Für Don Ramón de Cubillo wurde der Marsch zu einem Alptraum. Die Soldaten verhielten sich fügsam. Sollten sie tatsächlich „harte Burschen“ sein, wie Pater Augustin gesagt hatte, dann war ihnen wohl inzwischen klargeworden, daß diese zehn Männer noch härter waren – gewissermaßen aus Eisen.
Es dunkelte bereits, als sie zu ihrem Standquartier auf der Südseite des Silberberges zurückkehrten. Wieder war ihnen niemand begegnet. Die Einsamkeit und Verlassenheit der Bergwelt außerhalb von Potosi waren total.
Die vier Soldaten – weiterhin gefesselt – wurden in einem Nebenstollen untergebracht. Sie waren gründlich durchsucht worden. Sogar ihre Stiefel hatten sie ausziehen müssen – mit Erfolg, denn in den Stulpen hatten Messer gesteckt.
Pater David meldete keine Vorkommnisse, was die Abgeschiedenheit der Südseite des Berges bestätigte.
Die Gefangenen erhielten zu essen und zu trinken.
Dann nahm sich Hasard den dicken Gouverneur vor, diese wabbelige Masse Fett in einem verweichlichten, von Ausschweifungen und Wohlleben geschwächten Körper. Tatsächlich wirkte dieser Mann jetzt wie eine glitschige Qualle, die eine Welle auf den Strand getragen hat, von wo sie sich aus eigener Kraft nicht mehr fortbewegen kann.
Er war fertig, der Señor Gouverneur, der offenbar zum ersten Male in seinem Leben mehr als zehn Meilen auf seinen Watschelfüßen zurückgelegt hatte. Er ächzte, stöhnte und winselte.
Als, Carberry ihm mit einem freundlichen Grinsen die Reitgerte zeigte, verstummte er und schluckte nur noch.
Hasard fragte: „Wann werden Sie in Potosi zurückerwartet, Cubillo?“
„Morgen“, erwiderte der Dicke weinerlich und schielte zu der Reitgerte. „Denn da habe ich eine Ratsversammlung anberaumt.“
„Ah, eine Ratsversammlung!“ Hasard strich sich nachdenklich über das bärtige Gesicht. „Was soll denn da beraten werden?“
Der Dicke preßte das Froschmaul zusammen. Dann wurde er trotzig und sagte böse: „Das geht Sie gar nichts an!“
Hasard zog die Augenbrauen hoch. „Vorsichtig, Freundchen. Hier bestimme ich, was mich etwas angeht. Falls Sie das noch nicht begriffen haben, können wir dem sehr schnell abhelfen.“ Er nickte Carberry zu.
Carberry übergab die Reitgerte Matt Davies, zog ein Messer und wetzte es über einem Stein.
Er sagte: „Sir, ich schlage vor, ich tätowiere ihm ein Symbol auf den dicken Arsch. Was hältst du davon?“
„Hm, gar nicht schlecht. An was für ein Symbol hattest du gedacht?“
Carberry wetzte mit Eifer. „An ein Herz, Sir – äh –, auf die linke Backe ein Herz und auf die rechte Backe eine Blume. Oder soll ich auf beide Backen einen Totenkopf tätowieren? Das ist auch ein schönes Motiv und sehr beliebt.“ Er prüfte die Schärfe der Klinge und nickte zufrieden.
„Ich bin für den Totenkopf“, sagte Hasard entschieden.
„Nein …“, flüsterte der Dicke und hatte wieder das Spinatgesicht.
„Also? Über was soll beraten werden?“ fragte Hasard.
„Über – über Maßnahmen, wie dem Mangel an Arbeitskräften für den Silberabbau abgeholfen werden kann“, sagte der Dicke mit schwacher Stimme.
„Soso! Und wie soll dem Mangel abgeholfen werden? Sie haben doch sicherlich schon eine Idee, nicht wahr?“
Der Dicke druckste herum. Als Carberry mit dem Messer hantierte, sagte er hastig: „Ich – ich habe geplant, in Potosi Zwangsrekrutierungen vornehmen zu lassen.“
„Wer sollte rekrutiert werden?“ fragte Hasard hart.
„Ah – Soldaten, Handwerker, niedere Bürger, Stadtstreicher und so weiter.“
„Und Padres, nicht wahr?“ Das fragte Pater Aloysius mit scharfer Stimme.
Der Dicke zuckte zusammen und jammerte: „Was soll ich denn tun? Wenn der Silberabbau zum Erliegen kommt, bin ich geliefert. Man wird mich vor ein königliches Gericht zerren und Rechenschaft verlangen.“
„Vor ein Gericht gehören Sie allerdings“, sagte Hasard grimmig, „aber nicht, weil der Silberabbau stockt, sondern weil Sie Ihren König beklauen und sich selbst die Taschen vollstopfen. Ich schätze, in Ihrem Landhaus befinden sich Silberschätze, über die Ihr Philipp in Entzücken geraten würde.“
„Woher wissen Sie das?“ schrie der Dicke kreidebleich und kassierte umgehend eine Maulschelle wegen „ungebührlichen Verhaltens und lauten Schreiens“, wie sich Carberry ausdrückte.
