Das Boot schoß genau in dem Augenblick auf die Jolle zu, in dem das andere sank. Sofort schwammen einige der wüsten Kerle, die den Kampf überstanden hatten, auf ihre Kumpane zu. Doch die nahmen sich zunächst nicht die Zeit, ihre Leute aus dem Wasser zu fischen. Jetzt, als man die Jolle der Engländer endlich geortet hatte, durfte man keine Zeit verlieren, sonst verschwanden die Kerle am Ende wieder im Nebel.
Auch dieses Boot war mit acht Männern besetzt, die fest entschlossen waren, die Engländer auf keinen Fall entwischen zu lassen. Wenn es diesen nämlich gelang, mit ihrer Jolle zu der großen Galeone zurückzukehren und die Besatzung zu wahrschauen, dann würde ihnen wahrlich ein fetter Brocken durch die Lappen gehen.
Ein neuer Kampf war demnach unvermeidlich.
Die Seewölfe hatten sich ebenfalls darauf eingestellt, auch noch den Schnapphähnen im letzten Boot auf die Finger klopfen zu müssen. Bis jetzt hatten sie das ohne Schußwaffen geregelt, und das war ihnen nur recht so. Auf ihren Fahrten über die Weltmeere waren sie schon wesentlich härteren Situationen ausgesetzt gewesen, dagegen war das hier nur eine handfeste Keilerei für sie – allerdings eine nicht ungefährliche Keilerei.
Nachdem die Piraten mitgekriegt hatten, was mit dem anderen Boot geschehen war, stürzten sie sich wie Wölfe auf die Arwenacks. Im Nu war ein harter Nahkampf im Gange, der zumindest von der Seite der Schweden aus ohne jede Fairneß geführt wurde. Die wilden Burschen kämpften verbissen und mit den übelsten Tricks. Dennoch mußten sie rasch feststellen, daß die Engländer nicht so leicht zu übertölpeln waren.
Der Kampf wurde noch härter, als die Schweden von ihren heranschwimmenden Kumpanen Verstärkung erhielten. Einige der Kerle aus dem bereits gesunkenen Boot hatten den Schauplatz bereits erreicht und sich keuchend an Bord ihrer „letzten Bastion“ gezogen. Nun beteiligten sie sich am Kampfgetümmel.
Diesmal mußten auch die Seewölfe einiges einstecken. Harte Beulen, Schrammen, Kratzer und Fleischwunden ließen sich nicht vermeiden, denn die Angreifer waren in der Überzahl.
Die erste Verletzung kriegte Jack Finnegan ab. Durch einen Degenstoß wurde ihm am linken Oberschenkel die Hose zerfetzt und eine Fleischwunde gerissen.
Der bullige Paddy kriegte einen wuchtigen Hieb mit einem Riemen auf den Schädel, der selbst einen Elefanten umgeworfen hätte. Der Mann mit der Knollennase sackte mit einem Ächzen zusammen und hockte einen Augenblick lang benommen und bewegungslos auf der vorderen Ducht. Nur ein gewaltiger Fußtritt Sam Roskills verhinderte, daß Paddy in dieser Verfassung von einem üblen Messerstecher erledigt wurde.
Mac Pellew ging durch einen Fausthieb über Bord, aber er tauchte nur kurz weg und zog sich am Heck wieder in die Jolle.
Da Big Old Shane alle Hände voll zu tun hatte, beschloß der alte Mac, den Schweden das kühle Bad heimzuzahlen. Flink packte er die Langaxt Shanes, der gerade seine mächtigen Pranken einsetzte, und hieb mit aller Kraft, die in ihm steckte, zu.
Sein sauertöpfisches Gesicht strahlte plötzlich wie ein frischgebackener Kuchen, als das erste Wasser in das Piratenboot schoß. Mac hatte zwar einige Hiebe mehr als Shane aufwenden müssen, aber er hatte die gleiche Wirkung erzielt.
Rasch packte er sich nun einen Riemen und stieß die Jolle, so gut es ging, von dem sinkenden Boot ab. Dabei gingen zwei weitere Galgenvögel über Bord. Einer davon versuchte zwar, über das Dollbord der Jolle einzusteigen, aber da klopfte ihm der erboste Paddy Rogers so kräftig auf die Finger, daß er das kalte Wasser vorzog.
Auch das letzte Boot der Piraten sank unaufhaltsam, dafür hatte Mac Pellew gesorgt. Dadurch veränderte sich die Situation schlagartig. Der Kampfgeist der wenigen überlebenden Piraten sank auf den Nullpunkt, und damit war der Kampf entschieden.
So rasch es ging, räumten die Seewölfe das Feld.
