Der Rudergänger reagierte auf einen Wink Valencias hin. Er war ein ruhiger und zuverlässiger Mann, der seine Sache verstand.
Die Galeasse schwang langsam herum und ging in den Wind. Jesus Valencia jagte die Männer auf die weit ausladenden Rahen. Er selbst lief auf dem Laufgang bis zum Großmast vor, als er den Schrei hörte, der vom Wind davongetragen wurde.
Er sah einen Schatten durch die Luft wirbeln, und dann hörte er durch das Jaulen und Toben des Windes, wie ein Körper aufs Wasser klatschte.
„Mann über Bord!“ brüllte eine entsetzte Stimme.
„Ruder hart Steuerbord!“ schrie Jesus Valencia zum Rudergänger auf der achteren Plattform hinüber.
„Nichts da!“ Die Stimme Juan de Faleiros schnappte über. „Wir gehen auf Kurs West!“
„Señor Capitán, ein Mann ist über Bord gegangen!“ schrie Carlos Mendez, der Zweite Offizier, der sonst nie etwas sagte.
„Kurs West!“ kreischte de Faleiro.
Die Ruderknechte begannen zu johlen und zu grölen. Diesmal war es nicht einer von ihnen, der vom Kapitän dem Tod ausgeliefert wurde, und sie verspotteten die Mannschaft der Galeasse, daß sie sich von einem skrupellosen Mörder schikanieren ließ.
„Sie können den Mann doch nicht einfach ersaufen lassen, Señor de Faleiro!“ sagte Carlos Mendez erschüttert.
„Warum hat er nicht besser aufgepaßt, der Idiot!“ stieß Juan de Faleiro hervor. „Wir können seinetwegen keine Zeit verlieren! Unsere Aufgabe ist es, die Feinde Spaniens zur Strecke zu bringen. Niemand wird mich daran hindern! Auch nicht ein Einfaltspinsel von Seemann, der nicht in der Lage ist, seine Arbeit ordentlich zu verrichten!“
Jesus Valencia war starr vor Schrecken. Er beugte sich vor und blickte in die aufgewühlte See, wo der über Bord gegangene Seemann treiben mußte. Doch er entdeckte nichts. Er wußte, daß sie den Mann auch nicht finden würden, wenn sie jetzt noch wendeten.
Er hatte Juan de Faleiro schon vorher richtig eingeschätzt, dennoch war er erschüttert über soviel Menschenverachtung. Er begriff einfach nicht, was in einem Menschen wie Juan de Faleiro vorging. Er mußte vom Satan besessen sein. Ja, das war es! Aber wie sollte er das jemals einer höheren Instanz beweisen?
Jesus Valencia blieb vorn am Großmast, als die Galeasse mit gekürzten Segeln wieder vor den Wind ging und Fahrt aufnahm.
Kurs war West. Hinter den Franzosen her, die längst im Dunkel der Nacht untergetaucht waren.
Die Seewölfe fühlten sich an Bord der „Mercure“ schon fast so heimisch wie auf der alten „Isabella“. Nur die anderen Kameraden fehlten ihnen und die Zwillinge. Carberry kriegte ganz feuchte Augen, als Bill fragte, wie es ihnen inzwischen wohl ergangen sei. Unruhig ging er auf der Kuhl hin und her, um die Gedanken an Hasard, Ben, Batuti und all die anderen abzuschütteln.
Der Sturm hatte etwas nachgelassen, aber der Wind blies immer noch kräftig. Die „Mercure“ rauschte nach Westen.
Carberry dachte an die spanische Galeasse, die auf sie gefeuert hatte. Er wurde das Gefühl nicht los, daß mit dem Schiff irgend etwas nicht stimmte. Aber wahrscheinlich täuschte er sich. Sicher waren sie hinter der Gewürzladung her, wie Pierre Delamotte vermutete.
Er ging zurück zu den anderen und hörte, wie der Kutscher Jack Finnegan und Paddy Rogers von der „Bloody Mary“ und ihrem Wirt Nathaniel Plymson vorschwärmte, wo sie sich alle wieder treffen würden.
Er winkte Ferris zu sich und sagte: „Glaubst du, daß die Dons die Verfolgung aufgegeben haben?“
Ferris schüttelte den Kopf.
„Das sind sture Böcke“, meinte er. „Wenn sie der ‚Mercure‘ von Damiette aus gefolgt sind, werden sie nach diesem kleinen Fehlschlag bestimmt nicht aufgeben.“
„Ganz meine Meinung“, sagte Carberry. „Was glaubst du, was Hasard in dieser Situation getan hätte?“
Ferris starrte Carberry überrascht an und nickte dann grinsend.
