Am anderen Morgen bewegte sich eine reichlich merkwürdige Prozession über den Ausrüstungskai, an dem die „Isabella“ lag.
Für die Seewölfe war es keine Überraschung, sie hatten mit etwas Ähnlichem gerechnet, jedoch nicht mit diesem großkotzigen Aufwand, den der Marquess ihretwegen trieb.
Er hatte es sich in seinen verbohrten Schädel gesetzt, dieses Schiff in seine Gewalt zu bringen, und davon hielt ihn nichts mehr ab.
Hintereinander rollten drei Kutschen über das holprige Pflaster. Den Kutschen folgten zwei Fuhrwerke und den Fuhrwerken weitere Seesoldaten des Marquess Henry of Battingham.
Der ersten Kutsche entstiegen der noch etwas lädiert und blaß wirkende Marquess, das Gesicht voller Schönheitspflästerchen, weil ihn da Hasards eisenharte Faust erbarmungslos getroffen hatte. Dem Marquess folgten der Stadtvogt, der Hafenkommandant, der Friedensrichter, dem man offenbar eine Vermittlerrolle zugedacht hatte, und etliche andere Vertreter des Gesetzes, die teils finster, teils verlegen zu Boden blickten. Aus der letzten Kutsche stiegen die Kapitäne der Galeonen, die zum Geschwader des Marquess gehörten.
Was auf den Fuhrwerken allerdings lag, vermochte der Seewolf nicht zu erkennen, sie hielten gebührenden Abstand. Die Soldaten nahmen neben den Fuhrwerken Aufstellung, als bewachten sie einen Goldschatz.
Etwas geziert gehend ließ sich der Marquess dazu herab, bis dicht vor dié „Isabella“ zu treten. Zu seiner Rechten und Linken gesellten sich der Stadtvogt und der Friedensrichter.
Hasard und seine Männer blickten der Abordnung eisig entgegen, obwohl sich die anderen um allergrößte Liebenswürdigkeit bemühten. Es würde das übliche werden, dachte der Seewolf, anfangs waren sie katzenfreundlich, dann wurden sie ruppig, und schließlich drohten sie mit allerei Repressalien, wenn Sir Hasard sich nicht fügen würde.
„Ähmm – es ist unangenehm kalt hier“, sagte der Marquess hüstelnd und nickte dem Seewolf zu.
„In der Tat“, gab Hasard zu, „der Wind ist recht eisig. Ich hätte die ehrenwerten Herren ja auch liebend gern in meine Kammer gebeten, aber sie ist leider noch nicht fertig. Der Grund ist der Mangel an gewissen Dingen, die man uns leider vorenthält.“
Den Marquess verdroß das sehr, daß der Seewolf sie eiskalt „draußen“ stehen ließ. Im übrigen hatte er aber noch nicht einmal für nötig befunden, den Grund seines Besuches anzudeuten, der den Seewölfen ja ohnehin längst bekannt war. Also schalteten sie anfangs auf freundliches und ablehnendes Bedauern zugleich.
„Verehrter Sir Hasard“, sagte der Marquess so freundlich, daß es die Seewölfe bis in die Sohlen ihrer Stiefel erschütterte. Er sagte tatsächlich „Verehrter Sir Hasard“, niemand hatte sich verhört. „Es gab ein paar unredliche Worte zwischen uns, die, so hoffe ich, sich inzwischen erledigt haben. Man muß auf beiden Seiten nachsichtig sein.“
Paddy Rogers, der neben Smoky stand und seinen Gehirnkasten anstrengte, um das Gehörte zu verdauen, stieß den Decksältesten fragend an und flüsterte leise: „Waren das denn unredliche Worte, Smoky? Ich dachte, der verehrte Sir Hasard hat diesem Schelm die Faust auf die Nase gesetzt und ihn halbtot geprügelt. Und das nennt der unredliche Worte.“
„Das ist sozusagen ein Gespräch auf höherer Ebene“, erwiderte Smoky, „da gibt man nicht einfach zu, daß man sauer aufeinander ist und der eine dem anderen was in die Schnauze geschlagen hat. Da drückt man sich eben vornehmer aus.“
„Dann hat er ihm also unredlich was aufs Maul gegeben?“
„Genau so war es, Paddy. Aber jetzt halt mal deinen Schnabel, sonst muß ich auch unredlich werden.“
Hasard blieb abwartend, kühl und überlegen stehen, ein riesiger schwarzhaariger Kerl, gegen den der Marquess verkümmert und mickrig wirkte. Der Seewolf gab auch vorerst keine Antwort, er hörte sich den ganzen Sermon gelassen an. Noch war es nicht die Zeit, um explosiv zu werden und aus der Haut zu fahren.
