„Nein“, flüsterte Mescalin. „Das ist mir zu heiß. Ich bleibe an Bord.“
„Ich auch“, sagte Codaro gedämpft. „Und wir können der Queen und Caligula einen schönen Gruß von euch bestellen, wenn ihr wollt.“
„Erzähl keinen Mist“, zischte Ross. „Es bleibt dabei. Wir verfahren so, wie wir das besprochen haben.“
Codaro grinste immer noch. „Schlagt aber nicht zu fest zu.“
Ross ballte die rechte Hand und riß sie zur Antwort hoch. Er rammte sie Codaro unters Kinn, und dieser brach neben der Nagelbank des Großmastes zusammen. Mescalin schien einen Einwand erheben zu wollen, aber Bragozo hieb ebenfalls zu und fällte ihn. Bewußtlos blieben die beiden vor der Nagelbank liegen.
Ross winkte seinen Kumpanen zu. Sie durften keine Zeit verlieren. Ross hastete zum nächsten Niedergang und suchte das Logis auf. Hier stöberte er eine Weile herum und nahm mit, was er zu fassen kriegte – ein paar Silberlinge, zwei Dublonen, Pistolen, Messer und Munition. Das war mit Codaro und Mescalin nicht vereinbart worden, aber die beiden konnten dagegen keinen Protest mehr erheben.
Im Logis schlief alles. Ross hatte keinerlei Schwierigkeiten, im Schnarchen seiner Spießgesellen alle vereinnahmten Habseligkeiten einzustecken und wieder zu verschwinden.
Bragozo und Arco hatten unterdessen die zweite, kleinere Jolle der „Caribian Queen“ von ihren Zurrings befreit, vorsichtig hochgehievt und ausgeschwenkt. Sie bemühten sich, keinen Laut zu verursachen. Das gelang auch fast, nur ein leises Knarren der Taljen, durch die die Taue liefen, war zu vernehmen.
Als Ross wieder bei ihnen erschien und ihnen durch eine Gebärde zu verstehen gab, daß auch dieser Teil des Unternehmens geklappt hätte, fierten die beiden die Jolle bereits außenbords ab. Der Rest war ein Kinderspiel. Die Jakobsleiter wurde ausgebracht, dann enterten sie in die Jolle ab, verstauten ihr „Gepäck“ unter den Duchten, griffen zu den Riemen und legten ab.
Leise tauchten die Riemenblätter ein, und ebenso geräuschlos hoben sie sich wieder aus dem Wasser. Behutsam entfernten sich die drei. Sie behielten das Schiff, das in der Nacht noch unheimlicher als sonst wirkte, im Auge. Die ganze Zeit über rechneten sie damit, daß jemand unverhofft auftauchte und ihr Verschwinden meldete – vielleicht sogar Caligula höchstpersönlich.
Aber wider Erwarten trat dies nicht ein. Ross, Arco und Bragozo tauchten in der von leichten Nebelschleiern durchwirkten Nacht unter. Später setzten sie das Segel und gingen auf Kurs Nordwesten – in Richtung auf die Küste von Kuba, wo sie zunächst einmal zu landen gedachten. Ihr Plan war, die Jolle mit einem anderen Boot zu vertauschen, wieder bei Nacht. Die Jolle sollte versenkt werden. Sie würden keine Spuren hinterlassen, und der Queen und Caligula sollte es nicht gelingen, ihre Fährte irgendwo wiederaufzunehmen. So blieb die Rache aus, die Deserteuren und Meuterern drohte. Schon jetzt hatten Ross, Arco und Bragozo allen Grund zum Lachen.
Sie stießen sich gegenseitig an und grinsten, dann förderte Ross eine Flasche Rum zutage, die er aus dem Logis hatte mitgehen lassen.
„Auf ein gutes Gelingen!“ rief er, während er sie entkorkte und den ersten Schluck trank. „Und zur Hölle mit der Queen!“
„Und mit Caligula!“ stieß Bragozo hervor. Am liebsten hätte er Caligula noch ein Messer in die Brust gestoßen, bevor sie geflohen waren. Er konnte ihn schon seit langem nicht mehr leiden. Schlimmer noch – er haßte ihn.
Auch Arco trank und wünschte die „Caribian Queen“ samt ihrer Mannschaft zum Teufel. Was sie riefen, war in der versteckten Bucht nicht mehr zu hören. Inzwischen hatte die Jolle mehr als anderthalb Meilen Distanz zwischen sich und das Schiff gelegt.
Caligula erwachte im Morgengrauen, alarmiert durch die Rufe von Codaro und Mescalin. Die Kerle waren wieder bei Bewußtsein und spielten ihre Rolle weiter – als die Überrumpelten, die von ihren eigenen Kumpanen tätlich angegriffen und niedergeknüppelt worden waren.
