„Hier gibt’s keine Muscheln“, brummte der Corporal entschieden.
„Wieso?“ fragte der Narbenmann. „Hast du denn hier schon mal im Winter getaucht?“
Der Corporal mußte das verneinen.
„Na siehst du! Aber einfach Behauptungen aufstellen, was, wie? Und nicht mal selbst in der kalten Brühe nachsehen.“
„Ihr dürft aber nicht an Land!“ schrie der Corporal, weil er nicht wußte, was er darauf antworten sollte.
„An Land wachsen doch auch keine Muscheln, oder?“ erkundigte sich der Narbenmann drohend. „Und deshalb schaut er ja auch im Wasser nach, ob es da welche gibt. Erzähl das ruhig deinem Lord Flattermann.“
Der Corporal rang empört nach Lust.
„Marquess Henry of Battingham!“ schrie er, rot vor Zorn. „Ich verbitte mir derartige Respektlosigkeiten.“
„Tu das ruhig!“ riet der Narbenmann trocken.
Dann sah der Corporal, wie der triefnasse Kerl aufenterte und an Deck stand und die anderen ihn grinsend umringten.
Er vernahm, daß sie ihn fragten, ob er Muscheln gefunden habe, und erfuhr die verblüffende Weisheit, daß am Ausrüstungskai tatsächlich keine wuchsen.
Alles Weitere vernahm er dann nicht mehr, denn es spielte sich unter Deck ab.
In der geräumigen Messe, die hinter dem Großmast im Quarterdeck lag, zog der Kutscher Dan O’Flynn die nassen Plünnen vom Körper, schob ihm eine Muck heißen Rum zwischen die zitternden Lippen und hüllte ihn in eine große Decke. Mac Pellew klopfte den schnatternden O’Flynn derweil mit Püffen und Knüffen so lange durch, bis das Blut wieder richtig zirkulierte.
„Alles gut abgelaufen, Dan?“ fragte Ben Brighton.
„Ja, das Mädchen ist in Sicherheit, ich habe sie zurückgebracht. Den Gaul habe ich bei Plymson abgeliefert. Aber es ist doch eine verdammte Saukälte, wenn man durch den Bach paddelt. Haben die Kerle wirklich nichts gemerkt?“
Carberry schüttelte den Kopf.
„Ganz sicher nicht. Der Corporal ist doch ausgesprochen dämlich, und seine Soldaten drücken sich hinter den Schuppen rum, weil sie wie nackte Gänse frieren.“
Während der Kutscher weiterhin heißen Rum ausschenkte, erschien der Seewolf in der großzügig ausgestatteten Messe. Auch er war froh, daß alles so glimpflich abgelaufen war, doch auf seinem Gesicht lag ein Schatten, der ihn ernster und älter erscheinen ließ.
Bisher hatten sie die Schikanen und Intrigen des Marquess Henry ja ganz gut überstanden, der unbedingt die „Isabella“ für sein Geschwader requirieren wollte. Aber dieser Requirierungsanspruch war ein Witz, denn dem jungen Schnösel war die moderne Bauweise des Schiffes in den Kopf gestiegen, und im Geiste sah er sich bereits auf dem Achterdeck der „Isabella“ als Geschwaderführer stehen.
Da Hasard diese Flausen strikt und eiskalt abgelehnt hatte, begann der einflußreiche Marquess, Sohn des Duke of Battingham, sie zu schikanieren und zu schurigeln, wo er nur konnte.
Trotz aller Maßnahmen hatte er nicht verhindern können, daß der Bau seiner Vollendung entgegenging und jetzt so gut wie fertig war.
Die Masten waren aufgeriggt, das laufende und stehende Gut eingeschoren, und es gab nur noch ein paar belanglose Kleinigkeiten zu tun, die man auch auf See erledigen konnte.
Die Galeone des Schiffbaumeisters Hesekiel Ramsgate war bereit, ihre Jungfernfahrt anzutreten.
Ein paar Tage hatte dieser adlige Schnösel sie nun in Ruhe gelassen, aber es war durchgesickert, daß er auf Verstärkung wartete, denn mit seinen spanischen Beutegaleönchen traute er sich nicht, offen gegen die Seewölfe vorzugehen. Außerdem lag da immer noch ganz in der Nähe das Schwarze Schiff des Wikingers Thorfin Njal, mit dem der eitle Marquess nicht viel anzufangen wußte, er war sich über das Verhältnis zwischen den beiden Mannschaften nicht im klaren und wollte aus diesem Grund auch nichts riskieren.
