Die „Isabella“ lag bei dem Wind aus Süden und dem nach Norden setzenden Sundstrom parallel zu der etwa achtzig Yards entfernten Küste, die hier fast in Nord-Süd-Richtung verlief und zahlreiche Steilhänge aufwies.
Backbord voraus peilte ein hoher spitzer Fels als Landmarke und Backbord, etwas achterlicher als dwars, diente eine riesige Tanne als Peilobjekt. Beide Landmarken konnten vom Ruderhaus aus gut gepeilt werden.
Der nun fast fünfundzwanzigjährige Bill, der seine Laufbahn bei den Seewölfen einst als Schiffsjunge begonnen hatte, hob schnuppernd die Nase. Der Wind trug himmlische Wohlgerüche zu ihm herüber, und zwar aus jener Richtung, in der sich die Kombüse befand.
„Diese Düfte verursachen bei mir Magenkrämpfe“, sagte er zu Bob Grey. „Dabei dachte ich schon, mein Magen sei bei dieser lausigen Kälte längst eingefroren. Jetzt aber taut er überraschend schnell auf.“
Bob Grey lief ebenfalls das Wasser im Mund zusammen.
„Ausgerechnet jetzt, wenn es Zeit zum Backen und Banken ist, müssen wir Wache gehen“, maulte er. „Und gerade heute abend will uns der Kutscher mit einer dänischen Spezialität verwöhnen.“
Bill rieb sich die Hände.
„Und was ist das für eine Spezialität?“
„Es gibt gebratenen Dorsch und gekochten Lachs – beides nach dänischer Art zubereitet. Das Rezept stammt von Nils.“
„Ogottogott!“ Bill seufzte mit lüsternen Augen, und er sah in diesem Augenblick aus, als habe er seit Tagen erbärmlichen Hunger gelitten.
Der graue Dunstschleier hatte sich bei Einbruch der Dunkelheit verzogen und war einer kalten, klaren Nacht gewichen. Das abendliche Backen und Banken war seit mehr als zwei Glasen vorüber und allmählich wurde es etwas ruhiger auf der neuen Galeone der Seewölfe. Die Decks leerten sich, was nicht zuletzt auf die Kälte zurückzuführen war.
Nur die beiden Ankerwachen harrten dick vermummt und mit einem zufriedenen Gefühl in der Magengegend auf ihren Plätzen aus. Der Kutscher und Mac Pellew, die beiden Köche und Feldschere, waren an diesem Abend ohne Zweifel an die oberste Stelle der Beliebtheitsskala gerückt. Die dänischen Fischgerichte, die sie aus ihren Pfannen gezaubert hatten, waren einsame Spitze gewesen.
Bill, der da, wo bei anderen Menschen der Magen sitzt, ein endloses Loch zu haben schien, rülpste satt und zufrieden wie ein Säugling, dem man einen Topf Brei verabreicht hat.
Bob Grey stieß ihn an. „Was ist das?“
„Das war ich“, antwortete Bill verlegen. „Verdammt, ich habe wohl doch zuviel …“
„Quatsch!“ unterbrach ihn Bob. „Ich meine nicht die Geräusche deines Wohlbefindens, sondern den dunklen Schatten, der achteraus zu sehen ist.“
Bill blickte angestrengt in die Dunkelheit, dann stieß er einen kurzen Pfiff aus.
„Ich sehe nicht nur einen dunklen Schatten, sondern auch Lichter. Das muß wohl ein Schiff sein.“
„Du merkst aber auch alles“, sagte Bob. „Ich dachte schon, es handele sich um eine schwimmende Seekuh, der man eine Laterne zwischen die Hörner gehängt hat.“
Bill ging nicht auf die Bemerkung ein. Er wirkte plötzlich konzentriert.
„Es scheint eine Schaluppe zu sein“, sagte er. „Und da die Kerle Lichter brennen haben, liegt es wohl nicht in ihrer Absicht, uns bei Nacht zu überraschen.“
„Trotzdem“, sagte Bob Grey, „irgend etwas haben die vor. Wir müssen sofort unsere Leute wahrschauen. Los, Bill, sag Hasard Bescheid.“
„Bin ja schon unterwegs“, erwiderte Bill. Schnurstracks begab er sich auf den Weg zur Kapitänskammer.
Philip Hasard Killigrew beugte sich gerade über eine Seekarte, als Bill ihm die Meldung brachte.
„Und die Schaluppe hält auf uns zu?“ fragte er.
„Ohne Zweifel, Sir!“
„Gut, Bill“, fuhr Hasard fort, „dann wahrschaue unsere Leute. Wir wollen kein Risiko eingehen.“
„Aye, Sir!“ Bill verschwand augenblicklich, um die übrigen Seewölfe hochzupurren.