„Bestimmt nicht weiter Kurs West segeln“, erwiderte er.
„Genau!“ Carberry rieb sich über das Kinn. „Wir sollten vielleicht unserem neuen Captain ein paar Tricks verraten, bevor er sich von den Dons seine Ladung abnehmen läßt.“
„Keine schlechte Idee, Ed.“
„Auf was warten wir denn noch?“
Sie grinsten sich an und stiefelten über die Kuhl zum Aufgang des Achterdecks und kletterten hinauf.
Der Capitain unterhielt sich mit seinem Bootsmann. Ferris schnappte ein paar Brocken auf. Offensichtlich hatten sie über die Engländer an Bord geredet.
„Was gibt’s, meine Herren?“ fragte Pierre Delamotte.
„Wir haben ein bißchen über die Dons nachgedacht“, begann Ferris Tucker, „und überlegt, was wohl unser Alter, Captain Philip Hasard Killigrew, genannt der Seewolf, in dieser Situation getan hätte.“
„Und?“ fragte Delamotte.
„Das, was die Dons auf keinen Fall vermuten“, erwiderte Ferris Tucker. „Er würde gegen den Sturm aufkreuzen und nicht nach Westen unter vollen Segeln ablaufen.“
Pierre Delamotte überlegte einen Moment, dann verzog sich sein Gesicht zu einem breiten Grinsen. Mein Gott, dachte er, die sind mit allen Wassern gewaschen.
„In Ordnung“, sagte er.
Carberry drehte sich um und rief Stenmark aufs Achterdeck.
Und dann zeigten sie den Franzosen, was ein Seewolf darunter verstand, einen blitzsauberen Kreuzkurs zu segeln. Stenmark nutzte jede Bö, zum höheren An-den-Wind-Gehen, und fiel rechtzeitig wieder ab, um voll zu fahren.
Pierre Delamotte lachte das Herz im Leibe. Er war bisher immer der Meinung gewesen, eine ziemlich gute Mannschaft zu haben, doch jetzt mußte er erkennen, daß es noch wesentlich Besseres gab.
Diese Seewölfe, wie sich die Engländer selbst nannten, waren Spitzenklasse. Er hatte schon ein paarmal mit dem Gedanken gespielt, die Männer an seiner Ladung zu beteiligen, um sie zu bewegen, bei ihm an Bord der „Mercure“ zu bleiben, aber aus ihren Gesprächen untereinander hatte er herausgehört, daß sie nur ein Drittel einer verschworenen Gemeinschaft waren und sich bald selbst wieder ein eigenes Schiff besorgen wollten.
Ferris Tucker stand noch immer neben dem Kapitän auf dem Achterdeck. Er las dem Franzosen seine Gedanken vom Gesicht ab. Ein Lächeln glitt über sein Gesicht. Ja, sie waren schon ein Haufen, der dem Teufel die Barthaare absegeln konnte. Aber sie waren nicht zu kaufen. Unter Philip Hasard Killigrew hatten sie gelernt, freie Männer zu sein, und das würde keiner von ihnen wieder aufgeben. Ferris war wohl überzeugt, daß Pierre Delamotte ein guter Kapitän war, aber was bedeutete das gegen die Freundschaft, die sie mit Hasard verband?
„Haben Sie eigentlich leere Flaschen an Bord?“ fragte Ferris aus seinen Gedanken heraus.
Pierre Delamotte starrte den Engländer an, als sei der plötzlich übergeschnappt.
„Wozu denn das?“ fragte er.
„Auch eine Angewohnheit unseres Kapitäns auf der ‚Isabella‘, bevor sie uns in dem alten Ptolemäer-Kanal absoff“, sagte Ferris. „Wir stellen Bomben daraus her.“
„Bomben?“ fragte Delamotte konsterniert.
Ferris nickte.
„Die Flaschen werden mit gehacktem Eisen und Pulver gefüllt“, erklärte er. „Dann werden sie mit einer Lunte verdämmt, angezündet und auf den Weg gebracht. Am besten mit einem Katapult, damit sie weit fliegen. Die Dinger funktionieren vorzüglich. Wir haben bisher die besten Erfahrungen damit gemacht.“
Der Kapitän blickte noch skeptisch, dann winkte er den Bretonen heran und befahl ihm, alles, was sie an leeren Flaschen an Bord hatten, zusammenzutragen.
„Auch die vollen Flaschen?“ fragte der Bretone grinsend.
„Leere, habe ich gesagt“, erwiderte Delamotte unwillig.
„Wir können sie ja vorher aussaufen“, meinte der Bretone, zuckte aber mit den Schultern, als er den Blick seines Kapitäns sah.
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