ fragte Pete. „Wir können schließlich nicht nach Arica segeln, du Walroß. Wie stellst du dir das vor?“
Mac kratzte sich am Kopf. „Darüber habe ich noch nicht nachgedacht.“
„Außerdem sind es Anchovetas und keine richtigen Heringe“, stellte Bob noch einmal fest. „Damit hat sich wohl der Fall.“
Batuti blickte ins Wasser. „Im klaren Wasser kann man ganze Schwärme sehen“, brummte er. „Wie in Gambia. Man kann sie mit Pfeilen schießen.“
„Die Mühe brauchst du dir nicht zu machen“, sagte Jack Finnegan. „Unsere Kerlchen haben genug gefangen und kehren zu uns zurück.“
Die Zwillinge pullten zur „Estrella de Málaga“ zurück. Von der „San Lorenzo“ legte nun auch eine Jolle ab – Eric Winlow, Tom Coogan und Jonny erschienen, um sich ihren „Anteil“ zu holen, den Philip und Hasard Jan Ranse großzügig versprochen hatten.
„Ihr könnt die Viecher euch selber keschen!“ rief Mac Pellew ihnen zu.
„Ha, ha!“ rief Winlow und deutete auf die Jolle der Zwillinge, die vor lauter Fisch wahrhaftig auf Tiefe zu gehen schien. „Das reicht doch für alle, und wir haben noch was dabei übrig!“
„Faulpelze“, sagte Mac. Dann aber suchte er die Kombüse auf, um mit den Vorbereitungen für das Ausnehmen der Anchovetas zu beginnen.
Luis Carrero hatte die Gelegenheit genutzt. In dem Augenblick, in dem wegen der Fische Aufregung entstanden war, hatte er sich auf die Nagelbank des Großmastes zubewegt und einen der Belegnägel an sich gebracht.
Seine Hände waren ihm auf den Rücken gefesselt, aber er stellte sich vor die Nagelbank, packte zu und schob sich den Belegnagel hinten unter das Hemd. Immer wieder blickte er sich dabei nach allen Seiten um. Doch niemand hatte sein Handeln bemerkt – nicht einmal Ben Brighton, der in diesem Moment ebenfalls durch die Ankunft der „Fisch-Jolle“ abgelenkt war.
Luis Carrero nahm seinen Gang über das Hauptdeck wieder auf. Die Begebenheit mit den Anchovetas schien er nicht verfolgt zu haben, sein Benehmen war – nach außen hin – apathisch und stumpf. Innerlich aber begann er wieder Hoffnung zu schöpfen. Er hatte eine Schlagwaffe! Das war besser als gar nichts, und er würde sie zu nutzen wissen.
An diesem Mittag setzte auf beiden Schiffen das große Fischbraten ein. Die Männer der „San Lorenzo“ waren von den Arwenacks gewissermaßen angesteckt worden: Aus der Kombüse der Galeone stiegen mächtige Qualmwolken auf. Tom Coogan und Jonny gingen Eric Winlow kräftig zur Hand. Le Testu hatte sich freiwillig gemeldet – er würzte die Fische.
Winlow drehte und wendete sie auf dem Eisenrost über dem offenen Holzkohlenfeuer. Donald Swift holte immer eine „Fuhre“ ab, wenn sie gar war, und teilte die Fische auf der Kuhl an die Männer aus, die sofort zulangten und mit begeisterten Gesichtern zu essen begannen.
„Die schmecken wirklich gut“, sagte George Baxter. „Aber ich könnte sie mir auch eingelegt vorstellen.“
„In Öl, mit Lorbeer, Thymian und Pfeffer“, schwärmte Montbars.
„Was sagst du da?“ fuhr Gordon McLinn ihn an. „Pfui, Teufel! Man muß die Biester räuchern und in Essig einlegen, dann sind sie erst richtig gut!“
Jan Ranse trat zu ihnen, er hatte selbst gerade einen Anchoveta verspeist.
„Nun streitet euch nicht“, sagte er. „Jeder hat seinen Geschmack und seine Gewohnheiten.“
„Stimmt“, sagte Baxter. „Aber was ist das drüben bei den Arwenacks für ein Gerede von den Ostseeheringen? Die schwärmen ja in allen Tönen.“
„Nun ja“, sagte Jan grinsend. „Mac meinte damals, die geräucherten Fische verhelfen einem Kerl zu mächtiger Manneskraft.“
„So ist das“, sagte Baxter, dann lachte er dröhnend. „Na, wer’s glaubt, wird selig!“
„Wenn schon, dann muß man die Dinger richtig würzen“, meinte Albert mit listiger Miene.
„Wie denn?“ fragte McLinn. „Etwa mit Knoblauch? O Hölle!“
„Ihr Engländer lernt es nie“, sagte Albert giftig. „Für euch ist das Essen eine Notwendigkeit. Für uns ist es eine Kunst und eines der höchsten Vergnügen.“
„Es kommt gleich nach dem anderen“, erklärte Pierre Puchan. „Und damit wären wir wieder beim Thema Nummer eins. He, Montbars, willst du die Pulle Wein ganz allein aussaufen? Her mit dem Zeug!“
Die Flaschen machten die Runde. Auch an Bord der „Estrella de Málaga“ sorgte Ben Brighton für die entsprechende Stimmung, indem er sogar eine Extrarunde Brandy spendierte. Es wurde gelacht und geredet, und wieder gingen die haarsträubendsten Gerüchte über die Bornholm-Heringe im allgemeinen und die Arica-Anchovetas im besonderen um.
„Ich finde, die lieben Tierchen sind noch besser als Heringe“, sagte Shane, nachdem er die letzten Gräten seiner Ration abgelutscht hatte. „Wie viele davon können wir mitnehmen, Ben?“
„Ich würde gern die Proviantkammer füllen“, erwiderte Ben. „Aber frischer Fisch wird natürlich schnell schlecht.“
„Wir können ihn einsalzen.“
„Oder einlegen“, sagte Ben. „Besser noch wäre es, ihn zu räuchern. Wir sollten an Land eine Räucherei einrichten.“
„Meinst du das im Ernst?“
„Ja. Auch das wäre eine willkommene Abwechslung.“
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