„Sie scheinen Ihre Silbersäcke vergessen zu haben, die Sie in der Sänfte mitführten“, sagte Hasard verächtlich. „Von daher ist nicht schwer zu erraten, daß Sie im Laufe der Zeit Unmengen an Silber gehortet haben müssen. Sie haben es gescheffelt, Sie Gauner. Und Sie zittern nicht, weil in der Silberschatulle Ihres Königs eine Ebbe bevorsteht, sondern weil der Silberstrom nicht mehr durch Ihre Taschen fließen konnte. Sogar jetzt, in dieser Situation des Mangels an Arbeitssklaven, schaffen Sie noch Silber beiseite! Das muß man sich mal vorstellen!“
Die Qualle sackte noch mehr in sich zusammen – Beweis dafür, wie sehr Hasard recht hatte.
„Mann! Wir sollten dieses Landhaus auseinandernehmen!“ stieß Jean Ribault hervor.
Hasard winkte ab. „Wir haben hier Wichtigeres zu tun. Bringt ihn in einen anderen Nebenstollen und verpaßt ihm einen Knebel, damit wir das Gejammere nicht mehr zu hören brauchen.“
„Ich bin ruiniert!“ röchelte der Dicke.
Der Profos grunzte befriedigt. „Wie mich das freut, Fettmops! Noch fröhlicher wäre ich natürlich gestimmt, wenn ich dir deinen Speckhals umdrehen dürfte. Na, vielleicht erlaubt mir das mein Admiral, wenn hier alles vorbei ist.“
„Er ist Admiral?“ fragte der Dicke bibbernd.
„Natürlich. Dachtest du, er sei Sargtischler oder Lampenputzer? O nein! Er ist Großadmiral aller vereinigten chinesischen, babylonischen und alemannischen Flotten, die unter dem Großkreuz des Ordens der schrägen Isabella segeln und erst kürzlich ihr Banner auf der Rückseite des Mondes aufpflanzten. Klar?“
„N-nein“, flüsterte der Dicke mit schreckgeweiteten Glubschaugen. Es war ja auch sehr verwirrend, in wessen Hände er da gefallen war. „Schrä-schräge Isabella – wer ist das?“ stotterte er.
„Die Nichte der Hure von Babylon“, sagte Carberry mit dumpfer Stimme und rollte entsetzlich mit den Augen.
Die Männer mußten sich umdrehen, um ihr Grinsen zu verbergen. Es war ja auch mal wieder starkes Profosgeschütz, was der gute Carberry auffuhr.
„Ed!“ mahnte Hasard sanft. „Verfrachte ihn in einen Nebenstollen.“
„Jawohl, Großmeister!“ Und schon fuhr Carberry den Dicken an: „Hoch mit dir, du Schmalzfaß! Oder muß ich erst böse werden?“
Der Dicke quälte sich hoch, wurde von Carberry in einen Nebenstollen dirigiert, durfte sich hinlegen und wurde geknebelt.
Als der Profos zu den Männern zurückkehrte, rieb er sich die Pranken und sagte: „Der ist eingestimmt, darauf könnt ihr euch verlassen. Oder was meinst du, Sir? Soll ich noch mehr aufdrehen?“
„Ich glaube nicht, Ed“, sagte Hasard lächelnd. „Schätze, das genügt. Danke, daß du mich zum Großadmiral ernannt hast.“
„Hab’ ich gern getan, Sir“, sagte der Profos treuherzig. „Also, jetzt haben wir den Dicken vereinnahmt. Und wie geht’s weiter?“
„Darüber wollte ich mit euch sprechen“, erwiderte Hasard. „Was mir wichtig war, habe ich erfahren: Don Ramón wird erst morgen in Potosi zurückerwartet, die Suche nach ihm wird frühestens losgehen, wenn diese Ratsversammlung beginnt. Bis dahin wird ihn niemand vermissen, denn ich schätze, er hat sich verbeten, in seinem Landhaus gestört zu werden. Was ich plane, ist folgendes: Er wird morgen seine Ratsversammlung abhalten, jedoch in unserer Begleitung. Ich werde ihm diktieren, was er seinen Señores zu sagen hat. Damit diese Señores aber ‚eingestimmt‘ sind und wissen, daß hier ein kompromißloser und harter Gegner am Werk ist, werden wir heute nacht den Pulverturm sprengen. Das hat auch den Nebeneffekt, daß wir sie im gewissen Sinne entwaffnen, denn wo kein Pulver ist, kann nicht mehr geschossen werden. Ferner wird ihnen für längere Zeit das Pulver fehlen, das sie brauchen, um sich ihre Stollen in den Berg zu sprengen. Wir selbst allerdings werden uns mit Pulver eindecken, und zwar für unseren Rückzug aus Potosi. Da könnte man beispielsweise mit einer Sprengung einen Bergpfad zum Einsturz bringen.“ Hasards Blick wanderte über die Männer. „Hat jemand Bedenken, Einwände oder einen anderen, besseren Vorschlag?“
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