Die Männer starrten ihn stumm an – und grinsten.
Dann jedoch sagte Dan O’Flynn: „Ist das nicht riskant, den Kerl zur Ratsversammlung zu begleiten?“
Hasard schüttelte den Kopf. „Pater Augustin, mit dem wir die Geiselnahme erörterten, meinte, auch als Geisel habe Don Ramón Befehlsgewalt, und man werde ihm gehorchen. Im übrigen soll ja gerade die Sprengung des Pulverturms die Señores einschüchtern. Ich werde ihnen dazu ein paar freundliche Worte sagen und erklären, die Sprengung sei ein Werk meiner Truppen gewesen, die zu diesem Zeitpunkt auch die Stadt umstellt hätten.“
„Phantastisch!“ sagte Jean Ribault begeistert. „Ich gestehe, daß mir Dans Bedenken auch kurz durch den Kopf gingen, aber der Bluff mit den Truppen sticht. Grandios!“
Dieser Meinung waren die anderen Männer auch.
Hasard bestimmte Jean Ribault, Karl von Hutten, Pater Aloysius, Dan O’Flynn, Carberry und Matt Davies zum Unternehmen Pulverturm. Sie nahmen vier Maultiere mit.
Der Pulverturm – ein Gemäuer aus schweren, roh behauenen Felsbrocken – stand am südöstlichen Stadtrand zwischen Potosi und Cerro Rico. Das hatte seinen guten Grund, denn ein Pulverturm inmitten einer Stadt war Teufelswerk. Kein spanischer Baumeister würde so verrückt sein, diesen Bau in einer Stadt zu errichten. Stets befand er sich am äußeren Rand der Stadt, aber natürlich innerhalb der Stadtmauer.
Nur – im Falle der Stadt Potosi hatten die Baumeister auf eine Mauer verzichtet. Die Legende berichtet, daß einer dieser Señores lachend gesagt hätte: Eine Mauer, Leute? Die könnt ihr euch sparen! Eure Mauern sind die Felsgrate auf Hunderte von Meilen rings um eure Stadt! Und dazwischen liegen Stadtgräben, nämlich Schluchten und tiefe, unbegehbare Täler, die unüberbrückbarer sind als das Wasser eines Stadt- oder Burggrabens!
Sicher, der Señor Baumeister hatte recht gehabt, dachten sie doch alle mit Schaudern an die „Straße“ nach Lima oder Arica, die über höllische Pässe, schwingende Hängebrücken über tosenden Wildbächen oder mörderischen Wüsten führte. Sie hatten ja alle von Lima oder Arica aus über diese „Straße“ reisen müssen, um die gelobte Silberstadt Potosi zu erreichen.
Einer der Stadtgründer hatte sogar stolz erklärt: Wir bauen die erste Stadt dieser Welt ohne Mauern! Denn nie wird ein Feind wagen, zu unserer Stadt vorzudringen!
Wenn wir uns nicht täuschen, werden die anderen Señores damals, als sie mit ihren ersten Prunkbauten beschäftigt waren, zu diesem markigen Spruch beifällig genickt und gemurmelt haben: recht hat er, wahr gesprochen!
Und der Verlauf der letzten Jahrzehnte seit der Stadtgründung hatte die These von der Unangreifbarkeit der Stadt ohne Mauer bestätigt. Nie war ein Feind zur Stadt vorgedrungen. Nie!
Aber Cartagena war überfallen worden, Panama, Havanna, Porto Bello, Vera Cruz – Küstenstädte, befestigt mit Mauern und dennoch dem wilden Zugriff von Piraten preisgegeben.
Aber Potosi lag am Ende der Welt.
Sie würden sich noch wundern, diese reichen, satten und selbstzufriedenen Bürger der Stadt.
Da lag also dieser Pulverturm abseits der Stadt – aus Sicherheitsgründen, die jedem Bürger verständlich waren. Es wäre ja auch ungemütlich gewesen, auf einem Pulverfaß zu sitzen. Völlig klar.
Nur war – hatte daran niemand gedacht? – diese abseitige Lage des Turms auch geradezu ideal für Bösewichter, welche die Absicht hatten, die Bergwelt mit einem Knall zu erschüttern. In der Stadt hätten sie keine Chance gehabt, sich dem Pulverturm auch nur bis auf zehn Schritte zu nähern – in der Dunkelheit der Nacht, versteht sich.
Draußen verhielt sich das anders. Immerhin, zwei Posten bewachten den Pulverturm. Aber wo seit Jahrzehnten nichts passiert ist, da werden solche Posten zu einer reinen Farce. Da witzelt man sogar darüber, weil solche Posten zu Einrichtungen geworden sind, deren Zweckmäßigkeit kein Mensch mehr versteht. Genausogut kann man jahrzehntelang eine Schatztruhe bewachen, deren Inhalt aus Luft besteht. Es ist dann eine „symbolische“ Wache um des Wachegehens willen.
