„Ich beauftrage einen von ihnen mit der Sache!“
„Nein.“ Caligula schüttelte den Kopf. „So wie die Stimmung im Moment ist, können wir keinem mehr trauen, wenn wir ihn an Land setzen und sich selbst überlassen. Ich muß das erledigen, es geht kein Weg darum herum.“ Er ließ sich auf keinen Kompromiß ein. Er wollte die Angelegenheit selbst klären, auch wenn er jetzt an Bord der „Caribian Queen“ fehlte. Dieses Mal setzte er sich durch.
Die Queen tobte und beschimpfte ihn auf die unflätigste Weise, aber auch das nutzte nichts. Sie mußte nachgeben. Vielleicht ist es eine günstige Gelegenheit, dachte er, als er sich in seiner Kammer mit dem Nötigsten für den Ausflug versorgte. Vielleicht rafft sie sich endlich auf und verläßt ihre Kammer. Wenn die Kerle sehen, daß sie das Kommando wieder voll übernimmt, vergessen sie alles andere und blicken wieder zu ihr auf.
Er ahnte nicht, wie sehr er sich gerade in diesem Punkt täuschte. Er steckte sich kleine Säckchen mit Perlen in die Taschen und band sich eine Geldkatze um die Hüften. In Havanna konnte sich herausstellen, daß er Cariba freikaufen mußte, falls dieser sich in Gefangenschaft befand. Aber auch sonst würde er eine Verwendung für das Geld und die Perlen finden, dessen war er sicher.
Grinsend begab sich Caligula auf das Oberdeck. Die Black Queen schrie und tobte immer noch in ihrer Kammer, aber er kümmerte sich nicht darum. Er ließ das Boot abfieren und gab den Kerlen Befehle, wie sie sich während der Zeit seiner Abwesenheit verhalten sollten.
Das letzte, was er zu ihnen sagte, bevor er von Bord ging, war: „Und wenn auch nur einer von euch sich einbildet, er könne sich ein Ding wie Ross, Bragozo und Arco leisten, kann er schon jetzt sein letztes Gebet sprechen. Ich bringe jeden eigenhändig um, der hier große Töne spuckt.“ Er sah sie einen nach dem anderen drohend an, besonders Casco, den Kreolen. Dann enterte er ab.
Von der Black Queen verabschiedete er sich nicht. Das war ihm zu gefährlich. Vielleicht knallt sie mich ab, wenn ich nur die Tür öffne, dachte er. Wieder grinste er. Die Vorstellung von dem, was ihn in den Hafenkneipen von Havanna erwartete, besserte seine Stimmung.
Er nahm sich vor, die Chance wahrzunehmen und das „süße Leben“ in vollen Zügen zu genießen.
Joanna, eine der erfahrensten und hartgesottensten Hafenhuren von Havanna, lernte Caligula am Abend des 17. April in der Kaschemme „Malagena“ kennen. Sie zeigte nicht nur ein rein geschäftliches, sondern auch ein persönliches Interesse an diesem wilden, kraftstrotzenden Kerl, der ihr von Anfang an gut gefiel. An einem Ecktisch kam sie mit ihm ins Gespräch, und er grinste sie zwischen zwei tüchtigen Schlucken Rotwein herausfordernd an.
Blond gefärbt waren Joannas prachtvolle Locken, die ihr bis auf die Schultern fielen. Von Natur aus war sie dunkelhaarig. Ihre Wiege hatte im nördlichen Spanien gestanden. Sie hatte ein hübsches Gesicht mit einem verlockenden Kirschmund. Die herben Züge, die sich im Laufe harter und arbeitsreicher Jahre hinzugesellt hatten, überdeckte sie durch üppiges Pudern und grelle Schminke. Sie träumte davon, sich irgendwann zur Ruhe zu setzen oder vielleicht ein eigenes Hurenhaus zu eröffnen, in dem sie nur noch die „Mutter“ war, die die Geschicke ihrer Mädchen bestimmte. Aber irgendwie hatte sie den Eindruck, daß alles doch nur ein Wunsch bleiben würde. Die Realität sah anders aus.
Sie erwiderte Caligulas Grinsen mit einem honigsüßen Lächeln, dann fragte sie ihn nach seinem Namen. Er nannte ihn ihr, und auch sie sagte ihm, wie sie hieß.
„Wir beide könnten zusammen was auf die Beine stellen“, sagte er und lachte laut. Er griff nach ihr und zog sie zu sich heran. „Ich habe schon viele Gefechte überlebt, mein Täubchen.“
„So siehst du auch aus“, sagte sie und griff nach dem Becher, den er ihr füllte. „Ich glaube, du bist mein Fall. Bist du ein Galgenstrick oder ein ordentlicher Kerl?“
„Was geht dich das an? Frag nicht danach.“
„Du hast recht. Ein Fischer bist du bestimmt nicht. Das ist mir recht.“
„Warum?“
„Ich mag keine Fischer. Sie stinken nach Fisch.“
Caligula lachte dröhnend, und sie stimmte mit ein. Er zerrte sie auf seinen Schoß, und sie ließ es sich gefallen, daß er ihr eine Hand auf den Schenkel legte und kräftig zudrückte.
