„In die Neue Welt.“
„Auf Beutezug?“
„Natürlich auf Beutezug“, erwiderte Hasard. „Außerdem gibt es dort drüben noch ein paar Fleckchen Erde, die wir nicht richtig ausgekundschaftet haben.“
„Es existieren sogar Plätze, die wir überhaupt noch nicht kennengelernt haben“, fügte Jean Ribault hinzu. „Wenn ich da an das geheimnisvolle Florida denke, an die Küsten, die von Coronado und De Soto bereist wurden – da wartet noch so einiges auf uns, Freunde.“
„Hört sich hochinteressant an“, sagte Hesekiel Ramsgate. „Soll es da nicht auch den berühmten Jungbrunnen geben?“
„Ja“, erwiderte Jean. „Aber keiner weiß, ob die Quelle der ewigen Jugend tatsächlich irgendwo im Sumpf oder in der Wüste darauf wartet, entdeckt zu werden, oder ob die Geschichte nicht doch nur ein Hirngespinst ist.“
„Eine Legende“, sagte Hasard. „Ganz gewiß. Tut mir leid für dich, Hesekiel, aber du wirst auch so über hundert Jahre alt.“
„Doch wenn wir Gold am Golf von Mexiko finden“, sagte Jean Ribault, „dann ist das für uns mehr wert als irgendein obskurer Brunnen. El Dorado ist letzten Endes kein Traum, das haben die Funde der Spanier und Portugiesen im Süden der Neuen Welt bewiesen, nicht wahr?“
„Ja“, meinte der Seewolf. „Und es wird Zeit, daß wir ihnen wieder etwas von ihrem Reichtum abknöpfen, den sie sich auf unrechtmäßige Weise verschaffen. Wir sind die längste Zeit in Plymouth gewesen, jetzt geht es wieder auf große Fahrt.“
Thorfin Njal lachte und hieb sich mit der Hand auf den Oberschenkel. „Ich weiß schon, auf was ihr hinauswollt, ihr Halunken. Breitschlagen wollt ihr mich, oder? Überreden lasse ich mich aber trotzdem nicht. Sicher, wenn ich das alles so höre, wird auch mir der Mund wäßrig, das gebe ich zu. Aber ich habe von der Neuen Welt und von der Schlangen-Insel vorläufig trotzdem die Nase voll.“
„Mach doch, was du willst“, sagte Jean. „Fahr nach Norden hinauf und laß dir den Hintern abfrieren. Mir soll’s recht sein.“
Thorfin sah ihn drohend an. „Willst du meine Heimat beschimpfen?“
„Um Himmels willen, nein.“
„Bei Odin, es ist nicht nur kalt im Nordland!“ stieß der Wikinger hervor. „Dort findest du auch das Glück, Jean Ribault, Wärme und Behaglichkeit, Met und Rentiere, so viele du willst. Es zieht mich mit aller Macht nach oben in die eisige Kälte, ich habe sie lange genug entbehrt.“
„Na gut“, meinte Ribault. „Aber das mit Thule, den fernen und glücklichen Inseln, die du zu finden hoffst, ist ja doch bloß eine fixe Idee. Nein, reg dich nicht gleich wieder auf. Was ich dir in deinen Dickschädel hämmern will, ist nur folgendes: Die Sache mit Thule ist genauso erfunden wie die Mär vom Jungbrunnen.“
„Da hört sich doch alles auf“, sagte der Wikinger entrüstet. „Hast du überhaupt eine Ahnung von den Geheimnissen des Nordens? Kennst du die Welt, in der Thor und Odin die Herrscher sind?“
„Nicht wie du“, erwiderte der Franzose. „Aber ich habe das, was man einen gesunden Menschenverstand nennt. Gegenfrage: Weißt du, wo du die Inseln Thule zu suchen hast?“
„Nein.“
„Du hast also nicht den geringsten Anhaltspunkt?“
„Nein. Aber ich werde sie finden.“
„Ich geb’s auf“, sagte Ribault. „Du bist ja doch nicht davon abzubringen, und gegen deinen Dickschädel kommt keiner an.“
„Thule“, wiederholte Ramsgate nachdenklich. „Liegt das nicht in Grönland?“
„Ja“, entgegnete Hasard. „Und wir sind auch schon dort gewesen, ehe wir die Nordwestpassage suchten. Die Eskimosiedlung Thule hat jedoch nichts mit den mysteriösen Inseln zu tun, von denen Thorfin spricht.“
„Sehr richtig“, bestätigte der Wikinger. „Aber nun laßt mich mal ein offenes Wort sprechen, Freunde. Ich drehe den Spieß um, Hasard, und ich frage dich: Wie wäre es, wenn du mich begleiten würdest? Das wäre doch eine gute Bewährungsprobe für deine ‚Isabella‘ und für deine Mannschaft.“
Der Seewolf lächelte. „Tut mir aufrichtig leid, aber du kannst mich nicht herausfordern, Thorfin. Ich will nach Amerika, und in diesem Punkt bin ich genauso störrisch wie du.“
Thorfin Njal hob die Schultern und ließ sie wieder sinken. „Beim Donner, was soll’s? Dann trennen wir uns eben. Haben wir das nicht öfter getan und uns dann später wiedergetroffen? Was mich betrifft, so vergieße ich keine Walroßtränen, ich bin doch kein altes Weib.“
„Schon gut, darum ging es ja auch gar nicht“, sagte Hasard. „Ich will nur Klarheit. Jean, was ist mit dir?“
„Ich gehe von Bord, das habe ich ja auch schon angedeutet.“
„Ja. Hesekiel?“
„Ribault und ich haben darüber gesprochen“, entgegnete Ramsgate. „Wir werden zusammenbleiben, weil wir noch eine ganze Menge miteinander zu bereden haben. Besonders wegen der Schiffe, die Ribault bei mir in Auftrag geben will.“
Hasard nickte. Er kannte die Pläne, die Ribault und vor allem auch Siri-Tong mit der Schlangen-Insel hatten, und sie fanden seine volle Billigung.
