„Wir wollen wirklich abhauen, Sir?“ fragte Ben. „Und das Siegel? Und die Bewacher da oben?“
„Das amtliche und damit königliche Siegel ist ein Problem“, gab der Seewolf zu, „auch wenn es unrechtens erfolgt ist. Die Bewacher dagegen sind kein Problem, das kriegen wir schon hin.“
„Verdammt noch mal!“ rief Ferris Tucker begeistert und sprang auf. „Jetzt müssen wir uns nur noch einen Trick einfallen lassen.“
Carberry hatte schon einiges intus. Die Aussicht auf einen Durchbruch beflügelte seinen Geist, und damit der noch stärkere Flügel erhielt, kippte er sich vorsichtshalber gleich noch ein paar Brandy rein.
Dann überlegte er angestrengt. Es gab scheinbar keinen Weg, sich um das amtliche Siegel herumzumogeln.
„Brüllt nicht so laut vor Begeisterung“, warnte der Seewolf, „oben am Kai lauschen viele Ohren, und es darf nichts durchsickern.“
Vorschläge wurden unterbreitet, wieder verworfen. Hasard hatte zwar einen, doch das war auch so eine Sache mit Haken und Ösen, und das Siegel oder zumindest eines davon wurde sicher beschädigt.
„Wir haben vierundzwanzig bewaffnete Männer gegen uns“, sagte er in die jetzt wieder ruhiger gewordene Runde. „Die müssen in einem blitzartigen Angriff ausgeschaltet werden. Dabei wollen wir nach Möglichkeit keine Toten hinterlassen. Wir sind fast gleich stark, wenn man davon absieht, daß die Soldaten Musketen haben.“
„Dabei helfen wir natürlich“, sagte Thorfin, der für jede Art Hauerei immer gleich zu begeistern war. „Wir rudern bei Nacht und Nebel mit ein paar Leuten an Land und rollen die Burschen von der anderen Seite her auf. Das geht zackzack“, versprach er.
„Gut, das sprechen wir später noch genauer durch. Uns wird nichts anderes übrigbleiben, als die Kette mit ein paar gewaltigen Hieben zu zerschlagen. Doch was ist mit dem Siegel?“
„Dabei wird das Siegel doch gar nicht beschädigt“, meinte Ed. „Wir hauen die Kette in der Mitte durch. Ein Siegel bleibt am Poller, das andere haben wir an Bord. Ist doch prächtig, was, wie?“
Die Begeisterung war kaum noch zu bremsen, doch Hasard wollte auch keinen Übereifer wecken. Es mußte alles genau durchdacht werden. Immerhin mußten sie ja auch noch an der Flotte des Marquess vorbeisegeln, um die offene See zu gewinnen.
„Das zurückgelassene Siegel wird ganz sicher beschädigt oder entfernt werden, sobald wir flüchten“, prophezeite der Seewolf, „dafür wird schon der Marquess oder ein anderer sorgen. Dann können sie uns den Siegelbruch vorwerfen und anhängen.“
Der Profos sah Hasard an und zeigte jenes schlitzohrige Grinsen, das alle so gut an ihm kannten. Entweder spielte er dann den frommen unschuldigen Pilger, oder er hatte etwas in petto.
„Der ehrenwerte durchlauchte Lümmel wird gar keine Gelegenheit haben, das Siegel zu beschädigen“, erklärte er grinsend. „Wir schlagen die Kette durch, dazu haben wir einen kräftigen Schmied. Väterchen wird das …“
„Nenn mich noch einmal Väterchen wie dieser Lümmel“, drohte Shane, „dann wirst du was erleben. Du bist wohl auch scharf auf eine Cornwallsche Kopfnuß, he?“
„Streitet euch nicht, ihr Hammel“, sagte Ferris Tucker. „Erzähl mal weiter, Ed. Wie stellst du dir das vor?“
„Ganz einfach. Shane und ich oder ein anderer zerdeppern die Kette. Und Ferris wird dann ein bißchen sägen.“
„An der Kette?“ fragte der Schiffszimmermann ungläubig.