Mit langen Sätzen eilte Caligula auf das Hauptdeck. Sein Gesicht war genauso, wie sich das Ross, Bragozo und Arco in ihren Phantasien ausgemalt hatten – von grenzenlosem Erstaunen gezeichnet. Erst nach und nach wich seine Betroffenheit einem unbändigen Gefühl der Wut.
Codaro rieb sich das Kinn, Mescalin zeigte eine Beule vor, die er durch den Hieb davongetragen hatte.
„Sie sind über uns hergefallen“, sagte Codaro. „Drei Mann. Wir hatten keine Chance. Sie haben sich von hinten angeschlichen. Zur Hölle, warum haben sie das getan?“
Caligula war zunächst sprachlos. Es fiel ihm auch nicht auf, daß Codaros Bericht einige Ungereimtheiten enthielt. Zum Beispiel erklärte Codaro übereinstimmend mit Mescalin, daß man sie von hinten angegriffen hätte, während doch die Spuren in ihren Gesichtern darauf hinwiesen, daß man sich ihnen von vorn genähert hatte. Solche feinen Einzelheiten entgingen Caligula.
„Wer?“ brüllte er nur – und dann platzte ihm der Kragen. Er packte die Neunschwänzige und drosch auf Codaro und Mescalin ein. „Ihr hättet besser aufpassen sollen, ihr Dreckskerle! Wir sprechen uns noch!“ Er stürmte übers Deck, enterte die Back, raste ins Logis hinunter und wußte wenig später Bescheid. Ross, Bragozo und Arco waren die Ausreißer, und sie hatten auch noch einiges mitgehen lassen, wie die fluchenden Kerle feststellten, als sie aus ihren Kojen kletterten.
Caligula tobte fluchend durchs ganze Schiff.
„Satanspack!“ brüllte er. „Bastarde! Ich hab’s geahnt! Aber jetzt ist Schluß! Wer rummotzt, kriegt was aufs Maul!“
Die Kerle hüteten sich, aufzubegehren. Sie waren jetzt ganz klein und besorgten schweigend die übliche Bordroutine: aufklaren und Reinschiff. Sie wußten, daß Caligula jetzt nicht zusätzlich gereizt werden durfte.
Caligula reagierte seine überschüssigen Kräfte ab. Er fluchte und polterte herum, und immer wieder fuhr er mitten zwischen die Kerle.
„Einfach abgehauen sind die Hunde!“ schrie er. „Soweit mußte es in diesem Sauhaufen ja kommen! Aber wenn noch einer quertreibt, hänge ich ihn eigenhändig an der Rahnock auf!“
Wenig später hatte er eine handfeste Auseinandersetzung mit der Black Queen, die zu wissen verlangte, was geschehen sei. Er schilderte nur kurz, was sich zugetragen hatte.
Dann schrie er: „Das ist nur passiert, weil die Kerle die Warterei satt haben! Und ich habe auch die Schnauze voll! Ich will wissen, was mit Cariba los ist, damit wir endlich wieder auslaufen können und nicht hier, in der elenden Scheiß-Bucht, vergammeln müssen!“
„Wohin willst du denn auslaufen?“ fuhr sie ihn an. Ihr Kopf ruckte dabei vor wie der einer Schlange, die auf ein Beutetier zuschnellt.
„Das weiß ich selbst nicht!“ brüllte er. „Irgendwohin! Nach Kuba, nach Hispaniola, tief in die Karibik! Auf zu neuen Beutezügen! Plündern und brandschatzen wollen wir, wozu sind wir sonst da?“
„Das frage ich mich auch!“ schrie sie. „Ein Narr wie du hat in meinen Augen kaum noch eine Existenzberechtigung, wenn er derart blödes Zeug daherredet! Die Hitze hat wohl dein Hirn ausgedörrt, was?“
„Das kann sein“, sagte er und knallte die neunschwänzige Katze auf das Pult der Kapitänskammer. „Aber mein Entschluß steht fest. Ich suche Cariba. Ich will jetzt klar sehen.“
„Nein, ich kümmere mich persönlich um die Angelegenheit“, erklärte er rigoros. „Wir müssen mit allem rechnen, auch damit, daß er uns verraten hat. Deshalb gehe ich nach Havanna und forsche nach, was passiert ist.“
„Das verbiete ich dir!“ schrie sie.
„Ich breche trotzdem auf.“
„Das ist Meuterei!“ Ihre Stimme war schrill, sie kreischte vor Wut.
„Du willst doch selbst, daß festgestellt wird, wo der Hurensohn abgeblieben ist“, sagte er. Je mehr sie sich aufregte, desto ruhiger wurde er. „Ich handle also in deinem Interesse, und von Meuterei kann keine Rede sein. Im Gegenteil. Sobald der Fall Cariba geklärt ist, atmet die Bande auf.“
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