„Ja, ein Gewitter. Es ist besser, wir bleiben auf dem Plateau, zumindest solange, bis es vorüber ist. Wenn es uns auf den schmalen Wegen bei den Abgründen erwischt, kann es sehr gefährlich werden. Die Mulis keilen dann aus und spielen verrückt. Sie könnten in ihrer Angst Männer vom Pfad reißen.“
Hasard konnte sich bei diesem Sonnenaufgang zwar immer noch kein Gewitter vorstellen, aber Aloysius schien ein Gespür dafür zu haben. Wenn sie auf See waren, konnten sie auch meist vorhersagen, ob der Wind drehen würde, oder ob es Sturm gab. So ähnlich mußte es auch der Padre in den Bergen spüren.
Als die Sonne noch höher stieg und die ersten Strahlen auf das Plateau fielen, wurde es unvermittelt warm. Eine halbe Stunde später war es schon heiß und kaum noch zum Aushalten.
„Das schafft den letzten Ochsen“, sagte Carberry. „Tagsüber diese Bullenhitze wie in der Karibik, und nachts friert einem glatt das Gehirn ein, wenn man nicht aufpaßt.“
„Du mußt eben mehr denken“, sagte Dan, „dann bleibt da drin alles beweglich.“
„Wie soll ich denn denken, wenn ich schlafe, was, wie?“
„Indem du jede halbe Stunde aufstehst und scharf nachdenkst.“
„So ’n Stuß! Das ist genau wie mit dem Gewitter. Wenn es heute mittag ein Gewitter gibt, dann rupfe ich die Berge mitsamt den Wurzeln aus dem Boden.“
„Die haben aber verdammt lange Wurzeln“, meinte Stenmark. „Da wirst du ganz schön rupfen müssen.“
Gegen Mittag wurden die Mulis unruhig. Carberry ging zu seinem Diego hinüber und sah ihn an. Das Tier scharrte unruhig mit den Hufen.
„Na? Heute ist dir wohl dein dämliches Grinsen vergangen?“ fragte der Profos grinsend. Er streckte die Hand aus und kraulte Diego beruhigend den Hals.
Das war auch so eine Sache, über die der Profos und die anderen sich jedes Mal köstlich amüsierten. Wenn der seltsame Zossen am Hals gekrault wurde, dann stieß er laute Schnarchtöne aus, die ganz offensichtlich sein Wohlbehagen ausdrückten. Zog der Profos die Hand weg, dann hörte Diego mit dem Schnarchen auf und stieß Carberry auffordernd mit dem Maul an.
Nochmals eine Stunde später hatte sich das Bild der Bergwelt gewandelt, und zwar erstaunlich schnell. Die Männer sahen sich an und grinsten versteckt, denn es sah ganz so aus, als würde sich Pater Aloysius’ Voraussage bewahrheiten.
Wie aus dem Nichts erschienen dicke, finstere Wolken, die rasch heranzogen und sich zusammenballten. Die Sonne schien noch, jedoch von heller eigenartiger Farbe. Es begann schwül zu werden.
„Dann kannst du ja gleich anfangen und die Berge mitsamt den Wurzeln ausrupfen“, lästerte Matt Davies. „Es sieht tatsächlich nach einem Gewitter aus.“
„Pah, was ist schon ein kleines Gewitter! Wenn es noch ein richtiges Seegewitter wäre, aber hier …“
Der Profos winkte verächtlich ab, als sei das eine Bagatelle.
„Dann kann dein Diego ja mit dem Gewitter um die Wette ballern“, meinte Fred Finley.
Aloysius sagte gar nichts. Er hörte nur zu. Die meisten schienen das auf die leichte Schulter zu nehmen. Nun – sie würden sich sicher noch wundern, wenn es erst einmal krachte.
Die immer dunkler werdenden Wolken zogen so dicht über sie hin, daß man sie fast mit den Händen greifen konnte. Dabei wurde es zusehends dunkler und finsterer.
Die Mulis drängten sich wieder zwischen den Felsnasen zusammen. Alle hatten die Köpfe gesenkt und warteten ergeben.
Dann erfolgte unvermittelt der erste Schlag. Heiß und grell stach es aus den finsteren Wolken. Ein wildzuckender gleißender Blitz, der in den Augen weh tat, verschwand hinter einem Berg. Wie ein glühendes Schwert zuckte er aus dem Himmel. Drei, vier Lidschläge lang blieb es geisterhaft still.
„Sag bloß nicht, mein Vater hockt jetzt wieder auf der Schlangen-Insel und hext“, murmelte Dan, „der …“
Ein so gewaltiges Krachen erfolgte, daß Dans weitere Worte hoffnungslos untergingen. Es klang, als würden die Felsen und Berge rings um sie her bersten und splittern.