„Quatsch.“ Der Profos hatte schon fast einen zuviel. „An dem Poller natürlich, an dem die Kette hängt.“
„Und dann?“
„Dann sägst du noch ein bißchen an der Holzpier rum und wir nehmen den ganzen Krempel mit. Dann haben wir beide Siegel unbeschädigt an Bord, und was können wir dafür, daß die Kette kaputtging?“
„Toll“, sagte Hasard anerkennend, „wirklich toll, Ed. Den Schaden bezahlen wir später aus eigener Tasche, der ist gering.“
„Noch was“, sagte der Profos etwas mühsam. „Wir müssen die Siegel natürlich sehr gut aufbewahren, denn ihnen darf nichts geschehen. Deshalb ernennen wir Old O’Flynn zum Siegelbewahrer. Na, ist das ein Titel, du altes Rauhbein? Königlicher Siegelbewahrer, darauf kannst du dir aber mächtig was einbilden.“
„Auf was warten wir noch?“ schrie Luke Morgan angriffslustig. „Nichts wie nach oben und die Kerle zur Brust genommen. Und dann ab!“
„Sehr gute Idee“, sagte Hasard. „Aber die führen wir erst in der nächsten Nacht durch, gegen Morgen, wenn die Kerle müde und dösig werden. Heute geben wir den armen Soldaten eine Runde heißen Rum aus, als Entschädigung für die Beulen, die sie morgen haben werden. Und wir werden sie auch nicht zusammengeschlagen auf dem Kai liegen lassen, wir verfrachten sie auf die ‚Hornet‘, damit sie nicht erfrieren.“
„Ist das dein Ernst mit dem heißen Rum, Sir?“ fragte der Kutscher.
„Natürlich. Die Soldaten selbst sind doch arme Hunde, die vom Marquess gezwungen werden. Frage den Hauptmann, ob er und seine Kerle einen heißen Rum haben möchten.“
Der Kutscher tat, wie ihm geheißen und erkundigte sich an Deck mit freundlichen Worten, wie Hasard ihm aufgetragen hatte.
Doch der Hauptmann war ein ausgesprochener Rüpel und brüllte ihn an: „Für wie dämlich haltet ihr mich eigentlich, he? Euer heißer Rum ist nichts anderes als Gift, und danach sind wir alle tot. Wag nicht noch einmal, so dämliche Fragen zu stellen, du Halunke.“
Dem Kutscher stieg die Galle hoch. Er hatte mit wohlgesetzten Worten und freundlich gefragt und erhielt diese Antwort.
„Leck mich doch, du abgewrackter Hampelmann!“ fluchte er zurück.
„Der Kutscher kann ja auch fluchen“, sagte Ed staunend, „und wie! Aber du hast ganz recht, das ist eine miese Bilgenratte, und es wäre ein Jammer, dem Kerl auch noch heißen Rum zu geben.“
„Dafür kriegt er zwei Ohrfeigen mehr“, versprach Hasard. „Und zwar von mir persönlich, allein wegen dieser Unterstellung, wir würden heimtückisch jemanden vergiften. Es bleibt also dabei, wir besprechen jetzt die näheren Einzelheiten und brechen in der nächsten Nacht durch.“
Thorfin Njal rieb sich in der Vorfreude darauf seine mächtigen Hände und steuerte eine weitere Idee bei.
„Ich bin um die verabredete Zeit da, und zwar mit zehn Mann. Sobald wir die Kerle zusammengedroschen haben – deine Königin wird dir das verzeihen, schließlich ist sie durch dich reicher geworden –, pullen wir sofort wieder an Bord zurück und gehen augenblicklich ankerauf. Das heißt, das können die anderen inzwischen erledigen, und wir pullen dem Schiff nach. Wir müssen eher auf See sein als ihr, das ist vor allem wichtig.“
„Das verstehe ich nicht ganz“, sagte Hasard.
„Das ist so“, erklärte der Wikinger. „Ich möchte gern draußen vor der Bucht ein wenig rumkrebsen, denn wenn deine Flucht bemerkt wird, folgt dir das ganze Geschwader von Torfkähnen. Sollen sie ruhig von mir denken, ich wäre ein seemännischer Trottel, aber dieses Späßchen will ich auskosten. Ich krebse vor denen so hilflos und dämlich herum, daß sie alle Mühe haben, dir zu folgen. Bei Odin, was werden diese lausigen Tranköpfe mich verfluchen! Und ich werde mich in mein Sesselchen setzen und mich krank lachen. Und ich wette mit dir, Hasard, daß ein oder zwei dieser lausigen Nachttopfsegler mit meinem Schiffchen kollidieren, und das wird ihnen verflucht gar nicht gut tun. Einverstanden?“
Eine riesige Pratze ergriff Hasards Hand und schüttelte sie. Und noch bevor der Seewolf sein „Einverstanden“ sagen konnte, da begann der bärtige Riese so schaurig zu lachen, daß selbst Ramsgate um die Stabilität des Schiffes zitterte.
Aber sein Gelächter wirkte anstekkend, und weil sie alle für derbe Späße dieser Art zu haben waren, lachte bald die ganze Mannschaft immer wilder und unbändiger.
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