„Und? Haben Sie noch Waffen bei sich?“
„Ich? Nein, ich habe keine Waffen bei mir. Ich pflege Befehle zu befolgen.“
Es war die alte Weisheit: Menschen mit unruhigen Augen, die dem festen Blick des anderen ausweichen, haben etwas zu verbergen, ein schlechtes Gewissen oder führen etwas im Schilde.
Hasard nickte Carberry zu und sagte in der englischen Sprache: „Durchsuch ihn, Ed. Und wenn du etwas findest, dann kannst du mit ihm Schlitten fahren. Ich wette, daß er mich belogen hat.“
„Mal sehen“, knurrte der Profos, trat auf den Teniente zu und begann ihn von oben abzutasten.
Plötzlich fuhr seine Hand in den Koller. Als er sie zurückzog, hatte er eine kleine Pistole in der Hand. Er warf die Waffe hinter sich, geradezu lässig und gleichgültig.
„Einer, der Befehle zu befolgen pflegt, eh?“ sagte er verächtlich. „Ein Sprücheklopfer und ein Lügenmaul, wie?“
Der Teniente schwoll rot an. „Wie sprechen Sie denn mit mir, Sie – Sie ungehobelter Flegel? Ich bin Offizier!“
„Ach ja? Ist das was Besonderes oder wie?“ höhnte Carberry.
„Wenn ich meinen Degen hätte, würden Sie tanzen, Kerl!“ schnarrte der Teniente.
„Wie wär’s denn mit den Fäusten – Offizier Lügenmaul?“ Carberry trat etwas zurück. „Komm her, zeig’s mir mal, damit deine Leute sehen, was du für ein tapferes Kerlchen bist. Schau mal, sie grinsen schon! Sie lachen über ihren aufgeblasenen Offiziersgockel!“
Der Teniente, blind vor Wut, sprang vor und landete Vierkant im berühmten „Profos-Hammer“, der von unten gegen sein Kinn krachte, so daß er vom Boden abhob, die Flugbahn einer trägen Rakete beschrieb und wieder zur Landung auf dem Pflaster der Plaza ansetzte.
Der Aufprall schüttelte den Teniente durch und war recht unsanft. Carberry beachtete ihn nicht weiter. Er hatte die Fäuste in die Hüften gestemmt, stand breitbeinig da und musterte aus schmalen Augen die Soldaten. Denen verging das Grinsen ziemlich schnell.
„Freut euch nicht zu früh, ihr Rübenschweine“, warnte er. „Ihr seid auch noch dran!“
Da und dort zwischen den Reihen klirrte plötzlich etwas zu Boden.
„Halt!“ zischte Carberry scharf.
Die Soldaten erstarrten.
Hasard musterte aus eisigen Augen den Stadtkommandanten, der zusehends einschrumpfte, und fragte: „Ist es bei Ihren Offizieren üblich, die Befehle des Gouverneurs zu umgehen oder zu mißachten, Don Alfonso?“
„Der – der Teniente Gomez war – war bestimmt eine Ausnahme“, stotterte der Stadtkommandant bleich, und die Spitzen seines Knebelbarts zitterten wie Espenlaub im Wind. „Ich – ich werde den Teniente für seine Insubordination bestrafen.“
„Eine Ausnahme, wie?“ fragte Hasard spöttisch. „Wollen Sie mich für dumm verkaufen?“ Er zog die Pistole und richtete sie auf den Stadtkommandanten. Sein eisiger Blick flog über die Soldaten. „Vortreten, wer noch eine Waffe hat! Oder es knallt, und Sie können Ihren Stadtkommandanten zu Grabe tragen!“
Es waren zwanzig Soldaten, die mit bleichen Gesichtern vortraten.
„Waffen heraus und fallen lassen!“ befahl Hasard.
Sie gehorchten. Wieder klirrte es. Zum größten Teil waren es Messer, darunter aber auch drei Pistolen.
Der Teniente hatte sich aufgerappelt und irrte quer über die Plaza, als habe er die Richtung verloren. Carberry sah, daß er schielte. Er holte ihn sich, packte ihn hinten am Kragen und schleppte ihn zum Brunnen. Dort nahm der Teniente ein Bad. Carberry tunkte ihn kräftig hinein, bis der Teniente nicht mehr schielte, dafür aber zitterte und schlotterte.
„Wollen wir noch ein bißchen boxen, Offizier?“ fragte Carberry grimmig.
„N-n-n-nein!“ schnatterte der Teniente.
