Big Old Shane stieß die Luft aus.
„Das ist ja noch mal gutgegangen“, sagte er mit gedämpfter Stimme. „Jedenfalls wissen wir jetzt, daß wir es nicht mit Dänen, sondern mit Schweden zu tun haben.“
„Glückssache“, sagte Stenmark ungerührt. „Und da Schwedisch meine Muttersprache ist, wird der Trick auch noch öfter klappen.“
„Da bin ich mir nicht so sicher“, meinte Shane.
„Aber ich“, sagte Stenmark und wischte sich eine blonde Haarsträhne aus der Stirn. „Oder glaubst du etwa, die Kerle in den anderen Booten sind schlauer als die, die wir eben geleimt haben?“
Shane blieb weiterhin skeptisch. „Kann schon sein, daß die Galgenstricke alle Stroh hinter der Kimm haben. Trotzdem möchte ich mich da nicht unbedingt festlegen.“
Vorsichtig tauchten die Seewölfe die Riemen in das nachtschwarze Wasser. Die Dunkelheit begann sich jetzt, in den frühen Morgenstunden langsam zurückzuziehen, wodurch die dichte Nebelwand in ein helleres Grau überging.
„Hoffentlich hören die nicht meinen Magen knurren“, ließ sich nun Paddy Rogers vernehmen. „Wenn ich daran denke, daß uns der Kutscher für heute auch ein dänisches Frühstück versprochen hat, dann möchte ich am liebsten zur ‚Isabella‘ zurückschwimmen.“
„Das ist eine fabelhafte Idee“, meinte Jack Finnegan. „Wenn du die ersten Kombüsendüfte riechst, schwimmst du los und zeigst uns die Richtung. Wenn du mit deinem Knollen im Gesicht hoch genug an den Wind gehst, müßtest du das Frühstück nach menschlichem Ermessen wittern können.“
„Psst!“ unterbrach Dan das leise geführte Gespräch. „Da ist wieder ein Boot!“
Jetzt nahmen es auch die anderen wahr, wenn auch nur in Umrissen.
„Na, dann los“, wandte sich Big Old Shane an Stenmark. „Vielleicht kannst du sie noch einmal leimen.“
Stenmark war von der Wirksamkeit seiner Methode überzeugt. Er ließ das Boot gar nicht erst näher heran, sondern legte sofort die Hände trichterförmig an den Mund und brüllte die Piraten an.
„He, ihr da!“ tönte es in astreinem Schwedisch über die Wasserfläche. „Haltet euch mehr nach Steuerbord. Dort wurden die Kerle vor wenigen Minuten gesichtet. Schlagt ihnen die Schädel ein!“
„Und ob wir das tun!“ dröhnte eine Stimme zurück. Dann verschwand auch dieses Boot hinter der grauen Nebelwand.
Stenmarks Mund verzog sich zu einem breiten Grinsen. Seine hellen Augen blitzten.
„Na, hab ich vielleicht zuviel versprochen?“ fragte er. „Wenn der Reigen so weitergeht, spielen die Kerle mit sich selber Haschmich.“
„Richtig Spaß macht das erst, wenn sie sich gegenseitig über Bord werfen“, sagte Dan.
Schweigsam pullten sie weiter in die Richtung, in der sie die ankernde „Isabella“ vermuteten.
Außer den Geräuschen, die die Riemen verursachten, drangen zeitweise schwache Wortfetzen an ihre Ohren. Die Verfolger waren also immer noch in der Nähe. Deshalb ließen die Seewölfe, die ihre Jolle mit zügigen Riemenschlägen vorantrieben, die immer heller werdende graue Mauer keine Sekunde aus den Augen. Besonders Dan, der den scharfen Blick eines Adlers hatte, suchte konzentriert die Umgebung ab und versuchte gleichzeitig, die Richtung zu bestimmen, aus der der schwache Wind wehte. Dieser reichte noch nicht aus, um das Segel wieder setzen zu können.
Einige Minuten lang ereignete sich nichts, aber dann wahrschaute Dan O’Flynn die kleine Crew erneut.
„Verdammt!“ zischte er. „Da tauchen schon wieder welche auf.“
Big Old Shane horchte und starrte mit düsterem Gesicht in die dunstige Masse.
„Mehr als drei Boote habe ich diesen Geiern nicht übriggelassen“, sagte er. „Wenn das jetzt das dritte ist, haben wir sie alle durch.“
„Das laß mich mal regeln“, erklärte Stenmark siegessicher. „Ich werde ihren Kurs schon etwas korrigieren.“
Sobald die Konturen des Bootes deutlicher zu sehen waren, griff der blonde Schwede abermals in seine Trickkiste.