Selbst der Profos zuckte zusammen, als hätte ihn ein Hammer getroffen. Aber mit diesem einen gewaltigen Schlag war es noch längst nicht getan. Das Krachen verstärkte sich überlaut in den Bergen und kehrte als vielfältiges Echo von allen Seiten zurück. Es rollte und rumpelte, die Berge zitterten, und die Felsen schienen gefährlich zu wackeln.
Das wilde Rollen war noch nicht verklungen, da hatte der Profos das Gefühl, als fliege in seiner unmittelbaren Nähe ein Pulvermagazin in die Luft. Diesmal duckte er sich schluckend. Geräusche drangen an seine Ohren, als hocke er selbst mitten in dem hochgehenden Pulvermagazin.
Fred Finley und Stenmark flitzten ins Zelt, als ein paar dicke Regentropfen klatschend herabfielen.
Matt Davies deutete auf seinen Haken und brüllte, er müsse ebenfalls im Zelt verschwinden, sonst würde der Blitz in seine eiserne Hakenprothese fahren und ihn rösten.
Das war der Auftakt zu einem kleinen Inferno, das der Profos als Bagatelle abgetan hatte. Jetzt wurde er eines Besseren belehrt und zuckte immer wieder verstört zusammen.
Nur diesen Bruder Aloysius, dachte er, den kann nichts erschüttern. Der hockte seelenruhig an der Felswand und zählte die Blitze, die da pausenlos herniederfuhren. Das tosende Krachen schien ihn nicht im geringsten zu stören.
Die Männer erlebten ihr erstes ausgewachsenes Berggewitter, das sie kolossal beeindruckte.
Immer wieder schien sich die Welt in heller Glut zu verzehren. Ein wildes grelles Aufblitzen, dann ein ekelhaft anzuhörendes Zischen, ein Flammenschwert zerhieb die Wolken, und dann gab es ein Spektakel, als fliege alles auseinander.
Was war dagegen eine Breitseite oder ein explodierendes Pulverfaß?
Hier feuerte der Himmel seine Breitseiten ab, und die waren so gewaltig, daß sie alles sprengten, zerfetzten oder zersplitterten, auch wenn es aus gewachsenem Fels war.
Im wilden Aufleuchten eines langen gezackten Blitzes sahen sie, wie ein hoher Felsen gespalten wurde. Das glühende Schwert spaltete ihn in zwei Teile. Die eine Hälfte blieb unbeweglich stehen. Die andere kippte zur Seite, brach ab und polterte als eine pausenlos dröhnende Lawine über Hänge und Plateaus bis in die Schluchten hinunter.
Zu diesem Zeitpunkt waren sie alle im Zelt und sahen dem eindrucksvollen Schauspiel durch einen schmalen Spalt zu.
Hin und wieder klatschten ein paar große Tropfen herab, sonst blieb es trocken.
Der Profos setzte immer wieder zum Sprechen an, doch niemand verstand auch nur ein Wort. Die Umgebung war erfüllt von berstenden Geräuschen, von Explosionen, die immer lauter wurden, und in denen es keine Pause gab.
Das ging länger als eine Stunde so. Dann erst schwächte sich das wilde Tosen allmählich ab. Das Gewitter zog vorüber. Das Rollen in den Bergen blieb noch lange zu hören.
Aloysius sah der gewaltigen finsteren Wolke nach, aus der der Herr im Zorn gesprochen hatte, und lächelte, als der Profos sich ihm näherte.
Carberry wollte gerade sagen, wie sehr ihn das beeindruckt hätte, und daß es doch ein verdammter Unterschied zwischen einem Gewitter auf See oder einem in den Bergen wäre. Der Profos war sichtlich erschüttert und aufgewühlt.
„Zum Glück war es nur ein kleines Gewitterchen“, sagte Aloysius, „nicht einmal der Rede wert.“
„Ja, was ein Glück“, murmelte Ed erschüttert. „Wie steht es denn bei einem großen Gewitter, Bruder?“
„Oh, da muß man sich vorsehen, es kann tagelang dauern, und dann glaubst du, die Welt ginge unter. Ein Seegewitter ist da wohl wesentlich schlimmer, nicht wahr?“
„Jaja – äh – natürlich, wesentlich schlimmer“, stammelte Ed, der immer noch schlecht hören konnte. „Hier ist man ja in den Bergen geschützt“, setzte er schlitzohrig hinzu, „während man sich auf See – äh – sozusagen nicht verstecken kann und den Kräften sinnlos ausgesetzt ist.“
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