Das Abladen begann augenblicklich. Diego grinste wieder so dämlich, als der Profos ihn von seiner Last befreite.
„Fang mir hier oben ja keinen Ärger an, du Trompeter“, mahnte der Profos. „Hier hört nämlich der Spaß auf, wenn man in einer Schlucht landet.“
Diego nickte, als hätte er jedes Wort verstanden. Der Profos wurde das Gefühl nicht los, als sei dieser Halbesel irgendwann einmal im Zirkus aufgetreten, denn er benahm sich ganz anders als die anderen Maultiere. Vielleicht hatte ihn sein Vorbesitzer auch abgerichtet, möglich war das ja durchaus.
Auf dem Plateau wuchs polsterartiges Grün, das sich jedoch als ziemlich dürr und trocken erwies. Überall war der Boden mit diesen Büscheln bedeckt. Die genügsamen Mulis fraßen auch das Zeug oder knabberten an Moosen und verkrüppelten Sträuchern herum.
„Die Buckel am Felsboden sind Llareta-Polster“, erläuterte der Padre.
„Es gibt sie auch noch in Massen am Altiplano. Die Polster eignen sich hervorragend zum Feuer entzünden und dienen den Indios als Brennmaterial.“
Während abgeladen und die Zelte aufgeschlagen wurden, ging Hasard zu Jean Ribault hinüber, der auf einer Decke am Felsen saß.
„Geht es besser?“ fragte er mitfühlend.
„Nicht besonders, aber das Schwindelgefühl scheint sich langsam zu bessern. Daß ich einmal unter Höhenkrankheit leide, hätte ich mir nie vorgestellt.“
„Das gibt sich schon bald wieder, Jean.“ Hasard klopfte seinem alten Kampfgefährten aufmunternd auf die Schulter.
Pater Aloysius kramte in einer Kiste und brachte einen irdenen Topf zum Vorschein. Er nahm den Holzdeckel ab und sah hinein. Der Topf war bis obenhin mit grauweißer Salbe gefüllt.
„Hm, das riecht aber fein“, sagte Stenmark naserümpfend, „so nach Affenfett mit Schmierseife.“
„Dann darfst du auch den Anfang machen“, sagte der Pater lächelnd. „Nimm etwas von der Salbe auf die Finger und reibe dir damit das Gesicht ein.“
„Und wozu ist das gut?“ erkundigte sich Stenmark mißtrauisch.
Auch die anderen umstanden den Padre jetzt und hörten zu.
„Das ist eine fettige Salbe, die die Gesichter vor Sonnenverbrennungen schützt.“
Ein paar Männer lachten leise. Matt Davies schüttelte den Kopf.
„Das haben wir doch nicht nötig, Padre. Uns scheint die Sonne jahrelang ins Gesicht. Sie kann uns nichts mehr anhaben.“
„Oh, doch, sie kann und wird. Die Sonnenstrahlen, die aufs Meer fallen, sind nicht mit denen der Berge zu vergleichen. Ich kann euch nicht sagen, weshalb das so ist, aber es ist eine alte Erfahrung.“
„Hört auf den Padre“, riet Hasard, „und motzt nicht herum. Er weiß es mit Sicherheit besser als wir alle zusammen. Oder war einer der Gentlemen schon einmal in derartigen Regionen?“
Das mußten sie alle kleinlaut verneinen. Aber der Pater empfahl keine nutzlosen Sachen. Also gehorchten sie und fetteten sich nacheinander die Gesichter ein. Das Zeug roch auch nur am Anfang so merkwürdig. Nach ein paar Augenblicken spürte man den Geruch nicht mehr.
Pater David und Fred Finley rupften unterdessen etwas von dem polsterartigen Zeug aus und trugen es auf einen Haufen. Darüber wurde Holzkohle gestreut. Später, wenn es kälter wurde, sollte das Feuer entzündet und gleichzeitig das Essen gekocht werden.
Die Sonne wanderte weiter und verschwand kurz darauf hinter einer Felsengruppe. Sie war noch nicht richtig verschwunden, als es fast übergangslos auch schon unangenehm kalt zu werden begann.
Carberry zog fröstelnd die Schultern hoch.
„Verdammt lausig kalt“, sagte er. „Da können wir heilfroh sein, daß unser guter alter Will die pelzgefütterten Segeltuchjacken mit den Kapuzen genäht hat. Auf unseren Will sollten wir einen kleinen Schluck trinken. Oder was tut man in den Bergen gegen die Kälte, Bruder?“ wandte er sich fragend an Aloysius.