So empfanden das auch die beiden Soldaten, die jetzt, gegen zehn Uhr nachts, die Hälfte ihrer Wache Pulverturm herum hatten, abwechselnd gähnten, fluchten, sich anödeten oder stadtwärts stierten, ob da vielleicht ein Sargento auftauchte, um sie zu kontrollieren.
Einer lümmelte an der Tür zum Pulverturm, der andere hatte sich einfach hingehockt, die Muskete zwischen den Knien. Beide befanden sich im Schlagschatten der Türnische. Diese Nische war der gesegnete Platz der Pulverturm-Posten, weil er Schutz vor den kalten Winden bot. Und man selbst beschützte ja auch etwas: den unmittelbaren Zugang ins Innere des Turms.
Sicher, da gab es auch Posten, die von einer penetranten Dienstauffassung besessen waren. Die stiefelten alle fünf Minuten um den Turm, um nachzusehen, wer sich angeschlichen hatte. Aber seit Jahrzehnten hatte sich niemand angeschlichen, und solche Posten, die nur die Mäuse mit ihrer Hektik aufscheuchten, waren komplette Idioten. Die beiden Posten zu dieser Stunde gehörten nicht in diese Kategorie der Pflichtbesessenen.
Da es den Posten zu blöd oder zu unsinnig erschien, Kontrollgänge um den Turm zu unternehmen, konnten sich die sieben Männer bequem und ungesehen von Osten her an den Turm heranschleichen. Es war geradezu läppisch.
Was Hasard jedoch stutzen ließ, das war das Gejaule und Gewinsel, das vom Fuß des Berges, wo die Hütten und Baracken der Aufseher standen, an seine Ohren drang und veranlagte, seinen Männern durch ein Winkzeichen zu befehlen, Deckung zu nehmen. Er selbst packte sich bäuchlings hinter ein Krüppelgewächs. Neben ihm landete Pater Aloysius.
Der Pater flüsterte: „Das sind die Bluthunde in ihrem Zwinger.“
Hasard biß sich auf die Lippen. Verdammt noch mal, an diese höllischen Biester hatte er nicht mehr gedacht – ein Fehler, der ihm nicht hätte passieren dürfen. Vielleicht waren sie ausschließlich auf den eigenen Geruch der Indios abgerichtet, durchaus möglich. Aber dieses „Vielleicht“ war keine Garantie.
Wenn sie jetzt den Turm sprengten und die Hunde danach auf Spuren angesetzt wurden, dann konnte es passieren, daß sie den Stollen fanden. In diesem Fall konnten sie ihr Unternehmen als gescheitert betrachten.
Die Hunde mußten weg, bevor der Turm in die Luft gejagt wurde!
Carberry robbte heran. Hasard drehte sich zu ihm um.
„Erst die Posten am Wachturm“, flüsterte er, „dann sind die Köter dran. Gib es an die anderen weiter, Ed!“
Der Profos zeigte klar und robbte zurück.
Sie hatten den Turm bereits längere Zeit beobachtet und festgestellt, daß er von zwei Posten bewacht wurde, die sich in die Nische der Tür drückten und offenbar zu faul waren, Rundgänge zu unternehmen.
Carberry landete wieder neben Hasard.
„Alles klar, Sir“, flüsterte er. „Wir können weiter. Matt und von Hutten sichern zum Zwinger hin.“
Hasard nickte, hob den Arm und winkte in Richtung des Turms. Sie standen lautlos auf und schlichen geduckt auf den großen Klotz zu, jederzeit bereit, sich wieder hinzuwerfen und Deckung zu nehmen.
Nichts passierte. Nur das träge Gemurmel der beiden Posten drang an ihre Ohren – und das Gejaule und Gewinsel der Bluthunde, das geeignet war, Leuten mit schwachen Nerven das Blut in den Adern gefrieren zu lassen.
Hatten die Biester schon etwas gewittert?
Waren sie immer so unruhig?
Eine scharfe Stimme klang auf aus der Richtung des Zwingers. Zu sehen war nichts – bis auf die dunklen Umrisse der Baracken und Hütten.
„Maul halten, ihr Mistviecher!“ schrie die Stimme. „Oder ich besorg’s euch mit der Peitsche!“
Eine andere Stimme rief dazwischen: „Laß sie, Pablo! Das ist Mila, die verdammte Hexe, die ist mal wieder läufig und braucht einen Liebhaber!“
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