„Wir könnten zur ersten Fahrt auslaufen“, sagte Hasard, „doch wie werden sich die Kerle auf der Pier verhalten? Ich weiß nicht, welche Order sie haben. Lösen wir die Leinen, eröffnen sie vielleicht auf uns das Feuer.“
„Offiziell ist über uns nur eine Ausgangssperre verhängt worden“, meinte Hasards Stellvertreter Ben Brighton. „Davon, daß wir nicht in See gehen dürfen, hat niemand etwas gesagt.“
„Eben“, meinte auch Ferris Tucker, „das ist eine reine Spitzfindigkeit. An Land dürfen wir nicht, also gehen wir in See.“
Doc Freemont, der sich noch als Gast auf der „Isabella“ befand, schüttelte den Kopf.
„Ich weiß nicht, was Sie damit heraufbeschwören würden, Hasard“, sagte er leise, „aber es dürfte weiteren Ärger in Plymouth geben. Schließlich haben Sie die ganze Stadt gegen sich mit ihrem gesamten Verwaltungsapparat, und das wird immer weitere Kreise ziehen wie ein Stein, der ins Wasser fällt.“
„Sollen wir einfach resignieren und darauf warten, was dieser halbreife Lümmel entscheidet?“
„Fragen wir doch mal den Corporal, welche Order er in dem Fall hat“, schlug der Arzt vor.
Mit diesem Gedanken mochte sich auch keiner so recht anfreunden, aber schließlich einigte man sich doch darauf, den stiernackigen und etwas dümmlichen Kerl zu befragen, der immer noch schnatternd an dem Ausrüstungskai stand.
„Ist es richtig, daß die Ausgangssperre immer noch besteht?“ erkundigte sich der Seewolf.
Der Corporal warf sich in die Brust und wurde dienstlich.
„Das ist richtig!“ brüllte er. „Niemand hat, laut Anordnung des Marquess of …“
„Geschenkt“, sagte Hasard kalt, „den Spruch kennen wir bereits. Aber wir sind seeklar und wollen auslaufen. Hinsichtlich des ehrenwerten Marquess und so weiter bestehen wohl keine Bedenken …“
Diesmal unterbrach ihn der Corporal, wobei er sofort entschieden den Kopf schüttelte.
„Das Schiff darf auch nicht auslaufen. Order vom Marquess Henry of Battingham …“
„Ogottogott“, sagte der Profos ergeben, „an dem Titel kaut er jedesmal eine volle Woche herum. Verdammt noch mal, Kerl! Was passiert, wenn wir jetzt ablegen? Kannst du das nicht ein bißchen kürzer ausdrücken!“
Hasard wollte seinen biestigen Profos erst zurechtweisen, doch er verstand, daß auch Ed langsam die Galle hochstieg. Sie alle mußten sich hier wie dumme Jungen behandeln lassen.
„Ich habe Order, das Feuer zu eröffnen, wenn die Leinen gelöst werden“, knurrte der Corporal. „Anordnung des ehrenwerten Marquess …“
Noch während der Kerl den Titel herunterleierte, waren Hasard und Ed schon wieder unten, und der Corporal quasselte in den Wind.
„Was sind ein Dutzend Seesoldaten gegen uns?“ fragte Carberry. „Denen hauen wir doch in kurzer Zeit die Klüsen so dicht, daß sie das Schiff nicht mal mehr aus der Nähe sehen.“
„Gewalt gegen Gewalt“, meinte der Seewolf, „das können wir uns vorerst in Plymouth nicht leisten, zumal wir uns hier schon des öfteren nicht gerade herzlich verabschiedet haben. Nein, wir warten noch ab, vielleicht bietet sich eine andere Lösung an.“
„Und wie wär’s mit Abstimmen, Sir?“ schlug der Decksälteste Smoky vor.
„Das würde nichts an der Gewalt ändern, Smoky. Es eskaliert nur immer weiter, wie der Doc ganz richtig bemerkte.“
„Lange sehe ich da jedenfalls nicht mehr zu!“ rief der hitzköpfige Luke Morgan mit knallrotem Schädel. „Dann lasse ich mir diesen lausigen Marquess vom Kutscher in Öl und Zwiebeln braten und freß ihn mitsamt seiner hochtrabenden Uniform.“
Sie sprachen weitere Möglichkeiten durch, aber eine gewaltlose Lösung ließ sich nicht finden. Der Marquess hatte es sich nun einmal in den Kopf gesetzt, gerade dieses Schiff seinem Geschwader einzuverleiben. Die Tatsache blieb bestehen, daß er aufgrund seiner Vollmachten den längeren Arm hatte. Und hinter seinen Anordnungen standen die Stadtväter, die Büttel und Schergen, der Vogt, der Friedensrichter und all die anderen.
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