Etwas später hielten sie die heißen dampfenden Mucks in den Händen und tranken verdünnten Rum mit Rohzucker und Gewürznelken, während den bewachenden Seesoldaten die Zunge zum Hals heraushing.
Die Kette wurde weitergeschleift und geschleppt, und dann folgte der Gipfel der Frechheit.
„Sir“, sagte der Vogt fast unterwürfig, „könnten Sie nicht für eine kurze Zeit eine der Kammern zur Verfügung stellen, damit die Herrschaften sich wärmen können?“
Diesmal war Hasard so verblüfft, daß er erst einmal tief Luft holen mußte. Das war doch nun wirklich der Gipfel.
Ben Brighton stand zähneknirschend daneben.
„Sollen wir für die ehrenwerten Herren auch ein warmes Essen bereiten lassen?“ erkundigte er sich ernst. „Vorab heiße Brühe vielleicht, anschließend dann heißen Rum mit Rohzucker.“
„Das – das wäre fast zuviel verlangt, Sir“, meinte der Vogt.
Carberry hörte ebenfalls belustigt zu.
„Dieser Rohzucker ist faustgroß“, sagte er honigsüß, „wir könnten ihn dem ehrenwerten Marquess nach dem Essen vielleicht in den erlauchten Achtersteven blasen, was, wie? Du Rübenschwein!“ brüllte er dann plötzlich, daß sogar Hasard zusammenzuckte vor der lauten Wildheit. „Diesem feinen Affenarsch ist wohl das Licht in seiner erlauchten Birne ausgeblasen worden, was, wie? Und du schämst dich nicht und trittst hier als Bittsteller für die Kaltärsche auf, du Kanalrattenvogt, du?“
Diesen Titel hatte der Stadtvogt von Plymouth zwar noch nicht vernommen, aber der Profos war im Erfinden solcher Titel äußerst großzügig und verlieh sie frei Schnauze.
Der neuernannte „Kanalrattenvogt“ raste vor der aufgebrachten Wildheit des Narbenmannes mit einem Schrei des Entsetzens davon und blieb erst nach ein paar Yards stehen.
Hasard schüttelte den Kopf über soviel Unverfrorenheit. Die Kerle waren ja schlimmer als die lausigsten Bastarde!
„Ihr könnt das Schiff ruhig an die Kette legen“, sagte er, „aber wagt euch nicht an Bord, denn da hört eure Befehlsgewalt auf, da bin ich der Herr. Und von so ehrenwerten Lumpen lasse ich mir nicht die sauberen Planken versauen.“
Matt Davies, Batuti, Smoky und Gary Andrews sahen interessiert zu, wie die Männer die schwere Kette keuchend schleppten. Ein paar der Seewölfe, die sich über die Gelassenheit ihres Kapitäns wunderten und darüber, daß er das alles so einfach hinnahm, waren nach unten gegangen und hielten sich in der Messe, der Kombüse oder den anderen Räumen auf, denn niemand konnte sich so richtig sattsehen an der neuen „Isabella“ mit ihren zahlreichen Einrichtungen.
Oben gingen die Arbeiten weiter. Die Kette wurde um den Eichenpoller gelegt und verbolzt.
„Wo ist der Schmied?“ brüllten die Soldaten.
Der Schmied war nicht zu finden, wahrscheinlich hatte er sich bei der Kälte wieder auf den Heimweg gemacht oder sich in einem der Schuppen verkrochen.
Ein Schmied war allerdings da, nämlich der ehemalige Waffenschmied der Feste Arwenack, Big Old Shane, der die Arme über der mächtigen Brust gekreuzt hatte und dem Treiben mit stoischer Gelassenheit zusah.
„Ihr habt doch sicher Holzkohle für Schmiedefeuer an Bord“, fuhr ihn einer der Soldaten barsch an. „Los, Kerl, setzt dich in Trab. Und wenn ihr einen Amboß habt, kannst du den auch gleich mitbringen.“
„Einen Hammer auch?“ fragte der graubärtige Riese gähnend.
„Alles, was man braucht, um eine Kette zusammenzuschmieden. Aber schnell, Väterchen, das kannst du selbst tun, du siehst kräftig genug aus.“
Das „Väterchen“ ging dem bärtigen Riesen runter wie traniges Öl von vergammelten Walen.
„Man sagt mir jedenfalls nach, daß ich kräftig sei“, erklärte Shane gelassen. „Ich zeig’s dir gern mal!“
„Na, dann fang mal an, Väterchen!“
„Väterchen“ Shane holte nur einmal kurz aus. Aber hinter seinem Schlag saß immer noch die alte Kraft von früher. Und „Väterchen“ hatte nicht nur Waffen geschmiedet, der war auch für die Gäule und deren Hufeisen zuständig gewesen, und man sagte ihm nach, daß er einen störrischen Gaul mit einigem Kraftaufwand umgeworfen hätte.