„He, Leute!“ brüllte er. „Ihr müßt euch mehr nach Backbord halten. Dort muß die mickrige Jolle sein.“
„Nichts da!“ lautete die Antwort. „Da hat uns vorhin schon so ein Blödmann hingeschickt. Warst du das vielleicht?“
Die Besatzung des Piratenbootes änderte ihren Kurs nicht, sondern pullte direkt auf die Jolle zu.
„So ein Pech!“ zischte Shane. „Das sind die mit dem ersten Boot. Und die lassen sich von uns nicht ein zweites Mal an der Nase rumführen.“
Stenmark stieß ein äußerst unfeines Wort hervor, dann versuchte er, das drohende Unheil noch abzuwenden.
„Ich weiß nicht, was du meinst!“ rief er zurück. „Ich war das jedenfalls nicht. Ihr solltet euch wirklich nach Backbord halten, sonst entwischen uns die Bastarde!“
„Von wegen!“ tönte es zurück. „Wir haben keine Lust, ständig im Kreis zu pullen.“
Das Piratenboot hielt nach wie vor direkt auf die Jolle der Seewölfe zu. Die Schweden schienen mißtrauisch geworden zu sein. Wie es aussah, hatten sie die Absicht, sich die vermeintlichen Kumpane etwas näher anzusehen.
Die Seewölfe waren sich darüber im klaren, daß es jetzt Ärger geben würde. Ein eiliges Davonpullen schied aus, dazu waren die Kerle schon zu nahe heran. Außerdem würden sie dadurch erst recht verdächtig sein. Die Kerle würden dann vermutlich durch Lärm versuchen, ihre Kumpane herbeizurufen. Die sieben Seewölfe aber hatten nicht die geringste Lust, sich mit drei Bootsbesatzungen gleichzeitig herumzuschlagen.
Dan konnte bereits erkennen, daß sich acht Männer in dem Boot befanden.
„Greift euch was Handfestes, Leute“, sagte Shane leise. „Aber bitte keine Schußwaffen, sonst haben wir gleich die ganze Meute am Hals.“
Unauffällig und ohne jede Hast stellten sich die Seewölfe auf die Begegnung mit den Schnapphähnen ein.
Das Piratenboot schob sich von achtern her längsseits der Jolle. In diesem Augenblick schienen die Kerle auch schon zu begreifen, wen sie vor sich hatten.
Ein ellenlanger schwedischer Fluch drang zu den Seewölfen hinüber, dann wurde es auf dem Boot plötzlich lebendig. Die verluderten Kerle schnatterten überrascht durcheinander und griffen in Windeseile nach ihren Waffen. Einige sprangen bereits von den Duchten hoch, als hätte ihnen jemand mit einer Nadel in den Hintern gepiekst.
Doch Big Old Shane und seine kleine Truppe waren darauf vorbereitet.
„Los, Männer!“ rief Shane mit Donnerstimme. „Spielen wir mit diesen Rübenschweinen Schinkenklopfen!“
Was der graubärtige Riese damit meinte, sollten die Piraten sofort zu spüren kriegen.
Vier Riemen der Jolle zischten durch die Luft – und gleich darauf wurden vier der düsteren Gestalten von den Duchten gefegt. Zwei davon gingen mit lautem Gebrüll über Bord und zwei sanken durch die Wucht der Hiebe wie schlaffe Mehlsäcke zwischen die Duchten und rührten sich nicht mehr.
Einer der Schweden hatte sich auf die Heckducht geschwungen und fuchtelte – laute Kommandos brüllend – mit einem Enterbeil in der Luft herum.
Doch bevor er irgendeinen Schaden mit dieser gefährlichen Waffe anrichten konnte, traf ihn Paddys Riemen wie ein Rammbock gegen die Brust. Er schrie auf, dann warf er die Arme hoch und kippte ebenfalls über Bord.
Die drei anderen Schnapphähne hatten sich mit Sam Roskill, Stenmark und Dan angelegt. Sie drangen mit wütenden Flüchen auf die Seewölfe ein und versuchten, diesen mit Cutlassen und Degen zuzusetzen.
Da aber waren sie an die Falschen geraten, denn die Seewölfe verstanden es meisterhaft, diese Attacken zurückzuschlagen.
Big Old Shane aber kürzte diesen Kampf auf seine Art ab. Er hatte sich eine mächtige Langaxt gegriffen, und damit zertrümmerte er in bewährter Manier den Spiegel des Piratenbootes.
„So, Freunde, jetzt gibt’s gleich nasse Füße!“ brüllte er.
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