Blitzartig begriff Dan.
„Vorsicht, Shane!“ brüllte er.
Während sich der grauhaarige Schmied geistesgegenwärtig zur Seite warf, riß er den Degen hoch und hechtete mit einem gewaltigen Satz, der die Jolle weit nach Backbord krängen ließ, zur Heckducht.
In diesem Augenblick zuckte die Hand mit dem Messer nach vorn, um dem verhaßten Engländer den Todesstoß zu geben.
Da sich Shane aber zur Seite geworfen hatte, schoß die Klinge an seiner linken Schulter vorbei und riß ihm den Wamsärmel in Fetzen.
Der Pirat schaffte es nicht mehr, seinen heimtückischen Angriff zu wiederholen, denn der Degen Dan O’Flynns fuhr ihm in die Brust und ließ ihn mit einem Aufstöhnen ins Wasser zurücksinken. Wie es aussah, würde er keine Hand mehr zum Meuchelmord erheben.
Die übrigen Seewölfe hatten den kurzen Kampf mit entsetzten Gesichtern verfolgt. Alles war viel zu schnell erfolgt, als daß sie noch Zeit zum Eingreifen gefunden hätten. Shane schien rettungslos verloren zu sein.
Nun aber war die Gefahr gebannt.
„Danke, Dan“, sagte Shane.
„Keine Ursache“, erwiderte Dan O’Flynn. „Ich konnte lediglich einen zweiten Dolchstoß verhindern. Den ersten hättest du voll abgekriegt, wenn du nicht so geistesgegenwärtig reagiert hättest.“
„Mag sein“, sagte Shane, „aber zu dieser Reaktion wäre es nie gekommen, wenn du mich nicht rechtzeitig gewarnt hättest.“
„Schon gut“, wehrte Dan ab. „Wir sollten jetzt lieber wieder pullen, sonst können wir das Schinkenklopfen gleich fortsetzen. Die anderen Beutelschneider müssen in der Nähe sein.“
Gleich darauf setzte sich die Jolle wieder in Bewegung. Tatsächlich vernahmen sie wenige Minuten später laute Rufe. Die Piraten, die noch immer suchend in der Gegend herumpullten, mußten den Lärm des Kampfes gehört haben und wollten jetzt sicherlich ihren Kumpanen zu Hilfe eilen.
Die Stimmen rückten ständig näher.
„Wir fallen nach Steuerbord ab“, entschied Big Old Shane.
Aber dazu war es bereits zu spät.
Ein Boot schoß wie ein dunkles Ungeheuer aus der Nebelmasse hervor und hielt direkt auf den Bug der Jolle zu. Gleichzeitig setzte ein wildes Gebrüll ein. Jetzt, nachdem es bereits etwas heller geworden war, hatten die Piraten rasch erkannt, daß es sich bei der Jolle nicht um eines ihrer Boote handelte.
Ein weiterer Kampf war nicht mehr zu umgehen.
„Wir benutzen zuerst die Riemen!“ rief Big Old Shane. „Schußwaffen werden nur dann eingesetzt, wenn es sich nicht mehr umgehen läßt. Dafür wird auch Hasard Verständnis haben.“
„Das wäre ja gelacht, wenn wir diese verdammten Schlickrutscher nicht schaffen würden“, knurrte Paddy Rogers. „Notfalls reiße ich die Duchten raus und haue sie diesen Ratten auf die Eierköpfe.“
Den Seewölfen blieb nicht viel Zeit, den bevorstehenden Kampf gegen die schwedischen Piraten vorzubereiten. Das Boot der Angreifer schoß pfeilschnell auf sie zu.
Big Old Shane und seine Mannen hatten bereits mit dem Pullen aufgehört und die Riemen aus den Dollen genommen.
Das Gebrüll der Angreifer wurde immer lauter. Die Seewölfe wußten nur zu gut, daß dieser Lärm auch das dritte Boot der Schnapphähne herbeilocken würde.
„Was brüllen die da eigentlich?“ Sam Roskill blickte Stenmark fragend an.
„Das erzähl ich dir lieber nicht“, erwiderte dieser grinsend, „sonst kriegst du glatt Minderwertigkeitsgefühle.“
Big Old Shane erhob sich von der Heckducht.
„Der Tanz beginnt, Leute! Laßt sie nur nahe genug heran. In dem Augenblick, in dem sie zu entern versuchen, geben wir ihnen was auf den Scheitel.“ In seinen mächtigen Pranken hielt er einen Bootsriemen und sah den Dingen, die da kommen sollten, gelassen entgegen.
Das Boot der Piraten schor längsseits, und die Seewölfe ließen das auch geschehen. Mit lautem Wutgeheul schickten sich die ersten Galgenstricke an, auf die Jolle hinüberzuspringen. Auch sie waren mit Blankwaffen jeder Art sowie mit Äxten, Spaken und Riemen bewaffnet.