„Wie sieht es mit deinem Bein aus?“ fragte Shane den hageren Jack Finnegan.
Der winkte ab.
„Nicht der Rede wert. Nur die Hose ist im Eimer. Der kleine Kratzer wirft mich schon nicht um.“
„Und mir macht das kleine Beulchen auf dem Kopf auch nichts aus“, fügte Paddy hinzu und deutete auf ein mächtiges Gewächs, das sich ständig zu vergrößern schien.
„Ich werde mich darum kümmern“, meinte Mac Pellew, dem das Wasser noch immer aus allen Knopflöchern tropfte.
Als die Seewölfe jetzt wieder am Pullen waren, fiel ihnen auf, daß sich die Sicht wesentlich verbessert hatte. Obwohl keiner von ihnen wußte, wie spät es war, sahen sie doch, daß die Nacht sich verzogen hatte. Es war hell, und der Nebel schien sich rasch aufzulösen.
„Ein Königreich für ein kräftiges Frühstück“, stöhnte Sam Roskill. „Ich schätze, daß wir bald zur ‚Isabella‘ zurückfinden, wenn erst der Nebel verschwunden ist.“
„Das will ich doch hoffen“, meinte Dan O’Flynn. „Vor den Schnapphähnen werden wir vorerst wohl Ruhe haben. Die Hucke haben sie jedenfalls ordentlich vollgekriegt. Drei Boote haben sie verloren, und die fünf anderen, die Shane schon an Land bearbeitet hat, werden ihnen vorerst auch keine Freude mehr bereiten.“
Big Old Shane nickte grimmig.
„Das Kappen unserer Ankertrosse hat ihnen nichts eingebracht, das dürfte wohl feststehen.“
Da der Wind noch immer auf sich warten ließ, legten sich die Männer kräftig in die Riemen, um die Jolle voranzutreiben.
Der Nebel hatte sich längst verzogen, und fast hatte es den Anschein, als wolle sich jetzt, in dieser frühen Morgenstunde des 9. Februar 1593, ein erster schüchterner Sonnenstrahl durch die Wolkendecke wagen.
Es war acht Uhr, und die Schiffsglocke der „Isabella“ glaste gerade, als Big Old Shane und seine Männer mit kräftigen Schulterhieben an Bord empfangen wurden. Irgendwie mußte jeder seine Erleichterung über die Rückkehr der Kameraden zum Ausdruck bringen.
Auch dem Seewolf, der vom Quarterdeck zur Kuhl abgeentert war, fiel ein tonnenschwerer Stein vom Herzen, als er die Männer erblickte.
„Ihr seht nicht gerade aus, als hättet ihr eine ruhige Nacht gehabt“, stellte er mit einem Lächeln fest.
„Haben wir auch nicht“, erwiderte Old Shane. Dann gab er einen kurzen Bericht, ohne jedoch etwas Wesentliches auszulassen.
„Es ist kein einziger Schuß gefallen“, hob Old Shane hervor. „Wenn man mal von dem Zorn absieht, der mich drüben an der Küste packte, dann mußten wir uns nur unserer Haut erwehren.“
Der Seewolf billigte das Verhalten Shanes, denn auch er war davon überzeugt, daß die Schweden beim Kappen der Ankertrosse die Hände im Spiel hatten. Wäre die Rechnung der Schnapphähne aufgegangen, dann hätte das böse für die „Isabella“ und ihre Crew enden können.
Der Kutscher kümmerte sich sofort um das leibliche Wohl der Jollenbesatzung. Paddy kriegte eine übelriechende, schwarze Salbe auf die Beule, Jack einen Verband um den Oberschenkel, und der alte Mac war in erster Linie an trockener Kleidung interessiert – und natürlich noch mehr an dem deftigen Frühstück, das der Kutscher wenig später mit Hilfe der Zwillinge auftischte.
Die Jolle hatte man gleich außenbords belassen, weil sie nach dem morgendlichen Backen und Banken von einer anderen Crew unter dem Kommando Edwin Carberrys übernommen werden sollte, um mit einem Draggen an der früheren Ankerstelle nach dem Backbord-Buganker zu fischen.
Natürlich waren auch Philip und Hasard junior dabei. Der Seewolf hatte wohl oder übel zu seinen Worten, die er in der vergangenen Nacht geäußert hatte, stehen müssen. Die beiden Schlitzohren hatten sich nur zu genau gemerkt, was er gesagt hatte.
Nachdem das Suchen nach dem verlorengegangenen Anker begonnen hatte, ging auch die „Isabella“ ankerauf, um ihren Standort in die unmittelbare Nähe der ersten Ankerstelle zu verlegen.
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