Das alles geschah ohne jeden Lärm. Die Männer, die sich größtenteils im Mannschaftslogis aufhielten, gingen sofort auf Stationen, ohne daß laute Befehle gebrüllt werden mußten. Der Besatzung der heransegelnden Schaluppe bot sich nach wie vor ein friedliches Bild. Dennoch war die „Isabella“ in sehr kurzer Zeit darauf vorbereitet, jedem Angreifer kräftig auf die Finger zu klopfen.
Auf der Schaluppe schien man jedoch keine unlauteren Absichten zu hegen. Zumindest waren solche bis jetzt nicht zu erkennen.
Der kleine Segler näherte sich bis auf Rufweite, dann wurden die Segel eingeholt. Ein Mann, der auf dem Achterdeck stand, preite die Seewölfe an.
Ohne daß es einer besonderen Aufforderung bedurfte, begann Nils Larsen, der neben den Seewolf getreten war, zu dolmetschen.
„Es handelt sich um ein Schiff, das Wachdienst für den Öresund versieht“, übersetzte er aus dem Dänischen. „Es ist vom Hafenkommando in Helsingör beauftragt, nach dem Woher und Wohin zu fragen und bei beabsichtigter Sunddurchquerung auch gleich den Sundzoll zu kassieren.“
„Da haben wir’s“, brummte Edwin Carberry. „Die Kerle sind hinter dem Geld her wie der Teufel hinter einer armen Seele. Selbst bei Nacht und Nebel stöbern sie arme Leute auf, um ihnen in den Geldbeutel zu langen. Bei allen triefäugigen Kakerlaken – da sollte man doch mit einem Besen dreinschlagen! He, Nils, sind die Blondköpfe hier oben im Norden alle so verdammt geldgierig, was, wie?“
„Ed übertreibt zwar“, fügte Hasard lächelnd hinzu, „aber ein bißchen eilig haben die es schon.“
Nils Larsen hörte das als Däne gar nicht so gern. Besonders Carberrys geharnischte Bemerkung trieb ihm die Röte ins Gesicht.
„Für dich sollte man noch eine Maulsteuer einführen, Mister Carberry“, sagte er gereizt.
„Eine was?“
„Eine Maulsteuer! Jedesmal, wenn einer wie du sein Schandmaul aufklappt, sollte er dafür eine Golddublone an Steuern bezahlen, das wäre nicht mehr als recht und billig, wenn man an die gepeinigten Ohren anständiger Christenleute denkt!“
„Ha!“ rief Ed. „Unser Blondschopf kann wohl die Wahrheit nicht vertragen, was, wie? Sag diesen Rübenschweinen aus Helsingör lieber, daß sie sich verholen sollen, denn wir hätten die Angewohnheit, Steuern jeder Art mit Eisenkugeln zu bezahlen, und zwar mit solchen, die hübsch rund sind und siebzehn bis fünfundzwanzig Pfund wiegen.“
„Jetzt reg dich wieder ab, Ed“, sagte Hasard. „Um den Sundzoll kommen wir nicht herum. Bezahlen müssen wir ihn so oder so. Also tun wir es lieber gleich, dann brauchen wir uns morgen nicht mehr damit aufzuhalten.“
Der Seewolf dachte praktisch, zumal er aus den Segelanweisungen für die Ostsee, die in der versiegelten Order enthalten waren, wußte, daß der Sundzoll eine legale Sache war.
Schon seit Anfang des 15. Jahrhunderts erhoben die dänischen Könige den sogenannten Sundzoll von allen den Sund passierenden Schiffen, und zwar von Helsingör aus. Die Berechtigung dazu war durch Verträge mit den seefahrenden Nationen anerkannt worden. Eine Ausnahme bildeten lediglich die sechs Hansestädte Lübeck, Hamburg, Rostock, Stralsund, Wismar und Lüneburg sowie die Städte Stettin, Kolberg und Kammin. Sie waren vom Sundzoll völlig befreit, während einzelnen Staaten wie Schweden, Holland, England und Frankreich eine Ermäßigung bewilligt worden war.
Der Sundzoll setzte sich aus einer Schiffsabgabe von durchschnittlich zwölf Speziestalern und dem Warenzoll zusammen, der ein bis eineinhalb Prozent des Ladungswertes betrug. Auf diese Weise flossen in die Kassen des dänischen Königshauses ansehnliche Summen.
Auf Anweisung des Seewolfs stand Nils Larsen Rede und Antwort, indem er das Herkunftsland der „Isabella IX.“ sowie den Namen ihres Kapitäns nannte. Außerdem wies er darauf hin, daß man beabsichtige, am nächsten Morgen den Öresund zu passieren.
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