„Ihr Schwarzen sollt ja ganz besondere Qualitäten haben“, sagte sie.
„Willst du damit sagen, daß du noch nie mit einem schwarzen Mann ins Bett gegangen bist?“ fragte er zweifelnd.
„Es wird dich wundern, aber es stimmt“, erwiderte sie.
„Dann wird es Zeit“, sagte er mit heiserer Stimme.
Wenig später verschwanden sie in einem Hinterzimmer der Kaschemme. Caligula war viel zu fasziniert von Joannas Reizen und dem, was ihm bevorstand, um die beiden Männer zu bemerken, die ihn schon die ganze Zeit über beobachtet hatten.
Sie saßen an einem Tisch, der halb durch eine Säule des Kellergewölbes, in dem die Kneipe eingerichtet war, verdeckt wurde – Jörgen Brunn und Jussuf. Sie hatten sich ein Bier gegönnt. Für Jussuf war es eine Ausnahme, weil er sonst keinen Alkohol trank. Aber Allah, so meinte er, würde in diesem Fall schon mal ein Auge zudrücken oder woanders hinschauen.
Wie immer waren sie auch an diesem Abend unterwegs, um Informationen über Schiffe zu sammeln, die Havanna anliefen oder bereits zum Auslaufen bereit mit neuer Ladung im Hafen lagen. Jede Galeone konnte eine Beute für den Bund der Korsaren bedeuten, und die entsprechenden Nachrichten wurden durch Jussufs Brieftauben zur Schlangen-Insel übermittelt.
Dieses Informations-System funktionierte reibungslos und hatte sich bewährt – in beiden Richtungen. Auch der Seewolf und die Kameraden auf der Schlangen-Insel konnten auf diesem Weg Botschaften nach Havanna schicken, wo Arne von Manteuffel mit unerwartetem Erfolg sein Handelshaus eingerichtet hatte.
„Mann“, sagte Jörgen gedämpft. „Er ist es wirklich. Ich habe mich nicht getäuscht.“
„Caligula also“, murmelte Jussuf. „Der Unterführer der Black Queen. Gleichzeitig ihr Geliebter. Du hast mir ja alles erzählt.“
„Ja. Hör zu. Es kann nichts Gutes bedeuten, daß ausgerechnet der hier auftaucht.“
„Das hängt wahrscheinlich mit dem Kreolen zusammen, mit Cariba“, sagte Jussuf. „Cariba sollte Don Juan über die Schlangen-Insel unterrichten. Du meine Güte, sollte Caligula etwa das gleiche vorhaben?“
„Ich muß sofort Arne Bescheid sagen“, sagte Jörgen, der in höchstem Maß alarmiert und besorgt war. „Bleib du bitte hier und paß weiter auf ihn auf.“
Jussuf lächelte verhalten. „Er dürfte wohl ein Weilchen beschäftigt sein, dieser Caligula. Das heißt, daß ich mir die Zeit mit einem weiteren Bierchen vertreiben muß. Ob Allah mich dafür strafen wird?“
„Hör bloß mit deinem Allah auf.“
„Versündige dich nicht“, sagte Jussuf. Er war todernst. In solchen Dingen verstand er keinen Spaß. „Es könnte sonst sein, daß dich der Blitz trifft, ehe du Arne erreichst.“
„In Ordnung. Bis später also. Wir treffen uns in der Faktorei, ja?“
„Einverstanden“, erwiderte Jussuf.
Jörgen verließ die Kaschemme und schritt mit gezügelter Hast zur Faktorei. Immer wieder blickte er sich unauffällig nach allen Seiten um. Hatte Caligula Begleiter? Kerle aus der Mannschaft der Black Queen? Nein, es zeigte sich kein anderes Gesicht, das ihm von der Begegnung mit der „Caribian Queen“ her bekannt erschien. Vielleicht war Caligula wirklich allein.
Etwas später hockte Jörgen Arne im Kontor gegenüber und berichtete ihm, was Jussuf und er gesehen hatten.
„Verdammt“, sagte Arne. „Das ist ganz schlecht für uns. So ein Mist aber auch.“ Er war genauso alarmiert wie Jörgen – einmal wegen der Gefahr, von Caligula unter Umständen „enttarnt“ zu werden, falls man sich in Havanna über den Weg lief. „Und zum anderen, weil wir vermuten müssen, daß Caligula das gleiche Ziel verfolgt wie Cariba“, sagte er.
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