Da aber traten die Seewölfe in Aktion.
„Ar-we-nack!“ brüllte Big Old Shane mit donnernder Stimme. Seine Crew wiederholte den alten Schlachtruf derer von Arwenack-Castle, der zum Kampfruf der Seewölfe geworden war.
Dann brach augenblicklich die Hölle über die Schweden herein.
Den ersten Ansturm wehrten die Männer von der „Isabella“ mit den schweren Riemen ab. Diesmal war es Mac Pellew, der damit den ersten Angreifer über Bord stieß. Sein ewig griesgrämiges Gesicht sah dabei aus, als habe er soeben einen ganzen Essigkrug ausgetrunken.
Im Nu krachte Holz gegen Holz, dazwischen war das Klirren der Hieb- und Stichwaffen zu hören.
Big Old Shane hatte sich einem nordischen Kleiderschank mit wildem, blondem Bartgestrüpp zugewandt. Der Kerl schwang ein Enterbeil über dem Kopf und war sich wohl noch nicht recht über den Einsatzort der Waffe im klaren.
Shane nahm ihm die Entscheidung ab, indem er mit dem Riemen, den er in den Fäusten hielt, blitzartig zuschlug. Einen Lidschlag später erwischte er damit die Waffe des Schweden und prellte sie ihm aus der Hand.
Während das Enterbeil einem anderen Piraten, der nur zwei Schritte von seinem Kumpan entfernt war, gegen den Kopf knallte, stieß der blonde Kleiderschrank einen fast tierischen Wutschrei aus, hechtete über die Dollborde und warf sich Big Old Shane mit den blanken Fäusten entgegen. Er hatte sich nicht einmal die Zeit genommen, nach seinem Messer zu greifen.
Doch Shane war auf den Angriff vorbereitet. Mit einer raschen Bewegung riß er abermals den Riemen hoch und rammte ihn dem Piraten kraftvoll gegen die Brust.
Dem Bärtigen entwich keuchend die Luft aus den Lungen, dann stürzte er kopfüber in sein Boot zurück – mitten hinein in das wilde Kampfgetümmel.
Neben Shane hatte Dan gerade einen der Angreifer mit einem harten Fausthieb auf die Planken geschickt. Dann packte er den Kerl, der die Jolle geentert hatte, und wuchtete ihn auf das Piratenboot zurück. Dabei prallte der schlaffe Körper des Besinnungslosen gegen einen kleinen, kugelrunden Burschen, der mit hoher Fistelstimme irgendwelche Befehle keifte, und ließ ihn rückwärts über Bord gehen.
Stenmark war in einen Degenkampf verwickelt. Da er das Duell jedoch nicht zu lange ausdehnen wollte, provozierte er einen geschickten Ausfall seines Gegners. Der Pirat, ein stämmiger, aber flinker Mann, nutzte die vermeintliche Chance sofort und wollte Stenmark mit einem lauten Wutschrei den Degen in die Brust stoßen.
Doch der glitt blitzschnell zur Seite, so daß der Pirat seinen Degen ins Leere stieß. Dabei wurde der stämmige Kerl durch die Wucht seines eigenen Ausfalls nach vorn gerissen.
Und das wurde ihm zum Verhängnis.
Stenmark wuchtete ihm die Fäuste in den Nacken und beförderte ihn damit über Bord der heftig schaukelnden Jolle.
Auch die anderen Seewölfe waren voll beschäftigt, so daß schon nach kurzer Zeit die meisten Piraten entweder schlaff über den Duchten ihres Bootes hingen oder aber im eiskalten Wasser des Kattegats ein Bad nahmen.
Big Old Shane hatte den Riemen längst gegen seine Langaxt ausgetauscht und mit seiner sachkundigen „Handwerksarbeit“ am Boot der Angreifer begonnen. Die kraftvollen Axthiebe dröhnten laut über das Wasser, Holz splitterte und krachte – und im Handumdrehen soff das Boot ab.
„Mit diesem Nachttopf jagen die keine ehrlichen Seeleute mehr!“ schnaufte Shane wütend. „Da zahlt man ehrlich diesen verrückten Sundzoll, nur um seine Ruhe zu haben, und dann muß man sich noch bei Nacht und Nebel mit diesem Pack herumschlagen.“
Aber wenn der graubärtige Riese gedacht hatte, daß der Ärger nun vorbei wäre, dann hatte er sich gewaltig getäuscht.
Das dritte und letzte Boot der Schweden befand sich in unmittelbarer Nähe. Und der Lärm des wilden Kampfes hatte der Besatzung den Standort der Engländer verraten.
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