„Gut, dann sind wir uns also einig“, meinte der Seewolf. „Jeder hat seine eigenen Vorstellungen, und was die Pläne für die Schlangen-Insel betrifft, bin ich einverstanden. Es gibt keine Einwände, wir trennen uns in vollem Einvernehmen. Darum ging es mir hauptsächlich.“
Sie erhoben sich und schüttelten sich stumm die Hände. Monate, so wußten sie, konnten vergehen, bis sie sich wiedersahen, möglicherweise auch Jahre. Ihre Augen drückten den Wunsch aus, daß sie alle unversehrt aus den Abenteuern zurückkehren mochten, die jetzt jeder von ihnen auf sich nahm. Doch sie sprachen das nicht offen aus. Sie wußten auch so, daß der Segen des einen die Reisen des anderen begleiten würde. Immer wieder würden sie sich der gemeinsam durchfochtenen Kämpfe entsinnen, und die Erinnerung an die Erlebnisse auf den Meeren gab ihnen neue Kraft für die Zukunft.
Am Nachmittag dieses Tages rollte auf dem Kai eine Kutsche vor, die von vier Pferden gezogen wurde. Die Männer der Crew, die auf dem Hauptdeck der „Isabella IX.“ ihren Dienst versahen und Wache schoben, wollten Ben Brigthon, Hasards Erstem Offizier und Bootsmann, einen entsprechenden Hinweis geben, doch Ben war bereits auf das Gefährt aufmerksam geworden und enterte vom Quarterdeck aus das Achterdeck, um die Kutsche genauer in Augenschein nehmen zu können.
Der Kutscher zerrte an den Zügeln, der Vierspänner stoppte. Drei Männer stiegen aus, von denen zwei wie auf eine vorher getroffene Vereinbarung hin am Schlag verharrten. Der dritte Mann – hochgewachsen, hager und distinguiert – schritt auf die „Isabella“ zu und grüßte, indem er seinen schmalkrempigen, hohen Filzhut abnahm und ein Stück hochhob.
„Lord Gerald!“ rief Ben und lachte. „Warten Sie, ich sage sofort Hasard Bescheid!“
„Tun Sie das, Mister Brighton“, erwiderte Gerald Cliveden, Lordschaft von Elizabeths I. Gnaden und Sonderbeauftragter Ihrer Majestät. „Darf ich inzwischen schon an Bord kommen?“
„Selbstverständlich dürfen Sie das!“ Ben sah zu Carberry, der von der Kuhl zu ihm aufblickte, und der Profos scheuchte sofort Jack Finnegan und Paddy Rogers los, die Cliveden an der Gangway in Empfang nehmen sollten.
Der elegante Herr in dem kurzen schwarzen Cape, den dunklen Hosen und den Schnallenschuhen begab sich also an Bord des neuen Schiffes und schüttelte den Männern, die er inzwischen bestens kannte, die Hände.
Dann sah er sich nach allen Seiten um, nickte anerkennend und sagte: „Wirklich, ein feines Schiff ist das, das muß man Mister Ramsgate lassen.“
Hesekiel Ramsgate hatte es vernommen, denn er war inzwischen mit Hasard, Jean Ribault und Thorfin Njal auf dem Quarterdeck erschienen.
Mister Ramsgates Augen blitzten.
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