„Man trinkt einen“, sagte der Padre trocken, „oder auch zwei. Mehr sollte man jedoch tunlichst vermeiden.“
„Ha, da haben wir doch noch ein Wässerchen vom Kutscher. Wollen doch gleich mal sehen, ob das Zeug noch gut ist.“
„Jetzt einen – und einen, wenn es dunkel wird“, sagte Hasard. „Das wärmt dann noch einmal die Knochen auf.“
Sie tranken einen auf Will Thorne, die gute Seele der Mannschaft, der an alles gedacht hatte. Später wurden zwei Laternen entzündet, die mit ihrem Flackerschein das Plateau gespenstisch erhellten. Es war still und ruhig, bis auf das ständige Heulen des Windes, der unermüdlich um die Felsen strich.
Die Mulis waren dicht zusammengerückt und wärmten sich gegenseitig.
Der Wind wurde eisiger, beißender und noch kälter. Und er orgelte und pfiff jetzt um die Felsen herum.
Nach dem Abendessen gab es kein langes Palaver mehr. Jeder trank noch einen Schnaps und suchte dann eins der beiden Zelte auf.
Die Zeltplanen knatterten wie killende Segel, wenn der Wind böartig in sie hineinfuhr. Den Untergrund auf dem harten Gestein hatten sie mit Decken gepolstert, und mit den Felljacken deckten sie sich zu.
„Richtig gemütlich“, sagte Dan O’Flynn, „wenn es draußen lausig kalt ist und der Wind pfeift.“
Aber er erhielt keine Antwort mehr. Der Marsch hatte sie doch alle sehr mitgenommen. Sie waren solche Höhen nicht gewöhnt. Der einzige, der noch wach war und an dem alles anscheinend spurlos vorübergegangen war, war Pater Aloysius. Um Mitternacht stand er noch einmal auf und sah nach den Mulis.
Bis auf das Orgeln des Windes herrschte eine fast majestätische Stille hier oben. Pater Aloysius sah sich um. Über den fast schwarzen Linien der Berge leuchteten nur wenige Sterne. Die Nacht war kalt und klar.
Zwischen zwei Bergen, tiefer zum Horizont hin, stand als tröstliches Zeichen das helle Kreuz des Südens.
Da es auf eine Stunde mehr oder weniger nicht ankam, ließ Hasard die Männer ausschlafen, damit sie frisch und ausgeruht waren.
Aloysius und Pater David waren schon seit längerer Zeit wach und hatten ein Feuer entzündet.
Die Sonne war gerade aufgegangen, aber noch nicht zu sehen. Dafür leuchteten die Berge in unwahrscheinlichen Farben. Da gleißte es kupferfarben oder grellgelb, da blitzten kleine silbrige Kronen auf, deren strahlender Glanz fast unerträglich für die Augen wurde. Die Bergwelt hüllte sich in ein Kaleidoskop aus prächtigen Farben.
„Herrlich, so ein Sonnenaufgang“, sagte Pater David zu Hasard. „Unserem Freund geht es schon etwas besser. Er behauptet, seinetwegen könnten wir ruhig wieder weiterziehen. Aber Bruder Aloysius hat da noch Bedenken.“
„Dann bleiben wir noch einen weiteren Tag“, sagte Hasard. „Mir ist es lieber, wenn alle Männer frisch, ausgeruht und gesund sind.“
Aloysius hatte wieder dieses rätselhafte schnelle Lächeln drauf, das mitunter jedoch schlagartig aus seinem Gesicht verschwand.
„Darum geht es nicht allein. Wir könnten ernsthafte Schwierigkeiten kriegen, wenn wir den Weg fortsetzen. Kurz nach der Mittagszeit dürfte es in den Bergen ein Höllenspektakel geben.“
Hasard sah den Padre fragend an, denn er begriff nicht, was der mit dem Höllenspektakel meinte.
„Ein Gewitter“, erklärte Aloysius, „ein Berggewitter. Ich fühle das, ich kann es fast riechen. Die Luft ist heute anders.“
Hasard sah in den mattblauen Himmel, blickte auf die umliegenden Berge und sah nichts weiter als eine gigantische lautlose Explosion von Farben, die man nur sehr selten zu sehen bekam. Die Bergwelt schien zu brennen und in hellen Flammen zu stehen.
„Ein Gewitter?“ fragte er ungläubig.
Die ersten Männer waren erwacht und betraten das Plateau. Als sie die höhersteigende Sonne sahen, schwiegen sie beeindruckt. Das Farbenspiel war noch gewaltiger als auf dem Meer. Da glitzerten in weiter Ferne weiße Schneehänge wie Kristall in allen Farben. Wie der Schein funkelnder Diamanten gleißte es herüber.
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