„Dann steig aus und marsch zur Truppe – dorthin, wo die anderen Betrüger vor der Front stehen!“
„J-j-jawohl!“
Der Teniente war das, was man einen begossenen Pudel nennt. Das Wasser war eiskalt. Sein Kinn schwoll trotzdem mächtig an. Bibbernd baute er sich am rechten Flügel der „Betrüger“ auf und ließ die Zähne klappern.
„Die Kerle und der Teniente bleiben hier“, entschied Hasard. „Wegen Mißachtung eines Befehls des Gouverneurs werden sie sich vor einem Kriegsgericht zu verantworten haben.“ Er drehte sich zu der Residenztreppe um, wo inzwischen der Polizeipräfekt erschienen war und Meldung erstattet hatte, daß er den Befehl des Gouverneurs ausgeführt hätte. „Der Präfekt zu mir!“ rief Hasard – und auf englisch: „Karl, du bitte auch! Bring den Señor Jimeno mit!“
Karl von Hutten zeigte klar und dirigierte die beiden Männer auf die Plaza zu Hasard.
Hasard wandte sich an den Präfekten: „Das Gefängnis, Señor?“
„Dort drüben, Señor Großadmiral!“ rasselte der Polizeipräfekt und zeigte quer über die Plaza.
„Sehr gut“, sagte Hasard. „Sie haben die Ehre, die zwanzig Mann, den Teniente und den Señor Jimeno dort einzusperren, Señor Polizeipräfekt.“
„Ihr gehorsamster Diener, Señor Großadmiral!“ schnarrte der Präfekt.
Hasard seufzte. „Leider kann ich es Ihnen nicht ersparen, dort auch Aufenthalt zu nehmen, aber es wird nicht allzu lange dauern. Sie waren ein guter Mitarbeiter.“
„Befehle“, schnarrte der Polizeipräfekt, „sind dazu da, daß man ihnen gehorcht – äh – Pflichterfüllung!“
„So ist es“, sagte Hasard und salutierte eckig und mit ernstem Gesicht. Innerlich sah’s bei ihm anders aus. Es war die größte Komödie, die er je erlebt hatte. Er hätte vor Lachen bersten können.
Der Nußknacker salutierte ebenfalls. Weiß Gott, er konnte es noch besser als Philipp Hasard Killigrew, aber der war ja auch keine Marionette in diesem Theater merkwürdiger Figuren.
„Mir nach!“ befahl der Nußknacker, setzte sich an die Spitze und marschierte zum Gefängnis. Carberry und Karl von Hutten begleiteten den Trupp.
Hasard nickte dem Stadtkommandanten zu. „Sie können sich in Marsch setzen, Don Alfonso. Aber ich warne Sie, die Straße nach Sucre zu verlassen. Sie wissen ja, meine Leute haben Befehl, in einem solchen Fall sofort zu schießen. Trotzdem möchte ich unnötiges Blutvergießen vermeiden. Warten Sie in Sucre die weiteren Befehle des Gouverneurs ab. Verstanden?“
„Verstanden, Señor Großadmiral!“ Don Alfonso salutierte, angesteckt vom Präfekten.
Hasard dankte gemessen.
Die Truppe rückte ab, an der Kathedrale vorbei nach Nordosten. Hasard schaute ihr hinterher und atmete durch. Auch das hatte also geklappt. Wenn er die Situation richtig einschätzte, dann würde Don Alfonso, der Stadtkommandant, eine ziemlich lange Zeit brauchen, bis er begriff, daß er auf einen Bluff hereingefallen war. Mit dem Abzug der Garnisonstruppe und der Stadtgardisten war die Stadt im gewissen Sinne entwaffnet. Die Bürger? Das waren keine Kämpfer, dazu hatten sie auch viel zu lange im Wohlstand gelebt.
Unsere Sache steht nicht schlecht, dachte Hasard, gestand sich jedoch ein, daß sie bisher mächtiges Glück gehabt hatten, ein geradezu unverschämtes Glück, zu dem allerdings beigetragen hatte, daß der dicke Gouverneur nicht aus der Rolle gefallen war. Er hatte prächtig mitgespielt. Dieser Señor Jimeno, der Bergwerksdirektor, hätte gefährlich werden können. Gut, daß der jetzt auf Nummer Sicher saß, der hätte mit seinen Aufseher-Rabauken zu einem Gegenschlag ausholen können.
Der Zweite Bürgermeister war keine Gefahr. Der war froh, einmal aus dem Schatten des Ersten Bürgermeisters heraustreten zu können. Und Don Carlos, der Erste Bürgermeister? Der hatte kein Rückgrat, und ein Held war er ebenfalls nicht.
Carberry und Karl von Hutten verließen das Gefängnis und steuerten über die Plaza auf Hasard zu – über eine vereinsamte Plaza, auf der die drei Männer jetzt fast verloren wirkten.
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