„Tja, ähmm, es ist nun an der Zeit, eine gütliche Einigung zwischen uns zu treffen. Ich will Ihnen auch nicht verhehlen, daß ich in geheimer und eiliger Mission hier bin. Ein dringlicher Auftrag Ihrer Majestät sozusagen.“
„Dafür habe ich Verständnis“, sagte Hasard. „Wenn diese Mission aber so eilig ist, verehrter Marquess, warum zögern Sie dann so lange? Sie hätten längst auslaufen müssen. Ihre Majestät schätzt Verzögerungen bei eiligen Missionen nicht sonderlich.“
Der Hieb traf den Marquess zwar hart, aber er hatte eine Antwort.
„Im Grunde genommen sind Sie daran schuld“, sagte er und drohte Hasard ein wenig vorwurfsvoll mit dem behandschuhten Zeigefinger. „Sie wollten Ihr Schiff ja nicht ausliefern. Durch ein Unglück ist eine meiner Galeonen leider verbrannt.“
„Auch dafür haben Sie mein volles Verständnis“, sagte Hasard, „und aus eben jenem Grund bot ich Ihnen die ‚Hornet‘ an, eine seetüchtige Galeone, die da drüben liegt. Was hätten Sie denn getan, wenn ich jetzt zufällig kein Schiff gebaut hätte, verehrter Marquess? Dann wäre vermutlich Ihre ganze Mission gescheitert.“
Der Marquess blies die Wangen auf und schluckte. Es schien für ihn sehr schwierig zu sein, darauf eine Antwort zu finden, und so begann der erste Teil seiner Beherrschung langsam abzublättern wie alte Farbe.
„Spitzfindigkeiten, Spitzfindigkeiten sind das. Darum geht es doch gar nicht. Es geht um …“
Sein Mund blieb offen, als er Arwenack sah, den Bordschimpansen, der wegen der Kälte dickes Leinenzeug trug und aus der Ferne verblüffend einem Schiffsjungen ähnelte. Arwenack lief gerade aus der Kombüse und trug mit schaukelndem Seemannsgang eine Kokosnußhälfte in den Händen. Damit wollte er wahrscheinlich zur Messe. Als er jedoch die Abordnung an Land sah, blieb er stehen, und jeder der Seewölfe verwettete das Schiff darauf, daß Arwenack diese Abordnung ebenso unsympathisch fand. Er spürte deutlicher als Menschen Zuneigung oder Abneigung. Übertraf die Abneigung einen gewissen Punkt, dann feuerte er mit dem, was er gerade in die Hände kriegte.
Carberry verhinderte das Unglück gerade noch.
„Um Himmels willen“, stöhnte er unterdrückt, „du wirst doch dem Kerl die Nuß nicht an die durchlauchte Hirnschale feuern!“
Das daraufhin einsetzende Grinsen über Eds sonderbare Ausdrücke vermochte sich der Marquess nicht zu erklären, aber zum Glück bezog er es nicht auf sich persönlich.
Carberry brachte den Schimpansen schnell zur Messe, wo auch der Aracanga Sir John hockte und bei Eds Eintreten einen ellenlangen, obszönen Fluch vom Stapel ließ. Gelernt war eben gelernt, und der Lehrmeister sauste sofort wieder an Deck zurück.
„Ich brauche das Schiff“, erklärte der Marquess jetzt drastischer. „Und ich kann meine kostbare Zeit nicht länger verplempern. Trotzdem werden wir versuchen, uns gütlich zu einigen.“
Hasards Augen wurden langsam schmal. Er sah den frierenden Marquess und all die anderen ehrenwerten Herren, deren Gesichter vor Kälte langsam bläulich anliefen. Sie wollten das Verfahren abkürzen, denn vor der Kälte schützte auch eine durchlauchte Haut nicht.
„Und ich verwies Sie bereits ein paarmal auf die ‚Hornet‘, die sich in einwandfreiem Zustand befindet. Wir wollen auch nicht weiter hin und her reden, verehrter Marquess, denn das führt zu nichts. Ich gebe das Schiff nicht her, trotz aller schönen Worte nicht. Das ist, wie ich schon einmal erwähnte, meine letzte und endgültige Entscheidung in diesem Fall, und ich fühle mich nicht verpflichtet, Ihnen die Gründe darüber klarzulegen.“
„Ich requiriere hiermit aber das Schiff!“ schrie der Marquess. „Hier und auf der Stelle! Im Namen der Königin!“
„Sie haben nichts Schriftliches“, sagte Hasard kalt. „Auch ich kann mich auf die Königin berufen. Wir haben unseren Anteil der Krone immer abgeliefert, und aus dem uns zustehenden Rest haben wir dieses Schiff alle zusammen finanziert. Jetzt ist das Schiff fertig, und wir werden damit in See gehen. Sollten Sie mir jedoch ein Pergament mit dem königlichen Siegel zeigen können, das Sie ermächtigt, dieses Schiff in Ihre Flotte einzureihen, dann werde ich mich selbstverständlich dem Wunsch Ihrer Majestät beugen und gehorchen.“
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