Der Soldat wog viel weniger als ein Gaul, dafür flog er aber auch um so weiter, als die Riesenfaust ihn traf.
„Väterchen“ Shane verschränkte wieder lässig die Arme über seinem riesigen Brustkasten und sah dem Kerl nach, der sich wie ein Artist pausenlos überschlug, über die Katzenköpfe fegte und schließlich unter dem Fuhrwerk liegenblieb.
„Jaja“, sagte Old O’Flynn grinsend. „da weht eine Bö, und schon fliegt so ein Rotzlöffelchen einfach davon. Diese jungen Windelpisser glauben anscheinend, wir gehören zum alten Eisen, was?“
„Ja, das scheinen sie zu glauben“, sagte Shane sinnend. „Aber altes Eisen muß nicht unbedingt brüchig sein, das verändert manchmal nur die Farbe, aber im Kern bleibt es hart. Hat das einer von den anderen Kerlen gesehen?“
„Bestimmt nicht“, versicherte Donegal. „Die sind doch alle so sehr beschäftigt.“
Anscheinend hatte wirklich niemand diesen Zwischenfall bemerkt, denn die feinen Herren hatten sich frierend in ihre Kutschen zurückgezogen und genossen von dort aus schnatternd ihren Triumph, dem Seewolf Killigrew eins ausgewischt zu haben.
Dort spann auch der Marquess seinen Faden vom Staatsfeind weiter, als den er den Seewolf verdächtigte, und erkundigte sich, ob man den Kapitän nicht aufgrund dieser Tatsache in den Kerker stecken könne.
Wieder hatten die Stadtoberen alle Mühe, ihm diesen Spleen auszureden, denn mittlerweile war ja landesweit bekannt, daß Killigrew und seine Männer eben keine Staatsfeinde waren.
An diesem Tag in der Kutsche zog auch ein etwas unruhiges Flackern in das Herz des Marquess ein, und er fragte sich insgeheim beklommen, ob es da später nicht doch noch Schwierigkeiten geben mochte.
Ach was, er war der Sohn eines Duke, es konnte gar nichts passieren, denn hinter ihm stand ein mächtiger Name, und wer würde schon wagen, einen Marquess anzuklagen?
Daraufhin beruhigte er sich wieder.
Eine halbe Stunde später erschien verärgert der Schmied, der für einen äußerst kargen Lohn die Kettenglieder zusammenschmieden mußte und deshalb seine wärmende Hütte verlassen hatte.
Er tat seine Arbeit nur widerwillig und mißmutig und beschwerte sich lautstark bei dem Corporal, dem schließlich der Gaul durchging.
„Was meckerst du hier dauernd?“ fluchte der erbost.
„Eure Kerle pennen!“ schrie der Schmied. „Unsereins muß arbeiten. Wo bleibt da die Gerechtigkeit?“
„Wer pennt? Wo pennt einer?“
„Da, unter dem Wagen!“ brüllte der Schmied zurück.
Die Seewölfe grinsten belustigt. Es ging eigentlich ganz heiter zu, fanden sie, trotz der Schikanen. Fast konnte man es als einen lustigen Tag bezeichnen, denn die Laune des Seewolfs war nicht schlecht, und das übertrug sich auf die anderen. Und natürlich hatte jeder den Vorfall mit „Väterchen“ mitgekriegt.
Der Corporal sah erbost unter den Wagen und drückte das Kreuz durch. Da lag doch tatsächlich einer seiner Soldaten und machte klar bei allen Klüsen!
Er zog den total benommenen und noch halb bewußtlosen Kerl unter dem Fuhrwerk hervor und rieb ihm den vermeintlichen Schlaf aus den Augen, indem er ihn mit Backpfeifen an Backbord und Steuerbord traktierte, ihn anbrüllte und mit Fußtritten wieder an die Arbeit scheuchte.
„Der Arme hat noch einen ganz glasigen Blick drauf“, sagte Stenmark mitfühlend, „der weiß gar nicht, wo er zur Zeit ist.“
Auch als die glasigen Augen einmal in „Väterchens“ Richtung schweiften, lag kein Erkennen in dem trüben Blick, „Väterchens“ Schläge lösten – so hatte jedenfalls der Kutscher versichert – bei den Betroffenen einen sogenannten temporären Gedächtnisschwund aus, einen zeitweiligen also.
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